# taz.de -- Nach den Erdbeben in der Türkei: Bedingt hilfsbereit
       
       > Der türkische Präsident besucht nach den Erdbeben ein betroffenes Gebiet.
       > Vorwürfe werden laut, dass Erdoğan den kurdischen Orten weniger hilft.
       
 (IMG) Bild: Erdoğan bei seinem Besuch in Kahramanmaraş
       
       Zwei Tage nach dem verheerenden [1][Erdbeben im Südosten der Türkei] hat
       Präsident Recep Tayyip Erdoğan sich am Mittwochmittag vor Ort ein Bild der
       Lage gemacht. Bei einem Auftritt im weitgehend zerstörten Kahramanmaraş,
       der Stadt, die am dichtesten am Epizentrum des Bebens liegt, versprach er
       den Betroffenen finanzielle Unterstützung und die Bereitstellung von
       Wohnraum. Er räumte ein, dass es am Montag, dem ersten Tag nach dem Beben,
       große Schwierigkeiten gegeben hat, genügend Hilfskräfte ins Erdbebengebiet
       zu bringen.
       
       Tatsächlich haben an verschiedenen Orten schon Betroffene wegen der
       mangelnden Hilfe protestiert. Als am Dienstagabend im fast völlig
       zerstörten Adıyaman der staatliche Gouverneur der Provinz zu den Bürgen
       sprechen wollte, wurde er ausgebuht und die Leute riefen: „Wo bleibt der
       Staat, warum hilft uns niemand?“
       
       Auch im ebenfalls massiv zerstörten Hatay erreichten erst am
       Dienstagnachmittag Hilfstrupps der staatlichen Katastrophenschutzbehörde
       Afad die Stadt. Immer wieder hatten betroffene Bewohner per Twitter da
       empört gefragt, wo denn der Staat nun bleibe, wenn er wirklich einmal
       gebraucht wird. Wohl in Reaktion auf die Proteste wurde am Mittwochmittag
       Twitter für die ganze Türkei gesperrt.
       
       Wohl auch wegen der aufgeladenen Stimmung war Erdoğan am Mittwoch doch
       selbst ins Katastrophengebiet gereist, zunächst in eine Stadt, die als
       Hochburg seiner AKP gilt. Im Stadion von Kahramanmaraş hat Afad ein
       Zeltlager aufgebaut, in dem zumindest ein kleiner Teil der Betroffenen
       Unterschlupf finden konnte.
       
       ## Erdoğan wirkt emotionslos
       
       Erdoğan besichtigte das Zeltlager und hielt dann dort eine kurze Ansprache.
       Der Präsident wirkte dabei seltsam emotionslos. Wie ein Nachrichtensprecher
       verkündete er die aktuelle Anzahl der Todesopfer – zu diesem Zeitpunkt in
       der Türkei knapp 9.000, – die Zahl der Verletzten – knapp 50.000 – und
       kündigte an, dass jede betroffene Familie als Soforthilfe 10.000 Lira –
       umgerechnet knapp 500 Euro bekommen soll.
       
       Außerdem verwies er darauf, dass seine Regierung die jetzt im Winter
       leerstehenden Hotels an der Mittelmeerküste, von Mersin bis Antalya, für
       obdachlose Erdbebenopfer frei machen will. Der Präsident war von seinen
       engsten Beratern und Bodygards umringt. Direkter Kontakt mit den
       verzweifelten Bewohnern von Kahramanmaraş wurde nicht zugelassen. Einen
       Gang durch das Trümmerfeld der Stadt sparte sich Erdoğan.
       
       Nach dem ersten Schock meldete sich am Mittwoch auch die Opposition zu
       Wort. Der Vorsitzende der CHP, Kemal Kılıçdaroğlu, beschwerte sich, dass
       wie schon bei der Versorgung der Bevölkerung während der Coronakrise auch
       jetzt wieder CHP-Bürgermeister in betroffenen Städten wie in Hatay von den
       staatlichen Gouverneuren offenbar auf Anweisung aus Ankara dabei behindert
       würden, selbst Hilfsmaßnahmen zu organisieren.
       
       Kılıçdaroğlu warf Erdoğan vor, in seinen 20 Jahren Regierungszeit keine
       effektive Vorsorge gegen Erdbeben ergriffen zu haben, und fragte, was
       eigentlich mit Geld aus der seit dem Beben von 1999 obligatorischen
       Erdbebensteuer geschehen sei. Nach offiziellen Angaben seien dort 4
       Milliarden Dollar angespart worden, während unabhängige Experten
       ausgerechnet haben, dass es eigentlich 35 Milliarden Dollar sein müssten.
       Korruption innerhalb der Regierung, so Kılıçdaroğlu, hätte wohl dazu
       geführt, dass das Geld versickert oder zweckentfremdet wurde.
       
       ## In Diyarbakir kommt kaum Hilfe an
       
       Auch die [2][kurdische HDP] macht der Regierung schwere Vorwürfe. So soll
       die sowieso schleppend angelaufene Hilfe in den betroffenen überwiegend
       kurdisch bewohnten Städten am allerwenigsten spürbar sein. In Diyarbakır,
       der größten kurdischen Stadt des Landes, komme so gut wie keine staatliche
       Hilfe an, beklagt die HDP. Deshalb hat die Partei jetzt angekündigt, alle
       anderen Aktivitäten einzustellen und sich nur noch darauf zu konzentrieren,
       Hilfe ins Erdbebengebiet zu schicken. Tatsächlich konzentriert sich die
       staatliche Hilfe bislang vor allem auf die Region Gaziantep, Kahramanmaraş,
       Sanliurfa und Malatya, alles Hochburgen der AKP.
       
       Allerdings sind mittlerweile auch internationale Hilfstrupps aus mehr als
       30 Ländern, darunter auch das Technische Hilfswerk aus Deutschland, mit
       Suchhunden und Spezialgerät in der Türkei eingetroffen. Die
       Hilfsorganisationen können auf noch intakte Flughäfen in der betroffenen
       Region eingeflogen und von dort aus schnell verteilt werden. Insgesamt sind
       aber am Mittwoch die Chancen nur noch gering, Überlebende unter den
       Trümmern zu finden.
       
       Zwei Tage und Nächte bei Minusgraden unter den eingestürzten Häusern haben
       wohl nur noch wenige überlebt. Viele Angehörige berichten Reportern vor
       Ort, dass die Stimmen ihrer Lieben in den Trümmern mittlerweile verstummt
       sind. Meistens können nur noch Leichen aus den Schutthaufen geborgen
       werden. Entsprechend schnell wächst die Zahl der offiziellen Todesopfer.
       
       8 Feb 2023
       
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