# taz.de -- Trendwort „toxisch“: Vergiftete Vokabel
       
       > In Ratgebern heißt es stets: Trenne dich von „toxischen“ Leuten. Doch mit
       > dem Wort sollte man nicht Individuen bezeichnen, sondern komplexe
       > Probleme.
       
 (IMG) Bild: 2004 hatte „toxic“ schon mal eine Hochphase
       
       „Sieben Anzeichen, dass du die toxische Person bist“ lautet die Überschrift
       [1][eines Artikels bei Brigitte.de.] Ich ahne Übles. Aber ich mache den
       Test.
       
       „Du hast starke Verlustängste“, steht da als erstes Anzeichen. Dann: „Du
       kommunizierst deine Bedürfnisse nicht klar. Du sagst ‚alles okay‘, wenn es
       das nicht ist. Du tust Dinge für andere, weil du dich gut fühlen willst …“
       Ich muss nicht weiterlesen: Ich bin so was von „toxisch“. Irgendwo zwischen
       Asbest und Arsen.
       
       Schon klar, Brigitte.de reagiert hier sehr wahrscheinlich nur satirisch auf
       einen fragwürdigen Trend: Alle Leute, die einem nicht guttun, „toxisch“ zu
       nennen. „Jeder und alles ist plötzlich toxisch“, schreibt Brigitte.de.
       „aber nie wir.“
       
       Stimmt. Mit „Google Trends“ kann man sich anzeigen lassen, wie beliebt
       Suchbegriffe sind und waren. Das Interesse an dem Wort „toxic“ in den USA,
       wie auch an „toxisch“ in Deutschland, nimmt seit 2017 stetig zu. [2][2017
       war das Jahr, in dem die #MeToo-Bewegung] den Ausdruck „toxische
       Männlichkeit“ populär machte. Um zu sagen: „Hey, sexualisierte Gewalt ist
       überall, und sie vergiftet uns!“ Das Wort „toxisch“ hat sich seitdem
       verbreitet. Mit verfälschter Bedeutung.
       
       ## Keine Feel-good-Vokabel
       
       Beliebter als heute war der Suchbegriff nur mal kurz Anfang 2004. Da
       erschien [3][der Song von Britney Spears], Sie wissen schon, der mit den
       Geigen. „Don’t you know that you’re toxic?“ Wäh-wäh-wäwäwäh. Im selben Jahr
       sang die deutsche Castingband Nu Pagadi „Sweetest Poison“. 2004 war toxisch
       gleich sexy. Heute, im Dauerdiskurs über Gesundheit und schadstofffreie
       Ernährung ist das anders. Wer toxisch ist, gehört rausgeflusht. Der Chef,
       die Ex, die Eltern. Und am Ende – Brigitte.de-Plottwist – ich selbst. Dabei
       ist es [4][psychologisch fragwürdig] und [5][auch sonst umstritten], ob
       einzelne Menschen „toxisch“ sein können.
       
       „Toxisch“ im Zusammenhang mit #MeToo meinte auch nie einzelne Personen. Im
       Gegenteil. Es meint etwas, das schlecht für uns ist, ohne dass es dafür
       schlechte Menschen braucht. Zum Beispiel Aspekte von Männlichkeit.
       Machtgehabe, Dominanz, das Gerangel um die höheren Plätze in der
       Genderordnung. Grapschen, Schlagen oder subtiler, Sprüche über Aussehen
       und sexuelle Leistung. Ein frustrierter Mann demütigt den anderen vor den
       Kumpels. Der wiederum belästigt eine Kollegin. Die lässt ihren Frust an der
       Putzfrau aus. Das Gift gleitet durch die Nervenbahnen der Gesellschaft wie
       Quecksilber. Sammelt sich bei denen, die niemanden mehr „unter“ sich haben:
       prekäres Servicepersonal, Sexarbeiter*innen, Kinder, Papierlose.
       
       „Toxisch“ ist ein Wort für komplexe Probleme. Es ist nicht dafür da, um
       Personen als ungesund zu definieren und wegzudetoxen. Es ist auch keine
       Feel-good-Vokabel für die nächste Trennung. Ich bin nicht toxisch, Sie sind
       nicht toxisch, Ihr Chef und Ihre Ex auch nicht. Niemand ist toxisch. Außer
       bei Britney natürlich. Wäh-wäh-wäwäwäh.
       
       19 Aug 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.brigitte.de/liebe/beziehung/7-warnsignale--dass-du-eine-toxische-person-sein-koenntest-12448024.htm
 (DIR) [2] /Schwerpunkt-metoo/!t5455381
 (DIR) [3] /Generation-Z-mag-musikalischen-Trash/!5807109
 (DIR) [4] https://www.psychologie-heute.de/beziehung/artikel-detailansicht/42064-der-begriff-toxisch-spaltet-das-stoert-stefan-junker.html
 (DIR) [5] https://www.theguardian.com/commentisfree/2021/jul/26/toxic-people-behavior-blame-psychology
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Peter Weissenburger
       
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