# taz.de -- Punkband Pornofilmy über Russland: „Schlimmer als bergab“
       
       > Vladimir Kotlyarov und Alexandr Rusakov von der Punkband Pornofilmy über
       > gesellschaftliche Agonie in Russland, Repression und eine Farce vor
       > Gericht.
       
 (IMG) Bild: Da konnten sie noch auftreten: Pornofilmy bei einem Konzert, 2018
       
       taz: Haben Sie von offizieller Seite etwas über die Liste von unerwünschten
       Künstlern gehört, bei der Ihre Band auf dem 13. Platz rangiert? 
       
       Vladimir Kotlyarov: Diese Liste existiert schon seit geraumer Zeit. Sie
       umfasst all jene, die die russische Staatsmacht öffentlich kritisiert oder
       die Demokratie-Proteste in Belarus unterstützt haben. Nach Beginn der
       russischen Invasion der Ukraine wurde die Liste dann auch um Künstler
       erweitert, die sich gegen den Krieg geäußert hatten. Wir standen offenbar
       schon länger drauf. Nach unserem Verständnis ist es auch eine Mahnung an
       Veranstalter, die gelisteten Bands und Künstlerinnen nicht zu buchen. In
       Wirklichkeit ist es natürlich mehr als das: Wenn ein Clubbesitzer im
       Geschäft bleiben will, muss er diese sogenannten Empfehlungen befolgen. Wir
       haben im Moment gar keine Auftritte geplant, aber gleichgesinnte Bands
       haben bestätigt, dass ihre Konzerte unisono abgesagt wurden.
       
       Und diese Liste stammt aus dem russischen Kulturministerium? 
       
       Alexandr Rusakov: Schwarze Listen kursieren seit etwa 2020 in der
       russischen Musikszene. Dadurch stand auch jedes unserer Konzerte auf der
       Kippe. Erst jetzt ist die Liste von Journalisten veröffentlicht worden.
       Seit Kriegsbeginn ist die Lage noch finsterer geworden. Ich glaube nicht,
       dass wir unter den gegebenen Umständen jemals wieder live in Russland
       spielen können.
       
       Hatten Sie den Krieg eigentlich erwartet? 
       
       VK: Ich hatte schon Sorge, dass er ausbrechen könnte, aber ich wollte bis
       zuletzt nicht glauben, dass an der Spitze unseres Landes jemand steht, der
       völlig den Verstand verloren hat. Ich bin eigentlich davon ausgegangen,
       dass es hauptsächlich Angeberei war, dass [1][Putin] andere Länder mit
       seiner Machtdemonstration erpressen wollte. Inzwischen weiß niemand mehr,
       was für verrückte Taten noch von ihm zu erwarten sind.
       
       Auf Ihrem Telegram-Kanal haben Sie Botschaften gegen den Krieg gepostet.
       Trotz vieler Zustimmung hagelte es da auch Kritik. Von Fans oder von
       Kreml-Trollen? 
       
       VK: Die sogenannten Kreml-Trolle haben uns auch in der Vergangenheit immer
       wieder massiv angegriffen. Da wir offensichtlich zu ihrer Zielgruppe
       gehören, schließe ich nicht aus, dass sie seit Kriegsbeginn bei uns aktiv
       geworden sind. Ich kann nicht glauben, dass es unter unseren Fans Leute
       gibt, die den Angriffskrieg unterstützen.
       
       Sie leben in einer Kleinstadt, in der jede jeden kennt. Gibt es Bekannte,
       die Sie seit den pazifistischen Äußerungen meiden? 
       
       VK: Nein. In meinem Freundeskreis verstehen alle sehr genau, was in der
       Ukraine vor sich geht.
       
       Vor Kurzem fand in Moskau ein Galakonzert zu Ehren der „Spezialoperation in
       der Ukraine“ statt. Putin und staatstreue Künstler traten vor 80.000
       Zuschauern auf. Was sagt Ihnen diese Inszenierung? 
       
       VK: Eine schreckliche Veranstaltung! Mitarbeiter staatlicher Einrichtungen
       waren zur Teilnahme verpflichtet und wurden mit Bussen herangekarrt. Die
       meisten nahmen nur teil, weil sie Angst hatten, sonst ihren Arbeitsplatz zu
       verlieren.
       
