# taz.de -- Polizisten können Systemfehler sein: Moral in einer unmoralischen Welt
       
       > Polizisten sind auch nur Menschen. Manchmal kann sie das zu
       > Schwachstellen in immer unmenschlicheren Systemen machen.
       
 (IMG) Bild: Es soll sie geben, die Polizisten mit Herz
       
       Berlin taz | Im Zweizwerge-Verlag Berlin erschien vor einiger Zeit die
       Autobiografie eines Polizisten. Er las auf der Wache täglich die taz – um
       seine B.Z.- und Bild lesenden Kollegen zu provozieren, dann wurde er
       Kontaktbereichsbeamter (KOB) im Wedding, wobei er hoffte, aus der
       Bevölkerung heiße Tipps für irgendwelche kriminellen Handlungen zu
       bekommen, er wurde aber geradezu überhäuft von Denunziationen, was er
       zunächst sehr schätzte, aber dann schnell merkte, dass an all diesen
       Anschwärzungen nichts dran war.
       
       Enttäuscht gab er seinen KOB-Job auf – und wurde Personenschützer bei Willy
       Brandt, den er sehr schätzte und vor allem davor schützte, dass er als
       Regierender Bürgermeister besoffen gemacht wurde. Jedes Mal, wenn man
       „Cognac-Willy“ auf einer Versammlung von SPD-Genossen abfüllte, ging er
       nach einiger Zeit zu ihm und sagte laut: „Herr Brandt, der Wagen ist
       vorgefahren.“ Obwohl der die ganze Zeit vor der Tür stand. Aber Willy
       Brandt verstand, sagte „Letzte Runde“ und verschwand mit ihm.
       
       Die US-Wissenschaftlerin Shoshana Zuboff beschreibt das, was auf uns
       zukommt – wobei sie zuvörderst an die [1][elektronische
       Überwachungstechniken] denkt, die ständig vervollkommnet werden. So
       besitzen die Ehemänner in Saudi-Arabien zum Beispiel ein Smartphone, das
       Alarm gibt, wenn eine ihrer Ehefrauen sich dem Flughafen nähert.
       
       ## Polizisten können Sand im Getriebe sein
       
       Letzten Endes braucht aber auch die totale Überwachung Staatsdiener, die
       handfest eingreifen, also Polizisten, die den Überwachten oder Verdächtigen
       dingfest machen, also festnehmen.
       
       Und das ist die Schwachstelle aller Systeme. Der jüdische Schriftsteller
       und spätere Rundfunkredakteur Valentin Senger überlebte mit seiner Familie,
       weil ein Polizist in der Meldestelle den Eintrag „mosaischer Glaube“
       einfach löschte. Wer das heute angibt, der muss nur noch „Kultussteuern“
       zahlen.
       
       Am souveränsten war unser Dorfpolizist: Wenn er einen Bauernsohn zur
       Musterung für die Bundeswehr melden musste, ging er erst zu dessen Vater.
       Wenn der sagte, er bräuchte seinen Sohn unbedingt auf dem Hof, dann meldete
       er ihn nicht. Wenn der Abgabetermin für das Dieselrückzahlungsformular
       nahte, ging er zu den Bauern und füllte sie mit ihnen aus.
       
       Er besuchte regelmäßig meinen Vater, der für ihn einen Schnaps bereithielt,
       irgendwann zückte er sein Notizbuch und sagte: „Schorse, kann ich dir mal
       mein neues Gedicht vorlesen?! Einmal druckste er herum: „Was Unangenehmes
       diesmal, jemand hat dich angezeigt, weil du dein Haus schwarz gebaut hast.“
       Mit Hilfe des Dorfpolizisten kam mein Vater aber glimpflich davon.
       
       ## Dem unmenschlichen System entkommen
       
       Mein bayerischer Halbbruder lud mich einmal auf ein Dorffest ein, wo
       ausschließlich „Maß Bier“ ausgeschenkt wurde (in 1,069-Liter-Gläsern). Ich
       sagte, dass ich noch fahren müsse, er meinte daraufhin: „Bis zu drei Maß
       darfst du hier trinken, da sagen die Polizisten nichts.“ Auch im
       bayerischen Bischofsheim wurde mir in einer Kneipe gesagt: „Keine Gefahr,
       die Polizei hält dich nicht an, nur wenn oben im Walddorf die Bösen Onkelz
       spielen, werden ausnahmslos alle kontrolliert.“
       
       Am seltsamsten war ein Grenzpolizist am Grenzübergang Helmstedt/Marienborn.
       Gewöhnlich fragten die Grepos, ob man Waffen oder Funkgeräte dabeihatte, er
       fragte jedoch den Fahrer: „Was ist denn das, es riecht so komisch?“ Wir
       antworteten: „Haschisch“. „Und wie wirkt das?“, wollte er wissen. Es
       entspann sich daraufhin ein längeres Informationsgespräch. Als alles gesagt
       war, schenkten wir ihm ein Stück Haschisch.
       
       Irgendwann, als wir wieder mal nach Westberlin zurückfuhren, hatte „unser“
       Grepo erneut Dienst. Er grüßte uns wie alte Bekannte – und wir gaben ihm
       erneut ein Stück. Dann fragte er, was da auf dem Aschenbecher läge. Eine
       Purpfeife für Haschisch, antworteten wir und reichten sie ihm. Er besah sie
       sich so genau, dass wir sie ihm schließlich schenkten. Als ich das einer
       DDR-Dissidentin erzählte, war sie entsetzt, wie unmoralisch wir uns
       gegenüber der DDR-Staatsgewalt verhalten hatten. Dabei waren wir
       hocherfreut gewesen, dass einer von den „Organen“ sich so menschlich
       verhalten hatte.
       
       Das mögen alles Kleinigkeiten sein, aber sie sind wichtig, um den immer
       unmenschlicheren Systemen zu entkommen.
       
       26 Oct 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Helmut Höge
       
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