# taz.de -- DAAD-Präsident über Kürzungen: „Digitale Lehre hat ihre Grenzen“
       
       > Dem DAAD-Präsidenten Joybrato Mukherjee machen die geplanten
       > Mittelkürzungen Sorgen. Er fordert mehr Geld für den internationalen
       > Hochschulaustausch.
       
 (IMG) Bild: Studis frieren gegen Putin? Das wäre wohl zu schwer zu vermitteln
       
       taz: Herr Mukherjee, die Bundesregierung will dem DAAD und auch der
       Humboldt-Stiftung Mittel kürzen, obwohl sie im Koalitionsvertrag noch eine
       jährliche Erhöhung versprochen hat. Fühlen Sie sich geprellt? 
       
       Joybrato Mukherjee: Geprellt würde ich nicht sagen. Wir nehmen ja zur
       Kenntnis, dass die Welt im Sommer 2022 anders aussieht als noch vor einem
       Jahr. Aber gerade in diesen Zeiten ist die internationale
       Hochschulzusammenarbeit, die auswärtige Kultur-, Wissenschafts- und
       Bildungspolitik, wichtiger denn je. Wir gehen deshalb davon aus, dass die
       Zusage zur Stärkung der internationalen Hochschulzusammenarbeit weiterhin
       gilt und die Bundesregierung ihre Ankündigungen aus dem Koalitionsvertrag
       in dieser Legislaturperiode umsetzt.
       
       Die Ampel begründet die Sparvorgaben mit den hohen Ausgaben in der Corona-
       und nun der Ukrainekrise. 2023 soll auch die [1][Schuldenbremse wieder
       greifen]. Was entgegnen Sie? 
       
       Ich kann die haushaltspolitischen Gründe, die vorgebracht werden, allesamt
       gut nachvollziehen. Aber es ist in einem großen Bundeshaushalt auch immer
       eine Frage der Prioritätensetzung. Und da werden wir im weiteren
       parlamentarischen Prozess natürlich noch mit Mitgliedern des Bundestages
       sprechen und klarmachen, dass wir die Aussagen und Festlegungen des
       Koalitionsvertrages für absolut richtig halten und uns wünschen, dass der
       Haushalt entsprechend angepasst wird.
       
       Sie haben angekündigt, wegen der Sparpläne [2][bis zu 6.000 Stipendien
       streichen] zu müssen. Wen wird das treffen? 
       
       Wenn es bei den aktuellen Haushaltszahlen bleibt, werden wir ab dem
       kommenden Jahr vor allem bei den langfristigen Studien- und
       Promotionsstipendien für ausländische Studierende und Forschende streichen.
       Auch alle Kurzzeitförderungen wie Hochschulsommerkurse und ‑winterkurse
       oder Vortrags- oder Kongressreisen für Promovierende und Postdocs fielen
       dann weg. Ein weiterer Bereich, bei dem wir einsparen müssten, sind
       Lektorate an ausländischen Hochschulen. Da werden wir im kommenden Jahr
       vermutlich keine frei werdenden Stellen mit Geförderten nachbesetzen
       können.
       
       Der Präsident der Freien Universität Berlin, Günter M. Ziegler, hat
       kritisiert, dass wegen der geplanten Kürzungen nun Mittel fehlen würden,
       die für geflohene Studierende aus der Ukraine gedacht waren. Stimmt das? 
       
       Wir werden spätestens im kommenden Jahr bei dem Programm Stibet sparen
       müssen, das für die Betreuung ausländischer Studierender äußerst wichtig
       ist. Natürlich leiden geflüchtete Studierende wie aus der Ukraine darunter
       besonders stark, da hat Herr Ziegler völlig recht. Man hätte als Beispiel
       aber genauso Studierende aus Syrien oder Afghanistan heranziehen können.
       Man muss dazu aber sagen, dass die Hochschulen in diesem Jahr aus dem
       Ergänzungshaushalt einmalige Ukrainezahlungen erhalten könnten, 27
       Millionen allein vom Auswärtigen Amt. Bei diesen Mitteln ist aber das
       Problem, dass wir sie momentan nicht ins kommende Jahr übertragen können.
       Wenn wir im Herbst einen ukrainischen Studierenden fördern wollten, müssten
       wir die Förderung am 31. Dezember einstellen. Das ergibt natürlich wenig
       Sinn. Da kämpfen wir aktuell für eine sinnvolle Lösung.
       
       Aber brauchen die Hochschulen wirklich den DAAD oder das Auswärtige Amt, um
       zu helfen? Gerade haben die Universitäten Köln und Bonn eine
       [3][Exil-Akademie] für ukrainische, russische und belarussische
       Forscher:innen eröffnet. 
       
       Die Exil-Akademie ist eine sehr gute Initiative. Viele andere Hochschulen
       engagieren sich ebenso. Meine Universität in Gießen beispielsweise hat
       schon mehr als 600.000 Euro aus eigenen und umgewidmeten Mitteln für unsere
       300 ukrainischen Studierenden ausgegeben. Man darf aber nicht verkennen:
       Die Universitäten Köln und Bonn sind sehr große Universitäten mit
       entsprechenden finanziellen Möglichkeiten. Kleinere Hochschulen sind dazu
       nicht in der Lage, da muss man sich auch ehrlich machen.
       