       Putin liebt Veranstaltungen wie diese. Vor allem den Sieg der Roten Armee
       über Nazi-Deutschland führt er als Vorbild für die angebliche
       Denazifizierung in der Ukraine an. Dabei erinnert der russische
       Angriffskrieg dort an die Einmärsche der Nazis in die Tschechoslowakei und
       in Polen. 
       
       VK: Gerade der Buchstabe Z, der überall als Zeichen der Unterstützung für
       den Krieg verwendet wird, erinnert mich fatal ans Hakenkreuz. Es scheint
       eine Art faschistische Anti-Utopie zu sein, ein Surrealismus.
       
       Ihr Song „Nishich ubivaj“ (Tötet die Armen), in Anlehnung an den
       Dead-Kennedys- Song „Kill the Poor“, wurde 2021 verboten. Warum? 
       
       VK: Veröffentlicht haben wir ihn bereits 2015, aber Ende letzten Jahres
       erfuhren wir von Journalisten, dass er von einem Gericht in Wolgograd zu
       extremistischem Material erklärt worden war.
       
       Konnten Sie sich überhaupt gerichtlich dagegen wehren? 
       
       VK: Nein, wir wurden vom Gericht nicht mal informiert. Als wir es über
       Dritte erfuhren, haben wir sofort Einspruch erhoben. Wir sind extra für die
       Anhörung nach Wolgograd geflogen. Ein berühmter Musikkritiker schrieb ein
       Plädoyer zu unserer Verteidigung. Das Lied ist eine Satire, nicht mehr und
       nicht weniger. Danach wurde eine Revision beschlossen. Das erneute Urteil
       soll bald gefällt werden.
       
       Was bedeutet das Verbot konkret für Menschen, die Ihr Video in sozialen
       Medien geteilt haben? 
       
       AR: Ihnen droht eine Geldstrafe. Unser Lied musste von allen Websites
       entfernt werden. Wir dürfen es auch nicht mehr live spielen, sonst müssen
       auch wir eine Geldstrafe zahlen.
       
       In „Rossija dlja grustnych“ (Russland für Trauernde) singen Sie: „Nimm das
       Lächeln aus deinem Gesicht, das ist hier nicht üblich, kleiner Mann“. Wie
       verbreitet ist die Verbitterung in der russischen Gesellschaft? 
       
       VK: Was den Charakter der Gesellschaft anbelangt, sprechen wir nicht als
       Anthropologen. Aber wir spüren schon die Aggressionen der Menschen.
       Jedenfalls beschreibe ich in den Songtexten alles, was ich um mich herum
       beobachte. Je weiter Richtung Osten man reist, in den Ural oder nach
       Sibirien, desto offener empfinde ich die Menschen.
       
       In dem Song „Vsjo projdjot“ (Alles geht vorbei) singen Sie: „Der Diktator
       von gestern ist heute ein toter alter Mann“. Was kommt nach Putin? 
       
       VK: Ich kann die Zukunft nicht vorhersagen. Es ist, als sei die Welt in
       eine Zeit vor und eine nach Kriegsbeginn geteilt worden. Früher lebten wir
       ohne Schrecken, und jetzt stecken wir mittendrin. Ich kann mir nicht mal
       ausmalen, was nächste Woche passiert.
       
       Was droht denen, die staatlichen Repressionen ausgesetzt sind? 
       
       VK: Jeder kann durch den Fleischwolf der Repression gedreht werden. Es ist
       hart, auch für alle Freunde, denen das widerfährt. Im Moment habe ich das
       Gefühl, dass in den staatlichen Stellen totales Chaos herrscht. Völlig
       willkürlich. Menschen werden verhaftet, mit Geldstrafen belegt, wenn sie
       die Wahrheit aussprechen. Es reicht, einen Videoclip von Rammstein zu
       teilen. Es gibt keine Logik mehr. Unmöglich vorherzusagen, wer morgen an
       der Spitze des Systems steht. Es ist unklar, ob gezielt nach sogenannten
       Staatsfeinden gesucht wird oder ob es darum geht, so vielen Menschen wie
       möglich Angst einzujagen.
       
       Vielleicht verursacht der Krieg tatsächlich Chaos bei den staatlichen
       Behörden und es ist an der Zeit, auf die Straße zu gehen? 
       
       VK: Es sind verschiedene Theorien im Umlauf. Vielleicht ist das Chaos auch
       Teil des Plans. Willkürlicher Terror, um alle dermaßen einzuschüchtern,
       dass niemand mehr sich traut, den Mund aufzumachen. Vielleicht gibt es
       tatsächlich Chaos. Wir haben gesehen, dass bei den Antikriegsprotesten
       sogar zufällig anwesene Passanten auf der Straße und Kriegsbefürworter mit
       verhaftet wurden.
       
