# taz.de -- Russische Propaganda: Purer Hohn für den Journalismus
       
       > Marina Owsjannikowa hatte im russischen Fernsehen protestiert. Nun
       > arbeitet sie für die Zeitung „Welt“ und stellt damit den unabhängigen
       > Journalismus in Frage.
       
 (IMG) Bild: Marina Owsjannikowa nach der Anhörung im Moskauer Bezirksgericht am 15. März 2022
       
       [1][Unser Bundeskanzler] wird nicht müde zu betonen, dass das, was in der
       Ukraine passiert, allein Putins Krieg sei. Mindestens wenn es um die
       russische Propagandamaschinerie geht, sollte klar sein, dass Menschen, die
       Teil dessen sind oder waren, ebenfalls Verantwortung tragen: Für die Lügen,
       die seit vielen Jahren über die Ukraine verbreitet wurden und somit auch
       für diesen Krieg.
       
       Marina Owsjannikowa war bis vor Kurzem Teil dieser Lügenwelt. Seit 2003
       arbeitete sie als Redakteurin für einen der landesweit wichtigsten
       Fernsehsender, den Ersten Kanal. Ein Sender, der für seine Propaganda
       berüchtigt ist. Owsjannikowa war zuständig für Auslandsnachrichten. Sie
       recherchierte, führte Interviews mit Politikern, produzierte Beiträge für
       den Sender. Sie lebte ein gutes Leben in der Moskauer Mittelschicht,
       [2][sagte sie im März in einem Interview.]
       
       Einen Tag bevor sie dieses Interview gegeben hatte, war sie [3][mit einem
       Protestschild in die Abendnachrichten des Ersten Kanals gestürmt]. „Glaubt
       der Propaganda nicht“, stand darauf. Sie rief „Nein zum Krieg“, ein Ausruf,
       der da schon in Russland unter Strafe stand. Nur wenige Sekunden sah man
       sie, während die Moderatorin im Vordergrund ihren Nachrichtentext weiter
       vortrug, als wäre sie eine Maschine. Dass Owsjannikowa diese Aktion
       mindestens ihren Job kosten würde, war klar. Sie wurde verhaftet und zu
       einer Geldstrafe von 30.000 Rubel (ca. 250 Euro) verurteilt.
       
       International wurde sie als Heldin gefeiert. Für ihren Mut belohnte man sie
       nun sogar mit einem Job. Die Ex-Mitarbeiterin eines Propagandasenders wird
       ab sofort als freie Korrespondentin für die Welt unter anderem aus der
       Ukraine und Russland berichten, [4][das teilte der Springer Verlag am
       Montag mit]. Owsjannikowa habe die Zuschauer in Russland mit einem
       ungeschönten Bild der Wirklichkeit konfrontiert, wird Welt-Chefredakteur
       Ulf Poschardt in der Mitteilung zitiert. Damit habe sie die wichtigsten
       journalistischen Tugenden verteidigt.
       
       ## Politischer Druck und staatliche Repressionen
       
       Zeichnen sich Journalist:innen nicht durch ihr Handwerk aus? Eine
       Berichterstattung, die der Wahrheit verpflichtet ist? Owsjannikowa hat mit
       ihrer Arbeit jahrelang ein System von Lügen mitgetragen und mitgestaltet.
       Sie störte sich nicht an der Propaganda. Es waren stattdessen
       Kolleg:innen unabhängiger russischer Medien, die trotz politischen
       Drucks und staatlicher Repressionen ihr Leben riskierten, um ehrlichen
       Journalismus zu machen. Viele von ihnen mussten bereits aus Russland
       fliehen. Diese Journalist:innen wären einer
       Korrespondent:innenstelle würdig. Unverständlich ist auch, wie man
       mit dieser Personalentscheidung unzählige ukrainische Journalist:innen
       übergehen konnte. Owsjannikowa über die Ukraine berichten zu lassen, wirkt
       wie ein Hohn.
       
       Wie wenig qualifiziert sie für diesen Job ist, bewies sie [5][in ihrem
       ersten Text], Überschrift: „Die Russen haben Angst“. Eine klassische
       Opfergeschichte, in der sie das Bild vermittelt von einer Mehrheit in
       Russland, die gegen den Krieg sei, nur eben zu ängstlich sei, das laut zu
       sagen. Interessant ist auch eine Stelle, in der sie berichtet, humanitäre
       Hilfe für ukrainische Flüchtlinge zu organisieren, die in der Region Kaluga
       „in örtlichen Sanatorien untergebracht“ worden seien. Kein zweifelndes Wort
       daran, ob diese Ukrainer:innen freiwillig nach Russland geflohen sind.
       Kein Wort über die Verschleppungen und Zwangsumsiedlungen nach Russland.
       Ist das aufrichtiger Journalismus?
       
       Im Krieg gibt es eine Sehnsucht nach Helden. Owsjannikowas Plakataktion
       wird zur Heldenerzählung stilisiert. Ein Beweis eben, dass nicht alle
       Putins System unterstützen. Das gefällt sicher auch dem Bundeskanzler.
       
       Vielleicht wird man sich am Ende ja wieder geirrt haben – [6][wie einst
       unser Bundespräsident mit Putin].
       
       13 Apr 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Zeitenwende-von-Kanzler-Scholz/!5845311
 (DIR) [2] https://www.spiegel.de/ausland/russland-interview-mit-tv-journalistin-marina-owsjannikowa-ueber-ihren-protest-a-b596557d-8302-4e34-a88e-5c00d4a91b44
 (DIR) [3] /Protest-im-russischen-Staatsfernsehen/!5841999
 (DIR) [4] https://www.axelspringer.com/de/ax-press-release/marina-owsjannikowa-wird-korrespondentin-fuer-welt?utm_source=dlvr.it&utm_medium=twitter
 (DIR) [5] https://www.welt.de/politik/ausland/plus238054341/Marina-Owsjannikowa-Die-Russen-haben-Angst.html
 (DIR) [6] /Steinmeiers-Selbstkritik/!5846071
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Erica Zingher
       
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