# taz.de -- Eskalation im Nahen Osten: Schüsse in Jerusalem
       
       > Ein erst 13-Jähriger schießt in Jerusalem um sich. Zuvor hatte ein
       > Palästinenser sieben Menschen vor einer Synagoge im Osten der Stadt
       > getötet.
       
 (IMG) Bild: Ein israelischer Polizist betritt das Haus des Attentäters von Newe Jaakow
       
       Jerusalem taz | Am Samstagvormittag zielte ein 13-jähriger Palästinenser in
       der Nähe der Jerusalemer Altstadt mit einer Waffe auf eine Gruppe jüdischer
       Israelis. Ein Vater und sein Sohn wurden dabei schwer verletzt und ins
       Krankenhaus eingeliefert. Der Attentäter, der aus dem Ostjerusalemer
       Viertel Silwan stammen soll, wurde in Folge von einem Soldaten und einem
       Zivilisten angeschossen und ebenfalls in eine Klinik gebracht.
       Medienberichten zufolge ist der Teenager mit Wadi Abu Ramoz verwandt, der
       am Mittwoch bei Zusammenstößen mit der Polizei von Kugeln aus den Gewehren
       israelischer Sicherheitskräfte getroffen wurde, nachdem er einen
       Molotow-Cocktail geworfen hatte. Freitagnacht war Ramoz im Krankenhaus an
       den Folgen seiner Verletzung gestorben.
       
       Der Angriff am Samstag folgte nur einige Stunden nach einem der schwersten
       Anschläge der vergangenen Jahre. Am Freitagabend hatte ein
       palästinensischer Angreifer [1][in der Nähe einer Synagoge in der
       Ostjerusalemer Siedlung Neve Yaakow auf Spaziergänger geschossen] und dabei
       sieben Israelis getötet und drei verletzt. Der 21-jährige Ostjerusalemer,
       der bisher den israelischen Sicherheitskräften nicht bekannt war, wurde von
       der Polizei getötet. Polizeiangaben zufolge wurden 42 Personen im
       Zusammenhang mit dem Anschlag am Freitag festgenommen, viele von ihnen
       Verwandte oder Bekannte des Attentäters.
       
       Ministerpräsident Benjamin Netanjahu besuchte den Tatort am Samstag und
       sprach den Familien sein Mitgefühl aus. Er rief die Israelis dazu auf, das
       Recht nicht in die eigene Hand zu nehmen. Auch der rechtsextreme Minister
       für Nationale Sicherheit, Itamar Ben Gvir, begab sich zum Schauplatz des
       Angriffs. Laut israelischen Medienberichten riefen ihm dabei einige zu:
       „Tod den Terroristen“.
       
       Hazem Qassem, der Sprecher der militanten Organisation Hamas, die den
       Gazastreifen kontrolliert, sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters,
       dass der Anschlag eine „Antwort auf die Verbrechen der Besatzungskräfte“ in
       Jenin sei. Palästinensischen Medienberichten zufolge feierten
       Palästinenser:innen in Gaza und im Westjordanland den Terroranschlag.
       Bekannt hat sich bislang keine Organisation zu den Attacken.
       
       Einen Tag zuvor hatte die israelische Armee eine Razzia in Jenin im
       besetzten Westjordanland durchgeführt, bei der neun
       Palästinenser:innen getötet, darunter eine ältere Frau, und
       mindestens zwanzig verletzt worden waren. Die Ereignisse riefen unter
       Palästinenser:innen Entsetzen hervor. Das Büro des palästinensischen
       Präsidenten Mahmoud Abbas nannte den Vorfall „ein Massaker der israelischen
       Besatzungsregierung“. Er rief eine dreitägige Trauer aus und kündigte die
       Sicherheitskooperation mit Israel auf.
       
       Laut palästinensischem Gesundheitsminister hat die israelische Armee
       außerdem Tränengas in einem Krankenhaus in Jenin versprüht und dabei
       Menschen verletzt. Die israelischen Sicherheitskräfte hätten die
       Rettungswagen daran gehindert, zu den Verletzten zu gelangen. Die
       israelische Armee sagte, sie hätten Mitglieder einer militanten Gruppe mit
       Verbindungen zum Islamischen Dschihad festnehmen wollen. Dabei sei es zu
       einem Feuergefecht mit palästinensischen Militanten gekommen.
       
       Die militante Organisation Hamas, die den Gazastreifen kontrolliert,
       feuerte in der Nacht darauf Raketen auf Israel ab. Das israelische Militär
       flog Vergeltungsschläge. Eine weitere Eskalation zwischen Gaza und Israel
       blieb aber bislang aus.
       
       2022 war das blutigste Jahr seit dem Ende der zweiten Intifada – laut der
       Menschenrechtsorganisation B'Tselem wurden fast 150
       Palästinenser:innen im Westjordanland vom israelischen Militär
       getötet. Mit der neuen rechtsextremen Regierung, in der radikale Siedler
       wie Itamar Ben Gvir und Bezalel Smotrich für die Politik im Westjordanland
       zentrale Ministerposten innehaben, deutet alles darauf hin, dass die
       Situation 2023 noch stärker eskalieren dürfte. Allein im Januar sind
       bislang 29 Palästinenser:innen im Westjordanland gewaltsam ums Leben
       gekommen.
       
       Einige Netanjahu-Kritiker:innen gehen davon aus, dass eine solche
       Eskalation dem Ministerpräsidenten gelegen käme, da sie von den
       Massenprotesten ablenken könnten, die seit einigen Wochen jeden
       Samstagabend stattfinden. Die Demonstrationen richten sich in erster Linie
       gegen die geplante Justizreform der neuen rechtsextremen und religiösen
       Regierung und den Abbau der Demokratie. In den kommenden Tagen wird sich
       zeigen, ob die Proteste durch die Ereignisse gedämpft oder sogar noch mehr
       Menschen auf die Straße ziehen werden.
       
       28 Jan 2023
       
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