# taz.de -- Landwirtschaftsminister Cem Özdemir: Fänger von mehr Roggen
       
       > Angesichts der Engpässe auf den Agrarmärkten können Bauern hierzulande
       > nun begrenzt zusätzliches Getreide anbauen. Umweltverbände sind darüber
       > nicht erfreut.
       
 (IMG) Bild: Cem Özdemir (l.) begutachtet mit Joachim Rukwied, dem Präsidenten des Deutschen Bauernverbands, ein Getreidefeid
       
       Berlin dpa | Landwirte in Deutschland können angesichts [1][angespannter
       internationaler Agrarmärkte] infolge des Ukraine-Kriegs mehr Flächen zum
       Getreideanbau nutzen. Dazu sollen die EU-Neuregelungen zu
       Flächenstilllegung und Fruchtwechsel im kommenden Jahr einmalig ausgesetzt
       werden. Ziel ist es, die Versorgung mit Lebensmitteln zu sichern. Das sieht
       ein Kompromissvorschlag von Agrarminister Cem Özdemir vor. Der
       Bauernverband begrüßte den Schritt und betonte am Samstag, der Vorschlag
       des Grünen-Politikers komme in letzter Minute.
       
       Zustimmung kam auch aus Bundesländern sowie vom Koalitionspartner FDP. Die
       Umweltschutzorganisation Greenpeace warf Özdemir vor, dem Druck der
       Agrarlobby nachgegeben zu haben. Die Deutsche Umwelthilfe sieht eine
       „Torpedierung des Artenschutzes“.
       
       Özdemir will Bauern und Bäuerinnen ermöglichen, Agrarflächen für den Anbau
       bestimmter Pflanzen zur Nahrungsmittelproduktion länger zu nutzen. So
       sollen die eigentlich geplanten zusätzlichen Artenschutzflächen erst 2024
       eingeführt werden. Bauern könnten dann im kommenden Jahr auf diesen Flächen
       weiter Nahrungsmittel anbauen.
       
       Hintergrund sind ab 2023 greifende EU-Vorgaben, wonach ein Teil der
       Landwirtschaftsflächen dem [2][Artenschutz] dienen und zudem der Anbau
       derselben Ackerpflanze zwei Jahre in Folge auf derselben Fläche zum
       Bodenschutz grundsätzlich nicht mehr möglich sein soll. Die Umsetzung der
       Vorgaben hatte Brüssel aber den jeweiligen EU-Staaten überlassen. Özdemir
       hat nun den Bundesländern seinen Vorschlag zur Umsetzung der
       Kommissionsentscheidung unterbreitet, der ein Aussetzen von Fruchtwechsel
       und Flächenstilllegung vorsieht. Er braucht den Angaben zufolge die
       Zustimmung der Länder.
       
       ## EU folgt Özdemirs Vorschlag
       
       Nach Ministeriumsangaben soll die erstmalige verpflichtende
       Flächenstilllegung im kommenden Jahr einmalig ausgesetzt werden.
       Stattdessen solle weiter ein landwirtschaftlicher Anbau möglich sein,
       „allerdings im Sinne der Ziele des Kommissionsvorschlags eingeschränkt auf
       die Produktion von Nahrungsmitteln, daher auf die Kulturen Getreide (ohne
       Mais), Sonnenblumen und Hülsenfrüchte (ohne Soja)“, hieß es. Das gelte nur
       für die Flächen, die nicht bereits 2021 und 2022 als brachliegendes
       Ackerland ausgewiesen gewesen seien: „Die bestehenden Artenvielfaltsflächen
       werden dadurch weiterhin geschützt und können ihre Leistung für Natur- und
       Artenschutz sowie eine nachhaltige Landwirtschaft erbringen.“
       
       Zudem ist die EU den Angaben zufolge Özdemirs Vorschlag gefolgt und lässt
       eine Ausnahme beim Fruchtfolgenwechsel zu. Die entsprechende Regelung werde
       2023 einmalig ausgesetzt. Damit könnten Landwirte in Deutschland auf etwa
       380.000 Hektar ausnahmsweise Weizen nach Weizen anbauen. Nach
       wissenschaftlichen Berechnungen könnten damit bis zu 3,4 Millionen Tonnen
       Weizen angebaut werden. So gelinge es am besten, „die Getreideerträge in
       Deutschland stabil zu halten und damit zur Stabilität der Weltmärkte
       beizutragen“, hieß es.
       
       Özdemir sagte, Russlands Präsident [3][Wladimir Putin spiele mit dem
       Hunger], und er tue dies auf Kosten der Ärmsten in der Welt. Zugleich sei
       der Hunger bereits dort am größten, wo die Klimakrise schon schwere Folgen
       habe. „Für mich gilt daher, dass jede Maßnahme zur Lösung einer Krise
       darauf hin überprüft werden muss, dass sie eine andere nicht verschärft“,
       sagte der Grünen-Politiker mit Blick auf den Artenschutz. Die
       Landwirtschaft habe ein Angebot gemacht, durch Beibehalten der Produktion
       die Getreidemärkte zu beruhigen. Agrarbetriebe wüssten nun, was sie in
       wenigen Wochen aussäen dürften.
       
       Der Präsident des Deutschen Bauernverbands, Joachim Rukwied, nannte die
       Entscheidung überfällig, die in letzter Minute komme. Die Bauern hätten
       bereits mit der Anbauplanung für das kommende Jahr begonnen und bräuchten
       Planungssicherheit. Eine Aussetzung für ein Jahr ist aus Sicht Rukwieds
       nicht ausreichend. Um weiter eine sichere Lebensmittelversorgung
       gewährleisten und in Krisenzeiten reagieren zu können, müssten alle Flächen
       genutzt werden können, auf denen es landwirtschaftlich sinnvoll sei.
       
       Özdemir habe endlich eingelenkt, sagte Baden-Württembergs Minister für
       Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, Peter Hauk (CDU), der
       auch Sprecher der unionsgeführten Agrarressorts der Länder ist. Bayerns
       Agrarministerin Michaela Kaniber (CSU) nannte es „überfällig, jetzt die
       Spielräume, die die EU-Kommission eröffnet hat, zu nutzen und so
       Verantwortung für die Ernährungssicherung zu übernehmen“. Die
       stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Carina Konrad,
       forderte, die Regelungen schnell und rechtssicher umzusetzen, da die
       Aussaat bevorstehe. Unions-Fraktionsvize Steffen Bilger (CDU) sagte,
       Özdemir habe mit seinem parteitaktisch motivierten Zaudern wertvolle Zeit
       verspielt. Die Regeländerungen sehe er nur als ersten Schritt, sagte
       Bilger.
       
       Greenpeace-Experte Matthias Lambrecht kritisierte, die ohnehin viel zu
       geringen Flächen zum Schutz der Artenvielfalt würden so wirtschaftlichen
       Interessen geopfert. „Dabei ist die Ernährungssicherung in Kriegszeiten nur
       ein Vorwand, um wertvolle Biotope unterzupflügen“, sagte er. Dort
       angebauter Weizen würde erst im nächsten Jahr und in nicht ausreichender
       Menge zur Verfügung stehen, um der akuten globalen Hungerkrise wirkungsvoll
       zu begegnen. Mit einem [4][Ausstieg aus dem Biosprit] könnte umgehend ein
       Vielfaches der Getreidemenge bereitgestellt werden. Auch die Umwelthilfe
       fordert, jegliche Förderung für Agrosprit sofort zu beenden und Flächen für
       die Lebensmittelproduktion umzuwidmen.
       
       6 Aug 2022
       
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