# taz.de -- Malen in der Nacht: Sich ins Dunkle wagen
       
       > Silke Silkeborg malt Städte und Landschaften in der Nacht. Das
       > Beleuchtete wird zum Blickfang. Sie sieht aber auch, dass uns die Nacht
       > verloren geht.
       
 (IMG) Bild: Silke Silkeborg in Sichtweite des Hamburger Flughafens
       
       Die Augustsonne verschwindet hinter dem Künstlerhaus Sootbörn, einem
       weißen, kastenförmigen Gebäude im Bauhausstil. Drinnen steht Silke
       Silkeborg in einer kleinen Küche und kocht sich einen Espresso. Die
       schmale Frau trägt eine Weste und Trekkingschuhe. Es ist 21.30 Uhr. Für
       sie beginnt jetzt der Arbeitstag.
       
       Nach dem letzten Schluck begibt sich Silkeborg, bepackt mit Reisetasche und
       Campingleuchte, Richtung Dach. Von dort ist der Hamburger Flughafen zu
       sehen. Den malt die Künstlerin; dafür ist sie nach Sootbörn gekommen. In
       der Dämmerung beginnt sie ihre Arbeit, doch am liebsten malt Silke
       Silkeborg seit fast zehn Jahren in den tiefsten Stunden der Nacht.
       
       Die Nacht hat eine lange Kulturgeschichte als Quelle künstlerischer
       Inspiration. Schon in der Antike sah man die Dämmerung und den Einbruch der
       Dunkelheit als Moment, in dem sich neue Perspektiven eröffnen.
       
       In der Romantik wurde die Nacht dann zum literarischen Motiv, sie
       symbolisierte das Geheimnisvolle und Mysteriöse, wie etwa Novalis in seinen
       „Hymnen an die Nacht“ beschreibt: „Himmlischer als jene blitzenden Sterne
       dünken uns die unendlichen Augen, die die Nacht in uns geöffnet.“ Und auch
       Hegel sprach im Jahr 1820 davon, wie die Eule der Minerva erst mit Einbruch
       der Dunkelheit ihren Flug beginnt.
       
       ## Von Flugzeugen und Ufos
       
       Die Nacht ist das Gegenstück zum Tag. Der steht für bewusstes Denken und
       vernünftiges Handeln. Die Nacht dagegen fürs Gedankenspinnen, fürs Träumen,
       fürs Begehren. Wenn Sichtbarkeit verschwindet, kann das unheimlich und
       bedrohlich wirken, und zugleich öffnet sich eine andere Wahrnehmung der
       Welt.
       
       Für Silke Silkeborg ist die Nacht und die Dunkelheit eine Zeit, in der sie
       ihren Gedanken freien Lauf lassen kann. Oben angekommen, legt sie eine
       kleine Leinwand auf den Boden und stellt ihre Farbpalette auf.
       
       Vom Dach aus blickt man direkt auf die Landebahn sowie das
       Flughafengebäude. Das Zirpen von Grillen wird von dem lauten Dröhnen der
       Flugzeuge unterbrochen. Noch sind die Konturen der Gebäude gut zu erkennen.
       Die Dämmerung dient als erste Orientierung, farblich spielt sie aber keine
       Rolle für die Bilder. Silkeborg setzt den ersten Pinselstrich auf, sie
       beginnt mit hellen Blau- und Grautönen, tupft und verstreicht die Farbe mit
       ihrem Finger, während es langsam dunkler wird. Jede Nacht entsteht ein
       neues Bild. Das ein oder andere Motiv überträgt die Künstlerin auch auf
       Großformate.
       
       Mit dem Verschwinden des Tageslichts werden die Flugzeuge zu kleinen
       blinkenden Lichtern am Himmel, die wie Ufos auf der Landebahn landen. Eine
       Reihe vom Bäumen wird zu einer dunklen Masse, das graue Flugfeld zu einem
       schwarzen Meer und der Flughafentower blinkt immer heller im Takt. Auf der
       gegenüberliegenden Seite des Flughafens steht der Mond am Himmel – mit
       warmem, hellem Licht.
       
       Seit der Industrialisierung versucht der Mensch, der Nacht Herr zu werden.
       Erst waren es Gaslaternen in den Straßen, dann kam das elektrische Licht.
       Großstädte wurden zu leuchtenden Metropolen.
       
       Das Licht veränderte die Stadt optisch und auch rhythmisch. Wo vormals Ruhe
       herrschte, öffneten Lokale, Revuen und Ballhäuser: Die Nacht wurde zum Tag.
       Eine Entwicklung, der viele anfangs kritisch gegenüber standen. Es wurde
       davor gewarnt, dass der Mensch damit in die Ordnung Gottes eingreife und zu
       Sünden anstifte. Der Dichter Baudelaire beschreibt etwa, wie die Nacht
       lediglich Gauner, Bettler und Ganoven auf die Straße lockt. Und der
       Philosoph Martin Heidegger schreibt im Jahr 1929, wie es zur Banalität
       geworden ist, dass „der Mensch täglich in die Nacht hineinschreitet. Denn
       gemeinhin macht er diese zum Tag, so wie er den Tag versteht, als
       Fortsetzung eines Betriebes und eines Taumels“.
       
