# taz.de -- Ukrainischer Alltag im Krieg: Im Schutzraum zu Techno tanzen
       
       > Trotz Krieges und Bombenangriffen geht das Leben weiter. Ob beim
       > Nachdenken über die Identität. Oder beim Feiern.
       
 (IMG) Bild: Kriegsalltag: Frauen im Kiew nutzen den U-Bahnhof als Bombenschutzraum
       
       Schon seit einigen Tagen ist Cherson wieder Teil der Ukraine. Die Stadt ist
       jetzt frei. Ich habe mit Cherson immer Wassermelonen assoziiert. Schon
       jetzt stelle ich mir vor, wie wir wieder unsere Melonen essen werden.
       Melonen aus Cherson – ukrainische Melonen. Die Wassermelone ist das Symbol
       der Stadt. Sogar in der Werbung tauchen diese saftigen Kürbisgewächse
       mittlerweile auf.
       
       Aber ich bin in Kiew und habe aktuell keine Lust auf Wassermelonen. Im
       Sonderangebot habe ich eine Flasche Rum gekauft und warte mitten auf einer
       Wiese auf meine Freunde. Es sind ziemlich viele Leute da. Während ich was
       von dem Rum trinke, schaue ich mir an, wie die Jugendlichen um mich herum
       Spaß haben. Man kann die Worte [1][„für Cherson“], „Ruhm der Ukraine“,
       „Ruhm der Nation“ hören. In diesem Augenblick verstehe ich, dass wir die
       Generation sind, die vor nichts Angst hat. Die Generation, die sich ihrer
       eigenen Identität bewusst ist, die weiß, wer sie ist und was uns alle
       verbindet.
       
       Das Einzige, was ich nicht verstehe, war, warum sie noch immer zu
       russischen Liedern tanzten. Als ob es keine ukrainischen Künstler*innen
       gäbe, [2][keine gute ukrainische Musik]. Aber vielleicht ist das schon so
       tief in uns verwurzelt, dass wir es gar nicht mehr bemerken. Klar, wir sind
       daran gewöhnt, diese bekannten russischsprachigen Künstler*innen zu
       hören, die gerade in sind. Gewohnheiten sind schwer zu durchbrechen, aber
       Gewohnheiten machen uns auch kaputt.
       
       Wir sprechen russisch, weil unsere Eltern so sprechen, und die sprechen so,
       weil auch ihre Eltern schon so gesprochen haben. Aber da waren die Zeiten
       auch andere. Und es scheint mir, [3][dass gerade wir diese Kette
       durchbrechen können], dass wir unsere Identität zeigen, unsere Kultur. An
       der Front zeigen Menschen Haltung durch Taten, aber wir können unsere durch
       Worte zeigen. Wir haben alle den gleichen Wunsch. Nur ist dieser Weg schwer
       und braucht Zeit.
       
       Ich hatte keine Lust mehr, darüber weiter nachzudenken. Deshalb beschloss
       ich, zum Feiern in einen Club zu gehen. Meine Freunde wollten nicht mit,
       sie wollten weiter trinken. Der Club ist in einem Kellerraum, in der Nähe
       des Denkmals für die Helden von Kruty. Innen gibt es zwei Bartresen und
       zwei Dancefloors mit unterschiedlicher Musik – dazwischen eine
       Raucherlounge. Im ersten Raum ist eine riesige Discokugel mit farbigen
       Lichteffekten, warm und angenehm und mit ebenso guter Musik. Im zweiten
       spielen sie Techno mit Scheinwerfern, Blitzen und monotonem Rhythmus. Mir
       gefällt der zweite.
       
       Im Grunde hat sich nichts geändert, die gleichen Leute, die gleiche Musik,
       die gleichen Getränke. Der Unterschied besteht nur darin, dass man über
       Handybenachrichtigungen über einen Luftalarm daran erinnert wird, dass im
       Land Krieg herrscht. Dann stellt man fest, dass man sich ja schon in einem
       Kellerraum befindet, also in einem Schutzraum und damit bereits in
       Sicherheit. Und dann tanzt man weiter.
       
       Aus dem Russischen [4][Gaby Coldewey] 
       
       Finanziert wird das Projekt von der [5][taz Panter Stiftung]. 
       
       Ein Sammelband mit Tagebüchern ist im Verlag [6][edition.fotoTAPETA]
       erschienen
       
       24 Nov 2022
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Alexandr Babakov
       
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