# taz.de -- Senat lehnt Klima-Volksbegehren ab: Die grüne Heuchelei
       
       > Zwei Initiativen wollen Berlin schnell autofrei und klimaneutral machen.
       > Doch die grüne Senatorin spricht sich dagegen aus. Das ist absurd.
       
 (IMG) Bild: Autofreie Innenstädte? Nicht mit Bettina Jarasch, grüner Umweltsenatorin von Berlin
       
       Als Bettina Jarasch im vergangenen Sommer noch Spitzenkandidatin der Grünen
       war, da umwarb sie Klimaaktivist*innen und Umweltverbände. „Wir
       brauchen jede Form von Druck, auch von der Straße“, [1][erklärte sie im
       August im taz-Interview].
       
       Das war keine bloße Wahlkampfrhethorik: Ähnlich hatten sich viele
       hochrangige Berliner Grüne in der vergangenen Legislatur geäußert. Die
       Taktik dahinter: Was die Ex-Alternativen im Senat nicht durchsetzen können,
       sollen – bitte schön – Initiativen notfalls per Volksentscheid auf die
       politische Bühne heben.
       
       So fuhren die Grünen perfekt zweigleisig: Auf der einen Seite hatten sie
       drei Senator*innenposten, also politische Macht; auf der anderen
       Seite die Unterstützung guter Teile der vielfältigen außerparlamentarischen
       Bewegungen in Berlin.
       
       Damit ist es wohl vorbei. Am Dienstag lehnte Jarasch, seit Dezember Berlins
       grüne Senatorin für Umwelt, Mobilität und Klimaschutz, [2][das
       Volksbegehren Berlin autofrei ab]. Zwei Wochen zuvor hatte sie sich im
       Namen des rot-grün-roten Senats [3][bereits gegen das Volksbegehren „Berlin
       2030 klimaneutral“ ausgesprochen].
       
       Beide Initiativen hatten die erste Stufe der direkten Demokratie in Berlin
       – 20.000 Unterschriften – locker genommen, und beide verfolgen eigentlich
       urgrüne Ziele: Berlin autofrei will den motorisierten Individualverkehr zu
       großen Teilen aus der Innenstadt Berlins verbannen; das Klima-Begehren
       fordert einen deutlich verstärkten Einsatz gegen die Klimakrise.
       
       Es war irritierend zu hören, mit welcher Gelassenheit die Senatorin „Berlin
       autofrei“ eine Abfuhr erteilte. „Wir brauchen keine autofreie Innenstadt“,
       stellte sie fest. Bei der Ablehnung beider Volksbegehren wisse sie sich
       „getragen von der Fraktion und der Partei“. Fehlte nur noch, dass Jarasch
       in Jubel ausbrach darüber, dass die Volksbegehren nun den Weg über eine
       erneute Unterschriftensammlung gehen müssen.
       
       Auch wenn von vornherein klar war, dass bei der Regierenden
       Autobürgermeisterin Franziska Giffey keines der beiden Volksbegehren offene
       Ohren finden und die SPD-Innsenatorin den Blockadekurs ihres Vorgängers
       fortsetzen würde – bei den Klimaaktivist*innen der Stadt, die noch
       ein bisschen Vertrauen in die Grünen hatten, müssen Jaraschs Sätze
       Entsetzen auslösen.
       
       Denn zum einen sind die Ziele des Senats gar nicht so weit entfernt von
       denen der Initiativen. Zum anderen: Wenn schon die Grünen den Kampf gegen
       die Klimakrise nicht forcieren, wenn sogar die Grünen in diesem Senat keine
       autofreien Innenstädte mehr wollen – wofür steht die Partei dann noch?
       Zumal die Initiative zuletzt zahlreiche Zugeständnisse gemacht und ihren
       Gesetzentwurf nach einiger Kritik deutlich überarbeitet hatte.
       
       ## Auch bei der Enteignung eierten die Grünen rum
       
       Es zeigt sich: Der Versuch der Grünen, zweigleisig zu fahren und die
       außerparlamentarischen Bewegungen als unterstützendes Moment für mögliche
       eigene Ziele einzuspannen, konnte in der vergangenen Legislaturperiode
       funktionieren, weil mit der [4][Abstimmung über die Offenhaltung des
       Flughafens Tegel] überhaupt nur ein einziger Volksentscheid zur Abstimmung
       kam. Und dieser war von der konservativen Opposition getragen worden.
       
       Die grüne Taktik wird in dieser Legislaturperiode nicht mehr funktionieren,
       weil es nun zum Schwur kommt. Angedeutet hatte sich das bereits beim
       [5][Enteignen-Volksentscheid im September 2021]. Im Vorfeld der Abstimmung
       hatten Jarasch und Co. lange versucht, eine Art Mittelweg zu gehen:
       Eigentlich finde man das Ziel gut, aber die Methode nicht. Am Ende stimmten
       Jarasch und der damalige Landes- und heutige Fraktionschef Werner Graf nach
       eigener Auskunft doch mit „Ja“ und für die Enteignung. Wirklich überzeugend
       zu vermitteln war das aber nicht mehr, prompt warfen Kritiker den Grünen
       die Instrumentalisierung des Enteignungs-Entscheids vor.
       
       Dieser Vorwurf trifft nun mehr denn je. Ab Herbst, wenn zumindest „Berlin
       2030 klimaneutral“ mit der Sammlung von rund 170.000 Unterschriften für die
       nächste Stufe beginnen könnte, dürfte es daher zur direkten Konfrontation
       kommen zwischen den Initiativen und dem Senat. Die Grünen riskieren dabei,
       wichtige Unterstützung in der Zivilgesellschaft zu verlieren und letzte
       Glaubwürdigkeit in Umweltfragen zu verlieren. Und wie lange die Parteibasis
       diese politische Schizophrenie angesichts der sich stetig beschleunigenden
       Erderwärmung mitträgt, ist eine spannende Frage.
       
       Die Aktivist*innen dürfen sich derweil in ihrer Frontalopposition zu
       den Grünen gerne auf Jarasch selbst berufen. Jene hatte im anfangs
       erwähnten taz-Interview auch erklärt: „Klimaschutz, so wie wir ihn jetzt
       brauchen, funktioniert nur, wenn man ihn wirklich radikal angeht.“
       
       21 May 2022
       
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 (DIR) Bert Schulz
       
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