# taz.de -- Solidarität mit den Schwächsten: Das System geht uns alle an
       
       > Wie werden in unserer Gesellschaft kranke oder schlicht hilfsbedürftige
       > Menschen behandelt? Diese Frage ist und bleibt zentral.
       
 (IMG) Bild: Es geht uns alle an, wenn Menschen, die helfen wollen, nicht mehr können
       
       Wir glauben oft, dass es uns nichts angeht, in welchem Zustand das
       Gesundheitssystem ist, solange wir jung sind, gesund sind, solange niemand
       in unserer Familie, von unseren Freund*innen krank ist. Wir glauben, dass
       wir nicht davon betroffen sind, solange es uns nicht betrifft.
       
       Vor zweieinhalb Jahren, als die Pandemie begann, merkten einige, dass das
       nicht ganz stimmt. So klatschten sie für die Menschen, die trotz Gefahr für
       die eigene Gesundheit und die ihrer Familien zur Arbeit gingen und die
       Kranken versorgten. Sie hörten, vielleicht zum ersten Mal, dass viele
       Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten, [1][nicht nur nicht zufrieden
       sind, sondern sich ständig am Rande des Burnouts bewegen.] Heute, im
       dritten Jahr der Pandemie, sind viele Menschen in den ihnen lieben Zustand
       zurückgekehrt, in dem sie sich so wenig Gedanken wie möglich über
       Krankheit, Kliniken und Krankenpfleger*innen machen müssen.
       
       Dabei ist die Frage, wie in unserer Gesellschaft kranke Menschen,
       hilfsbedürftige Menschen behandelt werden, zentral. Sie sagt so viel mehr
       aus als nur darüber, wie das alles in der Praxis organisiert wird.
       
       Diese Frage bestimmt, ob wir Krankheit als etwas sehen, das verwaltet wird,
       das ein kaputter Teil des Körpers ist, der wie bei einem kaputten Auto
       repariert werden muss. Oder ob wir den erkrankten Menschen als ganzen
       sehen, der fühlt, der glaubt, und der emotional versorgt werden muss,
       während das „kaputte“ Teil repariert wird.
       
       ## Forschung für was?
       
       Diese Frage bestimmt, ob erkrankte Menschen ihre Würde behalten, nicht zum
       Opfer werden, nicht zum hilflosen Objekt, sondern dazu angeregt und
       ermuntert werden, an ihre Kraft zu glauben, auch wenn sie Hilfe brauchen,
       an ihre eigene Gesundheit und Resilienz. Diese Frage bestimmt, in welche
       Forschung Geld gesteckt wird – nur in die Erkrankungen, an denen viel Geld
       verdient wird, oder in seltene Erkrankungen, die weniger Menschen
       betreffen, die aber genauso Behandlung brauchen, und bei deren Erforschung
       sich vielleicht Neues lernen lässt. Diese Frage bestimmt, ob Millionen
       Menschen tablettenabhängig werden, weil Tabletten Geld bringen: Warum soll
       man bei Schmerzen nicht gleich eine Tablette verschreiben, anstatt erst mal
       mit der Person zu sprechen?
       
       Diese Frage bestimmt, welche Leistungen Krankenkassen vergüten, wie hoch
       unsere Beiträge sind, wofür die Gemeinschaft zahlt und wofür nicht. Sie
       bestimmt, ob wir in Zukunft überhaupt noch Menschen haben, die sich um
       Erkrankte kümmern, denn nur, wer in Würde arbeitet, kann auch Würde geben.
       
       Diese Frage bestimmt, wie wir als Gesellschaft miteinander umgehen wollen,
       wie wir leben wollen. [2][Ich habe an dieser Stelle zwei Jahre über all
       diese Themen schreiben dürfen.] Diese Fragen, diese Aufgaben, verschwinden
       nicht, sie werden nur größer werden. Und wir sollten sie nie aus dem Blick
       verlieren. Denn sie gehen uns alle an.
       
       21 Aug 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gilda Sahebi
       
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