# taz.de -- Migrationsgeschichte im Journalismus: Wir sind noch nicht so weit
       
       > Einst schrieb unsere Autorin einen wütenden Text. Sie wollte nicht nur
       > „Ausländerthemen“ haben. Heute sieht sie es anders.
       
 (IMG) Bild: Hat sich die Fremdzuschreibung als Migrant*innen-Viertel ebenfalls positiv angeeignet: Kreuzberg
       
       Zu Beginn meiner journalistischen Karriere hatte ich vor allem: Sorgen. Ich
       machte mir viele Gedanken darum, was für eine Journalistin ich sein wollte
       oder eher nicht sein wollte. Kein Boulevard, kein Lokal- oder
       Musikjournalismus. Vor allem wollte ich auf keinen Fall die
       Quotenausländerin sein. Ich wollte mich weder mit den [1][Themen der
       „Migration“] noch der der „Integration“ befassen.
       
       Es ging so weit, dass ich [2][einen wütenden Text] über die Erwartungen an
       Journalist*innen mit Migrationshintergrund schrieb. Absatz über Absatz
       empörte ich mich darüber, wie häufig ich von Kolleg*innen zu
       Migrationsthemen angefragt wurde. Dabei hatte ich zu dem Zeitpunkt nie
       gezeigt, dass ich mich dafür irgendwie interessiere. Ich fühlte mich
       aufgrund meiner Herkunft in eine journalistische Ecke gedrängt und brach
       aus, indem ich betonte, nicht mehr über Migration zu schreiben.
       
       Das ist sechs Jahre her, und oberflächlich gesehen habe ich alles erreicht,
       was ich wollte. Ich betreibe vor allem Medien- und Debattenanalyse in der
       Popkultur und den sozialen Medien. Es macht mir Spaß, ich habe meinen Ton
       gefunden, doch fehlte mir etwas. Immer wieder hatte ich das Gefühl, dass
       mein großkotziger Rant zwar immer noch richtige Aspekte beinhaltet, mich
       aber vor allem einschränkte. Der Ton, die Aggressivität, die Eindeutigkeit
       – das war nicht mehr ich.
       
       In den vergangenen Jahren habe ich dann doch Artikel zum Themenkomplex
       „Migration“ geschrieben. Ich habe untersucht, wie muslimische Minderheiten
       in den Medien dargestellt werden. Diese Texte waren richtig und wichtig,
       ich kam mir aber dennoch wie eine Versagerin vor, die ihren eigenen
       Ankündigungen nicht gerecht geworden ist.
       
       ## Nicht einen auf Bushido machen
       
       Klar, könnte ich jetzt [3][einen auf Bushido machen] und sagen: „Zeiten
       ändern dich“. Doch so einfach ist es nicht. Es war wichtiger
       herauszufinden, woher meine Abneigung gegen das Thema kam und warum ich es
       dann doch überwunden habe.
       
       Wenn ich meinen Text und meine Erfahrungen von vor sechs Jahren
       reflektiere, kommt vieles wieder hoch – vor allem erinnere ich mich an ein
       gewaltiges Gefühl der Überforderung. Überforderung gegenüber meinen
       Ansprüchen und denen anderer. Viele Personen mit Migrationshintergrund
       kennen wahrscheinlich das Gefühl, zur Spokesperson einer gesamten Ethnie
       gemacht zu werden.
       
       „Ey, sag mal, was ist eigentlich mit dem Erdoğan. Warum wird der denn
       gewählt?“ Man solle sich doch bitte erklären, was da los ist, und sich
       dabei zugleich rechtfertigen. Wenn man keine Türkin ist, auch egal –
       irgendwie ist doch alles dasselbe. Die eigene Existenz wird zum Teil eines
       imaginären Kollektivs – die Muslim*innen, die Araber*innen, die
       Türk*innen – egal, wie wenig davon auf einen selbst zutrifft.
       Mitgefangen, mitgehangen. Als Individuum zählst du nicht, immer bist du
       Repräsentant.
       
       Im Berufsleben hat sich das teilweise fortgesetzt, selten boshaft, meist
       einfach unbewusst. Einmal wurde ich gefragt, ob ich nicht den Termin mit
       den syrischen Geflüchteten übernehmen möchte, um mit ihnen zu reden. Meine
       Aussage, dass ich leider kein Arabisch spreche, wurde mit einiger
       Verwunderung aufgenommen.
       
       Wenn in der Redaktionssitzung das Thema Salafismus aufkam, spürte ich
       direkt einige Seitenblicke. Natürlich kann mir niemand in den Kopf gucken
       und sehen, wo meine Kompetenzen liegen und wo nicht. Auch weil ich bei
       gewissen Migrationsthemen doch Expertise habe.
       
