# taz.de -- Jahrestag der deutschen Verfassung: Grundgesetzlicher Feiertag
       
       > Vor 73 Jahren trat das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in
       > Kraft. Wäre der 23. Mai nicht ein gutes Datum für einen Nationalfeiertag?
       
 (IMG) Bild: Großer Gerichtssaal in Karlsruhe: Seit 1969 hat das Bundesverfassungsgericht hier seinen Amtssitz
       
       Jeder in den USA weiß, was der 4. Juli ist – der Tag der Staatsgründung, an
       dem auch die Verfassung gefeiert wird, die Prinzipielles erklärt, unter
       anderem, dass jeder vor dem Gesetz gleich ist. An diesem Tag finden
       außerdem sehr viele Einbürgerungsfeiern statt – für Einwanderer*innen
       ein natürlich magisches Datum.
       
       Und in der Bundesrepublik – der 23. Mai? Kennen nur besonders Informierte.
       An diesem Tag vor heute 73 Jahren verkündet der Parlamentarische Rat die
       Gültigkeit des Grundgesetzes, das kurz zuvor, am 8. Mai, exakt vier Jahre
       nach Ende des nationalsozialistischen Deutschlands, fertig verhandelt war.
       
       Es sollte keine Verfassung sein, vielmehr, so der Historiker Oliver Haardt,
       war das „Grundgesetz ein Provisorium. Seine Mütter und Väter haben 1949
       unter dem Druck der alliierten Besatzung, der sich verfestigenden Teilung
       Deutschlands und des heraufziehenden Kalten Krieges ganz bewusst darauf
       verzichtet, eine ‚Verfassung‘ im herkömmlichen Sinne zu schaffen.“ Und doch
       erwies sich das nun gültige Grundgesetz als Superwerkzeug, um ein
       liberales, rechtsstaatliches Selbstverständnis in der Bundesrepublik
       durchzusetzen – in Abgrenzung zum Nationalsozialismus natürlich, aber auch
       zur Verfassung der DDR, die wesentlich den realsozialistisch-diktatorischen
       Faktor der SED-Herrschaft beförderte.
       
       Ein solcher Tag, eben der 23. Mai: Verdient der nicht, dass er ein
       gesetzlicher Feiertag wird? Nichtreligiös begründete Feiertage gibt es ja
       nur wenige, seit der Wiedervereinigung ist dies der 3. Oktober – der 1990
       mit dem Beitritt der Länder der einstigen DDR zur Bundesrepublik eingeführt
       wurde. „Eine Kopfgeburt“, sagt der Trierer Geschichtswissenschaftler
       Christian Jansen, „ohne emotionale Qualität“ – ein Tag mit steif gehaltenen
       Festprogrammen, erfahrungsgemäß in den vergangenen Jahrzehnten bei nicht
       einmal spätsommerlichen, jedenfalls oft regnerischen Wetterlagen begangen.
       
       ## Einleuchtender als der 3. Oktober
       
       1990 wurde auch letztmals der 17. Juni zum Gedenken an die
       Arbeiteraufstände in der DDR des Jahres 1953 abgehalten – auch dieser Tag
       prinzipiell arbeitsfrei. Denn darum geht es im allgemeinen Empfinden
       allermeist: ob ein Feiertag auf einen Werktag fällt – wie garantiert die
       christlichen, etwa Karfreitag, Christi Himmelfahrt, Fronleichnam oder in
       allerdings nur wenigen Bundesländern der Buß- und Bettag im November.
       
       Doch warum gibt es keinen weltlichen Feiertag am 23. Mai, der die Geburt
       des Grundgesetzes preist und damit etwas feiert, das gerade im Hinblick auf
       die in den vergangenen Jahrzehnten Eingewanderten einleuchtender wäre?
       Anders als der 3. Oktober, der wesentlich eine deutsch-deutsche
       Angelegenheit war und mit den Jahren als Erinnerung immer blasser wird.
       
       Die Berliner Soziologin Naika Foroutan, in Boppard, Rheinland-Pfalz,
       geboren und heute Leiterin des Deutschen Instituts für Migration und
       Integrationsforschung, fände das gut: „Eine schöne Idee, weil ich finde,
       dass der Tag zeigt, wie sich ein Kollektiv zusammen konkrete Gedanken
       machen kann, um nach Krieg, Verbrechen und Zerstörung gemeinsam eine
       bessere Gesellschaft zu imaginieren. Das ist ein Akt der Selbstermächtigung
       und reale Utopie, die sich eine Gruppe von Menschen beim Entwurf des
       Grundgesetzes zugetraut hat und die wir feiern sollten.“
       
