# taz.de -- Afrika und der Ukraine-Krieg: Ein „peripherer“ Konflikt
       
       > Jeder in seiner eigenen Blase: Afrikas Öffentlichkeit reagiert auf den
       > Ukrainekrieg mit derselben Gleichgültigkeit wie Europa auf Konflikte in
       > Afrika.
       
 (IMG) Bild: Der Westen interessiert sich wenig für die Konflikte in Afrika, hier Tigray in Äthiopien
       
       Es gab Zeiten, da hielten in der taz manche Altlinke den
       Überschriftenvorschlag „Schwarze unter sich – 1000 Tote“ für lustig. Das
       war Anfang 1993, als in Zaire (heute Demokratische Republik Kongo) die
       Mobutu-Soldateska mit einem Terrorfeldzug die Demokratiebewegung zu
       zerschlagen versuchte.
       
       Der Titelvorschlag wurde nie gedruckt. Aber es war eine Zeit, als ein
       rassistisch geprägter Gesamteindruck des Weltgeschehens verbreitet war,
       nach dem Motto: Überall schlagen sich Schwarze gegenseitig die Köpfe ein.
       In Südafrika schürte das weiße Apartheidregime in den schwarzen Townships
       ethnische Gewalt mit Tausenden Toten. In den USA war von „black-on-black
       violence“ in vom Drogenkrieg gebeutelten Ghettos die Rede. [1][Der
       Völkermord an Ruandas Tutsi 1994] wurde anfangs als gegenseitiges
       Abschlachten von Hutu und Tutsi verfälscht dargestellt; „Stammeskonflikte“
       hieß das in Deutschland. Frankreichs damaliger sozialistischer Präsident
       François Mitterrand fiel dazu der infame Satz ein: „In diesen Ländern ist
       ein Völkermord nicht so wichtig.“
       
       Knapp 30 Jahre später ist das Bewusstsein für Rassismus weltweit gewachsen.
       Aber die Haltung hinter dem Gedanken „Schwarze unter sich“ lebt weiter. Mit
       Ausnahme von Konflikten, an denen islamistische Terrorgruppen beteiligt
       sind, praktiziert der Rest der Welt bei Kriegen in Afrika eine routinierte
       Indifferenz.
       
       Die Aufregung, wenn Diplomaten [2][das Vorgehen der Streitkräfte Äthiopiens
       in der aufständischen Provinz Tigray] als Völkermord bezeichnen oder auch
       nur davor warnen, ist größer als die über die Massaker oder die andauernde
       Hungerblockade. Beim internationalen Umgang mit Bürgerkriegen in der
       [3][Demokratischen Republik Kongo], Südsudan, Somalia, der
       Zentralafrikanischen Republik oder Nigeria hat die Wiederherstellung
       staatlicher Autorität Vorrang vor dem Schutz der Zivilbevölkerung, auch
       wenn Täter von Massakern Träger staatlicher Autorität sind.
       
       Wer genau da wen umbringt und warum oder welche Dynamik im Einzelnen hinter
       blutigen Verbrechen steht, ist nicht so wichtig. [4][Vor Kurzem töteten
       Sicherheitskräfte in Tschads Hauptstadt N’Djamena] mehrere Dutzend Menschen
       beim Niederschlagen von Protesten gegen den Verbleib des
       Übergangspräsidenten Mahamat Déby im Amt. Hat das außerhalb Afrikas
       irgendwen empört?
       
       Wen wundert es also, dass sich in Afrika kaum jemand über Russlands
       Angriffskrieg gegen die Ukraine aufregt. Die Regierungen der reichen
       Industrieländer haben nur wenig Verständnis dafür, dass sich Afrikas
       Öffentlichkeit für den Horror in der Ukraine genauso wenig interessiert wie
       Europas Öffentlichkeit für Konflikte in Afrika. Man enthält sich in der
       UNO, man benennt keine Verantwortlichen, man fordert alle gleichermaßen zu
       einer Lösung am Verhandlungstisch auf, aber man hält sich ansonsten heraus.
       Man beklagt westliche Doppelmoral: Der Westen betrieb einst den Sturz
       Gaddafis in Libyen, bekämpft aber die „Intervention“ Russlands in der
       Ukraine.
       
