# taz.de -- Ausstellung über das Wünschen: Endorphine in Bewegung
       
       > Im Märchen sind Wünsche mächtig und gefährlich. Was das Wünschen heute
       > mit sozialen Medien zu tun hat, zeigt eine Ausstellung in Kassel.
       
 (IMG) Bild: In der Grimmwelt kann man sich auf der Schaukel fast den Wunsch des Fliegens erfüllen
       
       In der Welt scheint es ein stetiges Hintergrundsurren zu geben. Das sind
       die Krisen, die wie Entzündungsherde auf der Welt verteilt sind. Krisen
       lassen den Menschen hoffen, beten und wünschen. Auf Veränderung, die ein
       gutes Ende mit sich bringt. Das gute Ende, so sagen manche, gibt es nur im
       Märchen. Das Wünschen hingegen ist allgegenwärtig und birgt das Potenzial,
       eine Vision in Realität zu verwandeln.
       
       In der aktuellen Sonderausstellung „unmöglich? Die Magie der Wünsche“ in
       der [1][Grimmwelt in Kassel] geht es ums Wünschen und um Märchen. Die
       Designerin Hanna Krüger und der Designer Jakob Gebert aus Kassel haben das
       abwechslungsreiche Ausstellungskonzept entwickelt und kuratiert. Dieses ist
       in drei Bereiche unterteilt: Es beginnt mit dem Kapitel des Wünschens,
       gefolgt von den Möglichkeiten der Wunscherfüllung, den Abschluss bilden
       wiederum die unerreichbaren Wünsche, die Utopien.
       
       Am Eingang bekommen Besucherinnen und Besucher einen Plastikball, der in
       seiner Haptik und Größe auch aus einem Bällebad stammen könnte. Auf simple
       Weise schafft er es, neugierig zu machen. Gleich zu Beginn des
       Ausstellungsraums ist da ein knapp zwei Meter hoher Glasbehälter, der in
       seiner Kastenform zwar nicht an einen Brunnen aus einem Märchen erinnert;
       aber durch den Akt, die Bälle hineinzuwerfen, entsteht die Assoziation
       eines modernen „Wunschbrunnens“, wie im Titel der Installation.
       
       Er wird beschrieben als ein Ort der Transformation. Denn jeder der
       Plastikbälle wird mit einem eigenen Wunsch, leise oder laut ausgesprochen,
       in den großen Behälter verabschiedet. Ohne die einzelnen Wünsche zu kennen,
       wohnen den Bällen plötzlich Geschichten und eine Sehnsucht inne. Könnte man
       den einzelnen Bällen ihre Sehnsüchte ablesen, wären sicherlich schnell
       Gegensätzlichkeiten und Überschneidungen zu erkennen.
       
       ## Ein Delfin in der Kaffeetasse
       
       Wünschen und Träumen liegen nah beieinander. In dem 18 Sekunden lange Video
       „Kaffee“ von Rafael Sommerhalder ist eine kleine Illusion, ein simpler
       Tagtraum zu sehen: Aus einer Kaffeetasse springt hin und wieder ein Delfin
       heraus, um gleich wieder in der dunklen Brühe zu verschwinden. Entstanden
       ist die Idee, als sich in der Tasse des Künstlers vor ein paar Jahren ein
       Flugzeug spiegelte.
       
       Die Mittel der digitalen Bearbeitung tauchen in der Ausstellung nicht ohne
       Grund auf. In Märchen herrscht eine eigene Kausalität, die von
       Zauberkräften beeinflusst wird. Die digitale Welt mit
       Bearbeitungsprogrammen wie Photoshop erinnert in ihren Möglichkeiten oft an
       Zauberei. Programme können Illusionen entstehen lassen und visuelle Wünsche
       erfüllen.
       
       Dafür gibt es Tools, die sich „Zauberstab“ nennen und in der Lage sind, wie
       von Zauberhand Bildinhalte zu verändern und zu beeinflussen. In sozialen
       Medien kursieren diverse Filter, für alle frei zugänglich, die Menschen
       ihre Gesichter glätten lassen, Augenfarben verändern und ganze Gesichtszüge
       beeinflussen können. Da braucht es keine drei Haselnüsse. Körper und
       Gesichter werden in der digitalen Welt dann so verändert, dass nicht mehr
       differenziert werden kann, was echt und was verändert ist. Dies kann zu
       gefährlichen Verzerrungen der Realität führen.
       