       Es ist aber die Selbstverständlichkeit, mit der diese Anfragen zwischen Tür
       und Angel kamen, die mir oft das Gefühl gaben: „Ja, ich bin eine ziemlich
       miese Migrantin. Eigentlich sollte ich das doch wissen und jetzt enttäusche
       ich alle.“ Ich fühlte mich als Eindringling, dessen einzige Berechtigung in
       den Redaktionsräumen ist, sich mit diesen Ausländerthemen
       auseinanderzusetzen. Und dann schaffte ich das nicht einmal.
       
       ## Deutsch wie Rohmilchkäse
       
       Also ging ich in die Offensive und entschloss, mich nicht mehr damit
       auseinanderzusetzen. Ein bisschen erinnerte mich das an eine Trotzreaktion,
       die ich auch in der Schulzeit zeigte. Ich hatte keine Lust mehr und einfach
       entschieden: Ich habe keinen Migrationshintergrund mehr, ich bin deutsch
       wie Rohmilchkäse.
       
       Good old Assimilation. Dahinter steckt auch die Hoffnung, dass man sich der
       Mehrheitsgesellschaft nur genug anpassen muss, nur noch weniger auffallen
       muss, nur mehr zustimmen muss, um endlich dazuzugehören.
       
       Ich war quasi ein Pick-Me-Kanake geworden, das ethnische Äquivalent zu
       einer Frau, die bei einem sexistischen Witz noch einen drauflegt und stolz
       darauf ist, dass sie ja nicht „wie die anderen Weiber“ sei.
       
       Doch ich habe die Erfahrung gemacht, die viele Minderheiten machen: Du
       kannst tun, was du willst: Ein Fehltritt und du bist wieder nur Ausländer.
       Ich will meine Existenz nicht mehr politisieren, aber haha, die Politik und
       die Gesellschaft ist nicht fertig mit mir. Irgendwann musste ich einsehen,
       dass ich eben anders bin, anders erlebe, anders erlebt werde. Also musste
       ich mich wohl oder übel damit abfinden, dass ich nie als komplett deutsch
       wahrgenommen werde und auch nicht bin. Mittlerweile ziehe ich daraus auch
       meine Kraft.
       
       Ein ähnlicher Prozess wurde im Laufe meiner journalistischen Arbeit
       angestoßen. Es kam wahrscheinlich erschwerend hinzu, dass ich bei den
       Gesellschafts- und Medienseiten gelandet war. Meine Aufgabe war es,
       Debatten zu verfolgen und die Berichterstattung anderer zu analysieren. Ich
       sah, las, hörte, wie Journalist*innen Fehler in ihrer Arbeit machten
       und welchen Einfluss das auf das Leben vieler Migrant*innen hatte.
       
       Wir Journalist*innen prägen Bilder von Bevölkerungsgruppen. Sei es der
       Hartz-IV-Schmarotzer oder die unterwürfige Kopftuchfrau: Die
       Berichterstattung orientiert sich an angeblichen Merkmalen einer Gruppe und
       hängt sich dabei an Narrativen auf, die der Komplexität der Realität nicht
       entsprechen.
       
       ## Die negativen Bilder bleiben hängen
       
       So kommen Muslim*innen in Medien oftmals nur im Kontext von Gewalt und
       Terror überhaupt vor. Doch diese Bilder bleiben hängen, diese Geschichten
       haben einen Einfluss darauf, wie die Gesellschaft auf diese Gruppen blickt.
       
       Teilweise fühlte ich mich wie ein Fußballtrainer der B-Jugend, der vom
       Spielrand röhrt: „Ey, wat soll denn dat?!“ Doch ich war kein Trainer, ich
       war eine Mitspielerin. Ich musste mich einmischen und das hieß:
       journalistisch aktiv werden. Dabei halfen mir auch die Kontakte zu anderen
       Journalist*innen mit Migrationshintergrund und der Austausch mit ihnen
       über meine Zweifel und Überlegungen.
       
       Ich fühlte mich nicht mehr allein. Also griff ich doch ins Spiel ein und
       schrieb über Migration. Vielleicht lässt sich dieser Text als Resignation
       lesen. Wir sind leider noch nicht in der Situation, in der ich dieses Thema
       und meinen eigenen Migrationshintergrund hinter mir lassen kann.
       
       Aber ich empfinde es nicht als Versagen, im Gegenteil. Ich habe meinen
       Frieden geschlossen mit meiner eigenen Wahrnehmung, meinen Grenzen, meinen
       Wünschen. Und damit fahr ich ziemlich gut. Wenn jemand eine andere
       Vorstellung hat, was ich als Migrantin gefälligst tun und lassen kann, kann
       ich damit besser umgehen. Wenn ich über Migration schreibe, heißt es noch
       lange nicht, dass ich mich darauf festlege. Ich weiß, was ich kann, und wer
       das nicht weiß, dem kann ich es auch deutlich machen.
       
       Mein Text von 2016 ist trotzdem immer noch wahr, nur eben nicht mehr für
       mich. Ich bin selbst gespannt, wie es sich hier weiterentwickelt. Wir sehen
       uns in sechs Jahren wieder.
       
       19 Jul 2022
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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