       Dass die Ukraine einen Abwehrkrieg gegen Russlands terroristisch
       vorgetragenen imperialen Herrschaftsanspruch führt und dass die Menschen um
       ihr Überleben kämpfen – das wird kaum wahrgenommen. Stimmen wie Ugandas
       Oppositionsführer Bobi Wine, der im September als erster und einziger
       afrikanischer Politiker in die Ukraine reiste und Butscha besuchte, bleiben
       einsame Rufer in der Wüste. „Die Tapferkeit, mit der Ukrainer sich
       Russlands Aggression widersetzen, lehrt all jene, die für Freiheit, Frieden
       und Selbstbestimmung kämpfen, dass sie selbst gegen eine Übermacht nie
       aufgeben sollen“, schrieb der Ugander damals und wurde prompt in seiner
       Heimat als Marionette der USA verunglimpft.
       
       Indifferenz beginnt in tonangebenden afrikanischen Kreisen vor der eigenen
       Haustür. Beim Aufeinanderprallen von Arm und Reich in Afrikas Megastädten
       ist Menschlichkeit selten. Afrikanische Regierungen kritisieren sich
       gegenseitig nie, außer aus propagandistischem Eigeninteresse. Die
       Aufarbeitung des Genozids in Ruanda wurde nicht von den Staaten Afrikas
       vorangetrieben, sondern von den Überlebenden und ihren Freunden weltweit.
       
       ## Solidarität mit den Tätern
       
       Die Den Haager Völkermordanklage gegen [5][Sudans Diktator Bashir] wegen
       der Massenmorde in Darfur sorgte für eine Welle der Solidarität
       afrikanischer Regierender nicht mit den Opfern, sondern mit dem Täter.
       Koloniales Unrecht anzumahnen ist vielfach Staatsdoktrin, postkoloniale
       Gerechtigkeit einzufordern kann lebensgefährlich sein, von Simbabwe bis
       Algerien.
       
       Für die Menschen in der Ukraine dürfte diese Gleichgültigkeit, die auf
       Hinnahme von Unrecht hinausläuft, unerträglich sein. Nicht viel anders geht
       es allerdings Menschen aus Kongo, Südsudan, Äthiopien, Zentralafrika und
       vielen anderen Kriegsländern, die sich schon viel länger mit europäischer
       Gleichgültigkeit konfrontiert sehen, wenn sie Zuflucht suchen oder auch nur
       Aufmerksamkeit. Das rächt sich irgendwann.
       
       ## „Nicht so wichtig“ im Weltgeschehen
       
       Ein kongolesischer Kommentator beschrieb neulich den Ukrainekrieg als
       „peripheren“ Konflikt, der das Weltgeschehen letztlich ebenso wenig prägen
       werde wie dereinst der Vietnamkrieg. „Nicht so wichtig“ also. Eine solche
       Analyse wird nachvollziehbar, wenn man die zentralen Ereignisse des 20.
       Jahrhunderts nicht im Zweiten Weltkrieg und im Ost-West-Konflikt verortet,
       sondern in der Auflösung der Kolonialreiche und in der Überwindung des
       europäischen Imperialismus. So gibt es etwa in Deutschland so gut wie kein
       Verständnis für eine Weltsicht, die Sklaverei und Kolonialismus in den
       Mittelpunkt der Weltgeschichte rückt.
       
       Eine afrikanische taz würde vielleicht für einen Ukraine-Bericht die
       Überschrift „Weiße unter sich – 1000 Tote“ erwägen. Der taz-Text über Zaire
       1993 erschien am Ende übrigens unter dem Titel „Blutiger Triumph für Zaires
       Diktator“: der Täter wurde benannt. Aber gelebte Solidarität über die
       Kontinente hinweg bleibt ein schöner Traum.
       
       31 Oct 2022
       
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