       Andere sahen in der Erhellung der Nacht eine Chance, den Alltag und die
       Welt als neuen Raum zu entdecken. Ein Gedanke, der sich bereits in der
       Aufklärung etablierte. Damals hoffte man, mit dem Licht der Vernunft neue
       Erkenntnisse zu gewinnen.
       
       [1][Das Ungewisse, das Verborgene] aber ist es, was Silke Silkeborg
       interessiert. „Wir haben uns von der Dunkelheit entwöhnt“, sagt sie. Wer
       mit ihr auf dem Dach sitzt, sieht, wie die Nacht verschiedene Phasen und
       Farben durchläuft; der Himmel hat einen Rotstrich; das Flugfeld ist leicht
       violett.
       
       Die malerische Darstellung der Nacht ist realitätsnäher als die menschliche
       Wahrnehmung. Denn der Nachthimmel ist nicht schwarz, das menschliche Auge
       ist nur unfähig, die verschiedenen Farben des Himmels zu erkennen.
       
       Je länger man die grellen Lichter des Flughafens betrachtet, desto mehr
       verschwimmen sie, werden zu abstrakten Lichtpunkten in der Ferne. Und je
       dunkler die Nacht, desto mehr nehmen die Farbaufträge auf Silkeborgs
       Leinwand Form an. Aus kleinen Pinselstrichen entsteht ein Flughafentower,
       grüne Farbtupfer markieren die Leuchten an der Landebahn.
       
       Mittlerweile ist es nach 23 Uhr. Jetzt landet hier kein Flugzeug mehr. Das
       Zirpen der Grillen ist lauter zu hören, nur eine naheliegende Straße stört
       die Ruhe. Die feuchtkühle Luft beißt sich trotz des eigentlich warmen
       Sommerabends langsam unter die Haut.
       
       Dass die Nacht zum Tag wurde, ist für den Menschen im 21. Jahrhundert zur
       Selbstverständlichkeit geworden. Das wirft Fragen auf. Hell erleuchtete
       Straßen vermitteln zwar ein Gefühl der Sicherheit. Andererseits verbraucht
       die Straßenbeleuchtung viel Strom. Wurden im Zeitalter der
       Industrialisierung die Lichter der Stadt noch als Symbol für Fortschritt
       gelesen, hat sich aus ökologischen Gründen inzwischen Kritik
       eingeschlichen. Lichtsmog ist ein Stichwort.
       
       Laut einer Studie des Deutschen GeoForschungsZentrums (GFZ) aus dem Jahr
       2018 steigt die Lichtverschmutzung. Es liegt an der vermehrten Nutzung von
       LED-Lampen, die zwar günstiger und energieeffizienter sind, dafür aber viel
       heller als die zuvor verwendeten Lampen.
       
       ## Lichtverschmutzung ist ungesund
       
       Die wachsende Lichtverschmutzung hat gesundheitliche und ökologische
       Folgen. Nachtaktive Vögel und Insekten verlieren ihren Rhythmus und ihre
       Orientierung.
       
       Und zu viel künstliches Licht hält den Menschen davon ab, das Schlafhormon
       Melatonin zu produzieren und ruhig zu schlafen. Die Regeneration der Zellen
       ist gestört. Für Silkeborg indes sind die Lichter der Nacht Anker in ihren
       von Dunkel umgebenen Landschaften. Sie sieht die Ambivalenz.
       
       Der Umgang mit Licht und Dunkelheit muss neu gedacht werden. Dass als
       Reaktion auf die Energiekrise jetzt vielerorts die Fassadenbeleuchtung
       öffentlicher Gebäude sowie die Werbetafeln nachts abgeschaltet werden, ist
       ein erster Schritt. Je dunkler die Stadt, desto größer ist die Chance, auch
       in den Metropolen einmal wieder die Milchstraße zu sehen. „Der Mensch
       sollte öfters in den Sternenhimmel schauen, um weniger egoistisch zu
       werden“, sagt Silkeborg. Wer sich der Nacht aussetzt, erkennt auch seine
       eigene Begrenztheit im Universum.
       
       Damit ist die Nacht für Silkeborg eine Metapher für das Malen an sich. Die
       Dunkelheit lässt nur erahnen, welche Formen und Strukturen sich vor einem
       erstrecken. Dadurch entsteht ein freier Vorstellungsraum. Man sieht, was
       man sehen will. So bekommt die Nacht auch ihre ursprüngliche Bedeutung
       zurück: Sie wird ein Raum zum Träumen.
       
       25 Sep 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.youtube.com/watch?v=IIAya7S0fQE
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sabina Zollner
       
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       liebsten in einer Art Hundeperspektive. Wozu das alles? Um nicht in Routine
       zu verfallen. Ein Atelierbesuch.