# taz.de -- Razzien in der Schwulenszene: „Man kann sich nie sicher sein“
       
       > In Malaysia ist die Diskriminierung von LGBT-Menschen an der Tagesordnung
       > und wird politisch instrumentalisiert. Gefürchtet sind Zwangstherapien.
       
 (IMG) Bild: Prominentestes Opfer: Anwar Ibrahim wurden zwei angebliche homosexuelle Affären angedichtet
       
       Kuala Lumpur taz | Amir trifft sich jeden Dienstagabend mit ein paar
       Freunden in einer der Kneipen in der Changkat Bukit Bintang in Malaysias
       Metropole Kuala Lumpur zum Plausch beim Bier. Der Stammtisch ist ein
       illustrer Mix aus Malaien, chinesischstämmigen Malaysiern und europäischen
       Expats. Neben ihrer Freundschaft verbindet die Stammtischclique ihre
       sexuelle Orientierung: Sie sind schwul.
       
       „In Changkat Bukit Bintang können wir uns treffen. Das ist ungefährlich.
       Hier sind alle Lokale schwulenfreundlich“, sagt Amir. Seinen richtigen
       Namen will der 42-Jährige aber lieber nicht in der Zeitung sehen. Denn als
       Malaie ist er offiziell Muslim. Nicht islamkonform zu sein, ist im
       mehrheitlich islamischen Malaysia offiziell ein Tabu.
       
       Amir ist ein Freigeist, der sich weder von der Religion noch von der
       Politik vorschreiben lässt, wie er zu leben und zu denken hat. Trotzdem
       würde er aber nicht in Kuala Lumpurs älteste und vermutlich inzwischen
       einzige Schwulenbar Blue Boy in der Nähe der trubeligen Kneipengasse
       Changkat Bukit Bintang gehen. „Das ist zu gefährlich. Es finden immer mal
       wieder Razzien statt.“
       
       Die zielen auf schwule muslimische Malaien ab. Wer in eine dieser Razzien
       gerät, muss eine Strafe zahlen, sich regelmäßig bei der Polizei melden und
       kommt vielleicht sogar ins Gefängnis.
       
       ## Unklare Strafen bei Polizeirazzien
       
       Homosexualität ist in Malaysia gesetzlich verboten. „Welche Art von
       Sanktionen einem drohen, hängt davon ab, ob sich die Polizei auf weltliche
       Gesetze oder auf die Scharia bezieht“, sagt Amir.
       
       Das Schlimmste aber, was Schwulen, Lesben oder Transsexuellen in Malaysia
       drohen kann, ist die zwangsweise Teilnahme an staatlich finanzierten
       Mukhayyam- oder „Rehabilitationsprogrammen“ für LGTB. In diesen von der
       Islambehörde Jakim finanzierten Seminaren sollen LGTB wieder auf den
       rechten spirituellen islamischen Weg geführt werden.
       
       Mit Stand Juni 2021 hatten mindestens 1.733 Menschen an solchen Programmen
       mit psychologischen, medizinischen und religiösen Therapien teilgenommen,
       hieß es in einem an diesem Donnerstag veröffentlichten [1][Report] mit dem
       Titel „Ich will mich nicht ändern: Anti-LGBT Konversionspraktiken,
       Diskriminierung und Gewalt in Malaysia“ der internationalen
       Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) und der malaysischen
       Transsexuellenorganisation [2][Justice for Sisters].
       
       „Betroffen sind LGBT-Menschen aus vulnerablen Gruppen sowie Schüler und
       Studierende“, sagt Thilaga Sulathireh von Justice for Sisters zur taz.
       
       ## Gewaltsame Änderung der sexuellen Orientierung
       
       Die Betroffenen dieser „Rehabilitationsprogramme“ werden nicht, wie zum
       Teil noch in den USA, einer Elektroschocktherapie unterzogen. „Aber jede
       Form des Zwangs zur Änderung der sexuellen Orientierung ist Gewalt“,
       betonte Sulathireh Amy, eine trans Frau, die an so einem Mukhayyam
       teilnahm, in dem Bericht: „Sie wollten uns mit sanftem Druck einer
       Gehirnwäsche unterziehen. Sie bringen Begräbnisrituale zur Sprache. ‚Was
       wirst du tun, wenn du stirbst? Denken Sie an Ihre Familie‘ … Es geht nicht
       nur um Bestattungsrituale, sondern auch um das Leben nach dem Tod. Sie
       werden Dinge sagen wie: ‚Wenn du stirbst, wirst du gefragt, was du im Leben
       getan hast.‘ “
       
       Die Mukhayyam-Programme sind nur der Gipfel der seit zehn Jahren
       zunehmenden LGBT-Diskriminierung. Veranstaltungen wurden verboten, Filme
       und Musik mit homosexuellen Bezügen zensiert, studentische LGBT-Gruppen an
       Universitäten unterdrückt.
       
       Malaysias prominentester Oppositionspolitiker Anwar Ibrahim wurde zweimal
       in den letzten beiden Jahrzehnten wegen angeblicher Homosexualität zu
       Haftstrafen verurteilt, weil er zur Gefahr für die Macht der regierenden
       Umno-Partei und ihrer Partner geworden war.
       
       „Die Anwendung der Gesetze durch die Regierung zur strafrechtlichen
       Verfolgung von LGBT-Personen ist nur ein Teil der Geschichte in Malaysia“,
       sagt Kyle Knight, LGBT-Experte von HRW, bei der Vorstellung des Reports in
       Kuala Lumpur.
       
       ## Furcht vor der islamischen Staatsmacht
       
       „Allgegenwärtige Antipathie gegenüber sexueller und geschlechtsspezifischer
       Vielfalt beeinflusst Strafverfolgung, Gerichtsurteile, Familienverhalten
       und den öffentlichen Diskurs in den Medien gegenüber LGBT-Personen.“
       
       Die Furcht vor der islamischen Staatsmacht ist im multiethnischen und
       multireligiösen Malaysia inzwischen so verbreitet, dass viele
       LGBT-Aktivisten nicht mehr mit Medienvertretern sprechen wollen. „Über
       Religion zu sprechen ist im gegenwärtigen politischen Klima nicht so
       opportun“, sagt die mit internationalen Menschenrechtspreisen geehrte Nisha
       Ayub.
       
       ## Die Angst davor, Religion zu hinterfragen
       
       „Malaysische Politiker benutzen Religion als politische Waffe“, sagt die
       transsexuelle Frau und fügt hinzu: „Die Menschen hier haben Angst, Religion
       zu hinterfragen.“
       
       Das gegenwärtige politische Klima wird bestimmt von den kommenden
       Parlamentswahlen. Die stehen zwar turnusmäßig erst 2023 an, aber es
       verdichten sich Anzeichen für baldige vorgezogene Neuwahlen. Während die
       Städte inzwischen Hochburgen der Opposition sind, müssen die
       malaiisch-nationalistischen Regierungsparteien für ihren Machterhalt die
       konservative muslimische malaiische Landbevölkerung bei der Stange halten.
       
       Das geschieht seit Jahren mit der Hetze gegen ethnische, religiöse oder
       sexuelle Minderheiten. „Sie fahren Anti-LGBT-Kampagnen vor Wahlen oder um
       von Skandalen abzulenken“, sagt Amir beim Bier in der Changkat Bukit
       Bintang: „Oder auch einfach mal so, man kann sich nie sicher sein.“
       
       10 Aug 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.hrw.org/news/2022/08/10/malaysia-state-backed-discrimination-harms-lgbt-people
 (DIR) [2] https://justiceforsisters.wordpress.com/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Harald Bach
       
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