# taz.de -- DFB vor Auftakt in Katar: Zerbröselte Gewissheiten
       
       > Am Mittwoch startet Deutschland gegen Japan in die Fußball-WM. Die
       > DFB-Elf muss sich dabei daran gewöhnen, nicht mehr Turniermannschaft zu
       > sein.
       
 (IMG) Bild: Serge Gnabry, Thilo Kehrer und İlkay Gündoğan beim Training in Katar
       
       Doha taz | Manchmal zerbröseln auch im Fußball Gewissheiten, die
       anscheinend in Beton gegossen sind. Dass Deutschland eine Turniermannschaft
       sei, für immer und ewig, musste nach den vergangenen beiden großen
       Turnieren, der WM in Russland und der folgenden EM, revidiert werden. Ein
       paar Spieler leiden wohl immer noch an einer posttraumatischen
       Belastungsstörung, auch wenn Abwehrspieler Niklas Süle jetzt sagt, im
       Fußball interessiere die Vergangenheit nicht mehr.
       
       [1][Dass „Die Mannschaft“ 2018 schon in der Vorrunde nach Niederlagen gegen
       Mexiko und Südkorea scheiterte] und auch bei der Euro 2021 (eigentlich
       2020) nicht weiter als bis ins Achtelfinale gegen England (0:2) kam, zeigt
       einen Trend auf: Das DFB-Team ist in einer Umbruchphase, die auch dieses
       Turnier zu einer Camera obscura macht.
       
       Welches Bild in der Lochkamera entsteht, ist noch ungewiss, genauso wie die
       Stabilität der Abwehr, über die in den letzten Tagen häufig gesprochen
       wurde. Wie arrangiert Bundestrainer Hansi Flick die Defensive? Wie geht er
       damit um, dass er keinen kompakten Bayern-Block mehr hinten reinstellen
       kann? Setzt er eher auf offensive Außenverteidiger? Wie es scheint, wird
       Flick Niklas Süle und Antonio Rüdiger die Innenverteidigung überlassen,
       rechts außen könnte Thilo Kehrer auflaufen, links David Raum.
       
       Flick braucht Erfahrung und Solidität, das hat auch das letzte
       WM-Vorbereitungsspiel der DFB-Elf im Oman gezeigt, wo Raum, Ginter, Kehrer
       und Klostermann (von links nach rechts) mit der Torverhinderung betraut
       waren, aber einen eher wackligen Eindruck machten. Dem Überangebot an
       hochtalentierten offensiven Kräften, vor allem im Mittelfeld, steht eine
       Defensivabteilung gegenüber, deren Schlagkraft hinterfragt wird.
       
       ## „Schöne Atmosphäre“
       
       Rüdiger, Profi bei Real Madrid, spielt auf höchstem Niveau, wie vorher
       schon beim FC Chelsea, ist aber immer für einen Ausrutscher gut. Niklas
       Süle, vor Saisonbeginn vom FC Bayern zu Borussia Dortmund gewechselt,
       begann die Spielzeit mit einer Muskelverletzung und wurde von BVB-Trainer
       Edin Terzić ein paar Mal auf die Position des rechten Außenverteidigers
       gestellt. Auch Kehrer gibt an, alles spielen zu können. Überhaupt wollen
       sie alle da brav ihre Arbeit tun, wo sie vom Bundestrainer hingestellt
       werden, sagen sie, allzeit bereit zur großen Defensivrochade.
       
       Vor der Abwehr steht ein Duo, das über jeden Zweifel erhaben ist: Joshua
       Kimmich und Leon Goretzka als defensive Mittelfeldstrategen. Davor hat
       Flick die Qual der Wahl. Er wird wohl nach der Verletzung von Leroy Sané
       auf Serge Gnabry, Thomas Müller und Jamal Musiala zurückgreifen; das
       Bayern-Trio ist verlässlich und eingespielt. Ganz vorn: Kai Havertz vom FC
       Chelsea. Aber geht es ohne klassischen Stürmer wirklich?
       
       [2][Jamal Musiala sieht das alles „sehr relaxt“]: „Wir haben das Mindset,
       diese WM zu gewinnen“, sagt er unbekümmert. „Wir haben völliges Vertrauen
       in unsere Stärke“, assistiert Thilo Kehrer. Und Süle meint: „Wir haben
       einiges gutzumachen.“ Am Dienstag ist das DFB-Team zum ersten Mal nach Doha
       gefahren, hat das Teamquartier im Norden von Katar verlassen, das Stadion
       von Al Shamal, das wie eine Burg aussieht, das feine Zulal Welness Resort,
       wo der DFB-Tross vier Pavillons bewohnt und sich vom Stress mit
       Tischtennis, Basketball, Spielkonsolen und allerlei anderen Vergnügungen
       erholt. „Da können wir uns eine schöne Atmosphäre machen“, sagt Torwart
       Manuel Neuer. Die kennt er schon vom ebenfalls weit abgelegenen WM-Quartier
       aus dem Jahr 2014.
       
       Im [3][brasilianischen Santo André gedieh der Traum vom WM-Titel], fernab
       der Ströme und Hektik. Die Quartierwahl folgt wohl wieder dem Schema F des
       optimalen Turnierdesigns. In idyllischer Abgeschiedenheit muss nämlich
       reifen, was der Deutschen größtes Pfund ist: „Eine deutsche Mannschaft lebt
       immer von der Gruppe“, sagt DFB-Geschäftsführer Oliver Bierhoff. Und aus
       Gruppen werden in Splendid Isolation Turniermannschaften, also vielleicht.
       
       23 Nov 2022
       
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