# taz.de -- Aktion der Letzten Generation: Mehr Störung ist besser
       
       > Die Letzte Generation hat in Berlin die Spitze des Weihnachtsbaumes am
       > Brandenburger Tor abgesägt. Eine wirkliche Störung des fossilen Alltags
       > ist das nicht.
       
 (IMG) Bild: Einfach geköpft: der Weihnachtsbaum
       
       Es ist ein Bild, das sich ins anarchistische Kollektivgedächnis eingebrannt
       hat: der brennende Weihnachtsbaum auf dem Syntagma-Platz während der
       massiven Ausschreitungen in Athen im Jahr 2008. Zusammen mit dem Slogan
       „Merry Crisis and a Happy New Fear“ stand er für den Bruch mit der
       kapitalistischen Scheinnormalität, die nach der Tötung eines 15-jährigen
       Jungen durch einen Polizisten im linken Stadtteil Exarchia untragbar
       geworden war.
       
       Gebrannt hat in Athen die kapitalistische Ordnung selbst – der brennende
       Weihnachtsbaum war ein Symbol, das den Aufstand anfachte.
       
       Dagegen mutet die neuste Aktion der Letzten Generation fast bürgerlich an:
       Am Mittwochmorgen haben Aktivist:innen die Spitze des Weihnachtsbaums
       am Brandenburger Tor abgesägt. Auf einem Transparent, das die Gruppe nach
       eigenen Angaben darunter angebracht hat, ist „Das ist nur die Spitze des
       Weihnachtsbaums“ zu lesen. „Wir sehen in Deutschland bisher nur die Spitze
       der darunter liegenden Katastrophe“, erklärt Sprecherin Lilli Gomez in
       einer Mitteilung.
       
       Auch die Aktion der Letzten Generation ist eine Kritik am weihnachtlichen
       Konsumfetisch im Globalen Norden. „Während ganz Deutschland die Woche damit
       verbringt, die besten Geschenke aus den größten Läden zu besorgen, fragen
       sich andere, woher sie ihr Wasser zum Trinken bekommen, nachdem Dürren und
       Fluten ihre Ernte vernichtet haben“, so Gomez weiter. Natürlich hat die
       Gruppe damit recht. Die deutsche Verdrängungsgesellschaft verdient es,
       gestört zu werden, an Weihnachten wie an jedem anderen Tag
       
       ## Bezug zwischen Aktionsform und Anliegen wichtig
       
       Doch muss man sich bei dieser spezifischen Aktionsform schon bemühen, den
       Zusammenhang zur Klimakrise noch zu erkennen. Das ist bei den Autobahn- und
       Flughafenblockaden anders. Glasklar wird hier fossile Alltagsinfrastruktur
       gestört, die dabei ist, die menschlichen Lebensgrundlagen auf diesem
       Planeten [1][wesentlich zu verschlechtern].
       
       Mache Linke mögen kritisieren, dass auch diese Aktionen zu wenig die
       industriellen Verpester in den Fokus nehmen. Der fossile Kapitalismus ist
       aber immer auch eine Alltagspraktik im Globalen Norden. Der Bezug zwischen
       Aktionsform und Anliegen ist klar hergestellt.
       
       Die Spitze des Weihnachtsbaumes abzusägen ist dagegen, nun, fast
       langweilig. Sicher: Die Springerpresse und andere reaktionäre Kräfte werden
       sich aufregen. Angesichts der diskursiven Entgleisungen der letzten Monate
       müsste man sich nicht wundern, wenn in den nächsten Stunden irgendein
       Kommentator einen Angriff auf das christliche Abendland entdeckt. Das Ziel
       der Aktion – Aufmerksamkeit zu generieren – wird die Letzte Generation also
       erreichen.
       
       [2][Ziviler Ungehorsam lebt aber davon], durch das bewusste Brechen von
       Gesetzen eine verdrängte Wahrheit ans Licht zu bringen. Die Aktionen
       sollten deshalb die nur scheinbare Normalität stören – doch dass am
       Brandenburger Tor ein Weihnachtsbaum geköpft wurde, wird, von einigen
       übereifrigen Kulturkämpfern einmal abgesehen, kaum jemanden interessieren.
       Für die nächsten Aktionen sollte die Gruppe wieder ihrer eigenen
       Protesttheorie gerecht werden – und wieder mehr stören.
       
       21 Dec 2022
       
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 (DIR) Timm Kühn
       
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