# taz.de -- Vor den Wahlen in Australien: Down Under vor Machtwechsel
       
       > In Australien hat die Labor-Opposition gute Chancen, die Parlamentswahlen
       > am Wochenende zu gewinnen. Das liegt vor allem am unbeliebten Premier.
       
 (IMG) Bild: Arg unbeliebt: Australiens Noch-Premier Scott Morrison stört Kinder beim Fußballspiel
       
       Canberra taz | Es ist schwierig, in Australien jemanden zu finden, der
       Scott Morrison mag. Erst kürzlich schien der Premierminister erstmals
       anzuerkennen, dass seine Person ein Grund ist, weshalb sich viele
       Australier von der konservativen Regierung abzuwenden scheinen. „Es gibt
       Dinge, die sich an der Art, wie ich Dinge tue, ändern müssen“, meinte er
       mit einem Hauch seltener Selbstkritik. Das Onlineportal Crikey
       kommentierte: „Ein Mann, der für seine arrogante Selbstsicherheit bekannt
       ist, der in seinem Leben als brutaler Politiker nie Fehler zugegeben hat,
       verspricht acht Tage vor einer Wahl plötzlich, sich zu ändern.“
       
       Laut [1][Umfragen] wird die seit 2013 regierende konservative Koalition aus
       Liberaler und Nationaler Partei unter dem 54-jährigen Morrison die Wahlen
       am Samstag verlieren. Wer regieren will, muss 76 der 150 Unterhaussitze
       kontrollieren. Doch ob die von Anthony Albanese geführte Labor Party die
       absolute Mehrheit erreicht, ist unklar. Bis zu 15 Unabhängige kandieren
       jetzt. Werden nur zwei oder drei von ihnen gewählt, muss die siegreiche
       Großpartei mit ihnen über eine Koalition verhandeln.
       
       Es ist kein Zufall, dass fast alle Unabhängigen Frauen sind, sagen
       Beobachter. Laut Umfragen hat Morrison vor allem bei Frauen kaum Rückhalt.
       Eine Serie von Sexskandalen – von einer Vergewaltigung im Parlamentsgebäude
       durch einen jungen Regierungsmitarbeiter über vermeintliche Eskapaden durch
       Politiker im Andachtsraum bis hin zum Missbrauch einer Untergebenen durch
       einen Minister – scheint das Vertrauen von Frauen in die Regierung erodiert
       zu haben.
       
       Der nach eigenen Angaben streng religiöse Morrison tönte zu diesen und
       anderen Fällen frauenfeindlich und paternalistisch. Auch wurde bisher
       keiner der mutmaßlichen Täter zur Verantwortung gezogen. Ergebnisse einer
       internen Untersuchung bleiben geheim. Der beschuldigte Minister bezieht
       weiter sein Gehalt, während die betroffene Frau mit Geld zum Schweigen
       verpflichtet wurde.
       
       Der Fokus auf die Person Morrison hat dazu geführt, dass einige
       konservative Kandidaten im Wahlkampf vermeiden, mit ihm in Verbindung
       gebracht zu werden. „Er ist schon lange zu einer Hypothek für die Partei
       geworden“, meint eine Kolumnistin. Dies führt auch dazu, dass Sachthemen
       wie die eskalierenden Lebenshaltungskosten zu kurz kommen. Die
       Inflationsrate von 5,1 Prozent, die höchste in 20 Jahren, veranlasste die
       Notenbank jüngst, den Zinssatz erstmals in zehn Jahren wieder zu erhöhen.
       Analysten erwarten weitere Erhöhung im Juni und einen weiteren Anstieg bis
       Jahresende auf 2,5 Prozent.
       
       ## Labor will mehr für Umwelt- und Klimaschutz tun
       
       Für viele Familien bedeutet die Inflation eine starke Belastung ihres
       ohnehin schon strapazierten Budgets: Australiens Haushalte gehören zu den
       am stärksten verschuldeten der Welt. Ein Hauptgrund dafür sind die in den
       letzten Jahren drastisch gestiegenen Immobilienpreise. Selbst in einst
       günstigen Vororten ist kein Haus mehr unter umgerechnet einer Million Euro
       zu bekommen. Zugleich stagnieren die Gehälter.
       
       So erstaunt wenig, dass Herausforderer Albanese eine Erhöhung des
       Mindestlohns zum zentralen Versprechen seines Programms gemacht hat. Der
       einstige Gewerkschaftsfunktionär lebt von seiner Frau getrennt zusammen mit
       einem Kind und war selbst in einfachen Verhältnissen als Sohn einer
       alleinerziehenden Mutter aufgewachsen. In einer früheren Labor-Regierung
       war er Industrieminister.
       
       Unter seiner Regierung werde Australien auch mehr für Umwelt- und
       Klimaschutz tun, verspricht der 59-Jährige. Die von Klimaskeptikern
       dominierte konservative Regierung [2][verhindert seit Jahren] Maßnahmen zur
       Reduktion der Klimaemissionen und fördert zugleich den Ausbau der
       Kohleindustrie. Dabei leidet Australien wie kein anderer Industriestaat
       unter den Folgen der globalen Erhitzung. Prognosen zufolge sollen schon in
       wenigen Jahren Teile des Landes nicht mehr bewohnbar sein.
       
       Beobachter glauben aber, dass Albanese sich kaum dem Einfluss der politisch
       mächtigen Kohleindustrie entziehen könne. Australien ist der Welt
       wichtigster Exporteur des fossilen Brennstoffs. Nur Druck aus dem Ausland
       werde Australien dazu zwingen können, die Förderung von Kohle zu beenden,
       wie es Wissenschaftler fordern. Das Land könnte nicht nur seinen gesamten
       Strombedarf aus erneuerbaren Quellen wie Sonne- und Windkraft decken,
       sondern auch zu einem führenden Exporteur „sauberer“ Energie werden.
       
       Dass die Konservativen jetzt die Macht zu verlieren drohen, ist umso
       bemerkenswerter, als sie seit Jahren massiv von den Murdoch-Medien
       unterstützt werden. 70 Prozent der australischen Printmedien sind in der
       Hand des 91-jährigen erzkonservativen US-Amerikaners australischer
       Herkunft, Rupert Murdoch. Dessen Zeitungen porträtieren Albanese als naiv
       und inkompetent und zeigen ihn als Dorftrottel mit heraushängender Zunge.
       Morrison dagegen sei zwar „langweilig, aber erfahren.“
       
       19 May 2022
       
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