       Die EU hat vor Kurzem die Ausgaben für das [4][Austauschprogramm Erasmus
       verdoppelt]. Allein für deutsche Hochschulen stehen in den kommenden Jahren
       dafür 1,4 Milliarden Euro bereit. Wiegt das die deutschen Mittelkürzungen
       nicht um ein Vielfaches auf? 
       
       Nein. Zum einen steigt der EU-Haushalt nicht linear. Das heißt, die großen
       Wachstumsraten im Erasmus-Programm werden wir erst gegen Ende des
       siebenjährigen Förderzeitraums bekommen, also ab 2025. Das hilft uns jetzt
       also nicht. Davon abgesehen dienen die Erasmusmittel aber vor allem dem
       innereuropäischen Austausch und können nicht einfach für andere Programme
       umgewidmet werden. Dennoch hilft uns das steigende EU-Budget, um
       langfristig Mitarbeiter:innen aus auslaufenden oder gestrichenen
       Programmen weiter beschäftigen zu können.
       
       Die EU investiert in Austauschprogramme, Deutschland kürzt. Wie passt das
       zusammen? 
       
       Der EU-Haushalt wird ja von den Mitgliedsstaaten bestritten und Deutschland
       ist dabei der wichtigste Mittelgeber. Insofern ist die Bundesrepublik
       maßgeblich auch an dieser Investition beteiligt. Dennoch würden wir uns
       wünschen, dass Deutschland die Mittel für den internationalen Austausch im
       Gleichklang mit der Union stärkt. Wir sollten nicht davon ausgehen, dass
       unsere Hochschulen die nächsten Jahre in Wohlstand baden werden. Auf sie
       kommen enorme Belastungen zu, allein schon aufgrund der
       Energiepreisentwicklung. Jede Hochschule hat einen sehr hohen
       Energieverbrauch. Auf uns kommen sehr herausfordernde Zeiten zu.
       
       Manche Ministerien prüfen aktuell, ob sie Mitarbeiter:innen im Winter
       wieder ins Homeoffice schicken, [5][um Heizkosten zu sparen]. Gibt es
       solche Überlegungen auch an den Hochschulen? 
       
       Ja, die gibt es. So stehe ich in Gießen mit den anderen hessischen
       Hochschulpräsident:innen und mit unserem Ministerium im Austausch.
       Vergangene Woche haben wir auch in der Hochschulrektorenkonferenz über
       dieses Thema gesprochen. Wir prüfen momentan sehr unterschiedliche
       Maßnahmen: Ob wir die Heizkosten über abgesenkte Temperaturen oder
       Gebäudeschließungen senken können. Ob es wirklich sinnvoll ist,
       Mitarbeiter:innen ins Homeoffice zu schicken und Lehrveranstaltungen
       wieder digital anzubieten. Aber auch: Welche Infrastruktur im Falle einer
       zusammenbrechenden Gasversorgung unbedingt aufrechterhalten werden muss.
       Das sind alles keine trivialen Fragen. Wir müssen sie jetzt im Sommer
       klären.
       
       Was halten Sie davon, zum digitalen Studium zurückzukehren? 
       
       Auf den ersten Blick hört sich das machbar und sinnvoll an: Dann machen wir
       digitale Lehre wie zu Beginn der Pandemie – und die Universität spart
       Heizkosten! Die Heizkosten entstehen dann aber woanders, im privaten
       Bereich. Wir outsourcen dann die galoppierenden Energiekosten hin zu den
       Studierenden, zu den monetär Schwächsten an der Hochschule. Kann das
       gewollt sein? Müssten wir das nicht auffangen mit einer Unterstützung für
       diejenigen, die im privaten Bereich die Energiekosten tragen, die die
       Universität im öffentlichen Bereich spart?
       
       Das heißt, an Ihrer Universität ist ein komplett digitales Semester
       ausgeschlossen? 
       
       Ich glaube nicht, dass wir aus den genannten Gründen wieder flächendeckend
       auf digitale Lehre umsteigen werden. Ich sehe schon die Überschrift: „Uni
       spart Geld auf Kosten der Studis“. Die Situation ist nicht mit den
       vergangenen beiden Coronajahren zu vergleichen. Dazu kommt, dass die
       digitale Lehre auch ihre Grenzen hat. Ich sehe als die Hauptsäule eine
       energiearme Präsenzlehre. Also so weit wie möglich in Präsenz unterrichten
       und gleichzeitig den Energieverbrauch so gut es geht minimieren.
       
       Wie viel ist denn realistisch? 
       
       Wir haben an unserer Universität weit über 200 Gebäude an verschiedenen
       Standorten. Ihre Frage ist deshalb gar nicht so einfach zu beantworten. Wir
       hängen in Gießen zu einem großen Teil an der Fernwärme und die wird ja zu
       einem erheblichen Teil über Gas produziert. Deswegen trifft uns die
       Gaspreisentwicklung auch sehr hart. In diesem Jahr werden wir
       Energiemehrkosten von voraussichtlich fast 10 Millionen Euro haben, bei
       27.000 Studierenden und 6.000 Beschäftigten.
       
       19 Jul 2022
       
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