       Schriftsteller Marko Martin, geborener DDR-Bürger und so fern aller
       sentimentalen Wertschätzung des „Arbeiter-und-Bauern-Staats“ wie kaum
       jemand sonst, ist skeptisch: „Feiertage werden überschätzt – noch mehr in
       mahnendem Moll gehaltene und damit letztlich mollige Steinmeier-Reden plus
       frühlingshafte Bratwurstfeste braucht es wahrlich nicht. Besser wäre es,
       zum 23. Mai Projekttage in den Schulen zu organisieren.“
       
       ## Arbeitsfrei reicht nicht
       
       Anders sieht es Murat Kayman, Jurist und Blogger, einst Justitiar im
       türkischen Verband Ditib. Er würde den 23. Mai als Feiertag „befürworten.
       In einer immer vielfältiger werdenden Gesellschaft darf es nicht mehr um
       körperliche/persönliche Eigenschaften gehen, die Zusammenhalt und
       Zugehörigkeit vermitteln. Diese sollten vielmehr durch übereinstimmende
       Haltungen entstehen. Zum Beispiel durch die gemeinsame Haltung, im Schutz
       der Freiheitsrechte unseres Grundgesetzes miteinander leben zu wollen.“
       
       Ihm sekundiert Sigmount Königsberg von der Jüdischen Gemeinde zu Berlin:
       „Ich plädiere ganz entschieden für den 23. Mai als Feiertag, denn das
       Grundgesetz ist trotz mancher Mängel – aber nichts, was von Menschen
       geschaffen wurde, ist fehlerfrei – das Beste, was jemals in diesem Lande
       entstanden ist. Das Land hat eine gute Verfassung, und man sollte sie auch
       würdigen.“
       
       Nicht anders kommentiert die in München an der Universität der Bundeswehr
       lehrende Historikerin Hedwig Richter, Autorin des Bestsellers „Demokratie –
       Eine deutsche Affäre“: „Der 23. Mai als Feiertag ist eine wunderbare Idee.
       Das Grundgesetz steht für den Neuanfang, für Demokratie, den Rechtsstaat –
       für Menschenwürde vor allem auch.“
       
       Dass diese Plädoyers stets auch einen arbeitsfreien Werktag mitdenken, also
       die Liebe der in Deutschland Lebenden zu arbeitsfreien Tagen, dass sie gar
       zu verlängerten Wochenenden über einen „Brückentag“ (einen Urlaubstag am
       Freitag) einladen wie in dieser Woche Christi Himmelfahrt zu einem
       besonders langen, versteht sich von allein.
       
       Anders sieht dies der Politikwissenschaftler, Herfried Münkler, Emeritus
       der Humboldt-Universität zu Berlin: „Im Prinzip bin ich eher ein Anhänger
       von Gedenkstätten als von arbeitsfreien Feiertagen, mit denen dann eher die
       Freizeitgesellschaft als die politische Kultur bedient wird. Außerdem ist
       zu überlegen, ob ein Feiertag unbedingt ein arbeitsfreier Tag sein muss und
       wie man die Teilhabe am Erinnern und mentalen Innehalten attraktiv machen
       kann.
       
       Es hat sich ja eingebürgert, dass man meint, das gehe nur bei
       Arbeitsfreiheit – aber ist das wirklich so?“ Jedenfalls, so Münkler, wird
       „die politikkulturelle Bedeutung von Feiertagen überschätzt, solange die
       nur auf einen arbeitsfreien Tag mit irgendeiner Veranstaltung im Bundestag
       oder in den Kirchenräumen hinausläuft. Bloß einen arbeitsfreien Tag zu
       organisieren heißt, die Freizeit- und Konsumgesellschaft zu bedienen. Das
       ist als Wohltat für die Menschen attraktiv, hat aber so gut wie nichts mit
       der politischen Kultur einer Demokratie zu tun.“
       
       Für ihn, so sagt er, „lautet die eigentliche Frage hinter den Fragen“ – die
       nach einem gesetzlichen Feiertag – anders: „Wie kann die liberale
       Gesellschaft ihre Freiheit feiern, ohne dass sie die Ernsthaftigkeit des
       Festes durch die Art des Feierns verhöhnt. Darauf habe ich keine Antwort
       parat. Ich bin aber davon überzeugt, dass nur, wenn diese Frage beantwortet
       ist, alle anderen Fragen beantwortet werden können.“
       
       Historiker Christian Jansen sagt hingegen nicht minder lebenspraktisch:
       „Der 23. Mai liegt in einer Jahreszeit, in der man gerne feiert und das
       Wetter oft gut ist. Und dieser Tag steht für Verfassungspatriotismus. Davon
       können wir mehr gebrauchen!“
       
       23 May 2022
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan Feddersen
       
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