       Der Verschmelzung des Analogen und des Digitalen begegnet man oft in der
       Ausstellung. So ist während des Rundgangs konstant ein leises Geräusch zu
       hören: nicht als „Hintergrundsurren“ der Krisen, sondern als kleine,
       harmlose Melodie, die von einer VR-Brille kommt. Wer diese Erfahrung machen
       möchte, bekommt die VR-Brille aufgesetzt, wenn er oder sie auf einer
       Schaukel mitten im Ausstellungsraum Platz nimmt.
       
       Die Brille ermöglicht eine dreidimensionale Rundumsicht animierter Bilder.
       In dem Fall ist es eine Welt, die wie aus einem Animationsfilm wirkt, von
       oben zu sehen. Die Bewegung des realen Schaukelns wird integriert in die
       virtuelle Welt. Der Flug, der sich ziemlich echt anfühlt, beginnt nah über
       der Erde und endet nach ein paar Minuten Endorphinausschüttung im Weltall.
       
       Durch sein Volumen und seine Größe zieht ein großer von der Decke
       schwebender Baum den Blick an. Eine Menge roter Ballons bildet die
       Baumkrone. Der Baum ist ein wiederkehrendes Symbol in Märchen. „Bäumchen,
       rüttel dich und schüttel dich, wirf Gold und Silber über mich“, sagt
       Aschenputtel im Märchen. Der Baum mit den Ballons stammt vom Künstler
       MyeongBeom Kim und erinnert an den [2][Animationsfilm „Oben“ von 2009], in
       dem etliche Ballons ein Haus fliegen lassen und forttragen.
       
       Animationsfilme knüpfen immer wieder an Märchen an und sind oft die moderne
       Version alter Geschichten. Was sie verbindet, sind moralische Fragen und
       hin und wieder das Gute, das am Ende siegt. Doch die ausgestellten
       Illustrationen zu den [3][Märchen der Brüder Grimm] lassen auch über einen
       Unterschied nachdenken. Denn sie zeigen überwiegend die gleichen
       Archetypen. Aktuelle Animationsfilme und Kinderbücher suchen dagegen oft
       nach neuen Repräsentanten der Märchenfiguren, differenziert in den
       Erscheinungsformen von Körpern und Hautfarben – und auch sie erfüllen damit
       einen gesellschaftlichen Wunsch.
       
       ## Böses Wünschen
       
       Das Gegenstück des Wünschens ist das Verwünschen. In Märchen ist es
       konkret, im realen Leben subtil. Während bei Dornröschen durch die
       Verwünschung einer gekränkten Fee ein ganzes Land über Jahre in tiefen
       Schlaf fällt, ist es die Eifersucht, die die bildende [4][Künstlerin Jenny
       Rova] in einer Arbeit thematisiert.
       
       In einem Heft mit dem Titel „I would also like to be – A work on jealousy“
       versammelt sie Fotos vom Facebook-Profil ihres Ex-Freundes. Es sind Fotos
       von ihm und seiner neuen Freundin. In ihren Fotocollagen hat sie sich
       selbst an die Stelle der Partnerin geklebt. Die Arbeit wird als
       Verarbeitung der eigenen Gefühle beschrieben. Zu sehen ist sie mit ihrem
       Kopf ruhend auf der Schulter des Ex-Partners, nah beieinander stehend in
       der Natur und in Einzelaufnahmen fotografiert aus seiner Perspektive.
       
       Sie selbst leitet das Heft mit den Worten „Ich spioniere meinen Ex-Partner
       und seine neue Freundin aus“ ein. Soziale Medien sind oft subtil
       übergriffig und bekannt dafür, das Potenzial zu besitzen, Wünsche und
       Sehnsüchte in Menschen zu erwecken, die abseits der Realität liegen. Der
       Akt des Downloadens aller Facebook-Fotos ist unangenehm vereinnahmend,
       macht deutlich, wie leicht es ist, sich unbemerkten Zugriff über andere
       Profile zu verschaffen.
       
       In Märchen spielt neben dem Wünschen das Ende eine zentrale Rolle. Hier
       entscheidet sich, wer siegt, stirbt oder glücklich wird. Die Ausstellung
       schließt mit der Frage „Happy End?“ ab. Mit der Freude, mit der man die
       Ausstellung verlässt, ist es für den Moment allemal ein gutes Ende.
       
       20 Jan 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.grimmwelt.de/de/
 (DIR) [2] /Neuer-Animationsfilm-Oben/!5156011
 (DIR) [3] /Henrik-Schrat-illustriert-Grimms-Maerchen/!5823194
 (DIR) [4] https://www.jennyrova.net/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Paula Marie Kehl
       
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