       Sie sind 1987 geboren und kennen eigentlich nur Putin als russischen
       Machthaber. 
       
       VK: Ich kann mich noch vage an Jelzin erinnern. Meine Meinung zu Putin hat
       sich schon früher gefestigt. Er war ja beim Geheimdienst. Was auch immer er
       tut, man muss bei ihm auf der Hut sein. Man kann ihm nie trauen.
       
       Aber warum unterstützen ihn in Russland trotzdem noch so viele Menschen? 
       
       VK: Viele wollen keine eigenen Entscheidungen treffen. Sie möchten, dass
       jemand anderes Verantwortung für sie übernimmt. Es gibt in Russland die
       sogenannten Live-Übertragungen im TV, bei denen jemand aus einer weit
       entfernten Ecke des Landes Putin anruft und meldet: „Hier gibt es keine
       asphaltierte Straße.“ Dann antwortet Putin im Stile eines Kümmerers:
       „Dagegen werden wir etwas tun.“ Und erst dann wird jemand von der lokalen
       Behörde aktiv. Noch vor wenigen Wochen war der Alltag den meisten egal, man
       merkte nur, alles geht bergab, und dachte, schlimmer kann es sowieso nicht
       mehr kommen. Durch den Krieg wurde offensichtlich, dass alles immer noch
       viel schlimmer werden kann!
       
       Wie kamen Sie auf den Bandnamen Pornofilmy? Im Internet ist es dadurch
       enorm schwer, Sie zu finden! 
       
       VK: Als wir anfingen, waren wir Anfang zwanzig. Viele Punkbands tragen
       absichtlich dämliche Namen, das wollten wir auch! Wenn wir allerdings
       gewusst hätten, dass wir so populär werden und über ernste Themen singen
       würden, hätten wir uns etwas Intelligenteres einfallen lassen (lacht).
       Inzwischen funktioniert der Bandname wie Anti-Werbung. Er filtert. Manche
       Leute, die uns nicht kennen, denken: Eine Band mit einem so bescheuerten
       Namen kann gar nicht gut sein!
       
       30 Mar 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.youtube.com/watch?v=WennzcCfqtA
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ardy Beld
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Punk
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Russland
 (DIR) Russische Opposition
 (DIR) Pop
 (DIR) Russland Heute
 (DIR) Russland
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Russische Opposition
 (DIR) Rammstein
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Rechtsrock
 (DIR) Krieg
 (DIR) Köln
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
 (DIR) Stalin
 (DIR) Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Russischer Popstar Monetochka: Sie vergießt keine Tränen für die alte Heimat
       
       Der russische Popstar Monetochka lebt im Exil und engagiert sich gegen den
       Krieg. In Russland entfalten ihre Songs enorme Wirkung. Nun geht sie auf
       Tour.
       
 (DIR) Buchautorin über russische Gegenkultur: „Die Nischen sind geschrumpft“
       
       Die Autorin Norma Schneider veröffentlicht mit „Punk statt Putin“ ein Buch
       über russische Gegenkultur. Trotz Krieges widersetzt sich diese der
       Repression.
       
 (DIR) Russische Musikszene: Rappen, schweigen oder schießen?
       
       Trotz Repression wenden sich nach wie vor russische Musiker*innen gegen
       Krieg und Putins Regime. Andere unterstützen ihn, manche verstummen.
       
 (DIR) Russische Band Little Big geht ins Exil: Videoclip gegen Kriegspropaganda
       
       Die russische Band Little Big ist aus Protest gegen den russischen
       Angriffskrieg ins US-Exil gegangen. Auf Youtube folgen ihr die Fans.
       
 (DIR) Russischer Popstar über Repressionen: „Russland geht mir auf den Sack“
       
       Maksim Pokrovsky, Mastermind der Moskowiter Band Nogu Svelo! kann zu Hause
       nicht frei spielen. Im US-Exil hat er sein Tonstudio und genießt
       Freiheiten.
       
 (DIR) Tourauftakt von Rammstein: Pyro und Phallus
       
       Götterdämmerung in der Red Bull Arena: Rammstein huldigt der Masse und die
       Masse huldigt ihnen auf der Stadiontour, die jetzt in Leipzig startete.
       
 (DIR) Gedichte zum Krieg in der Ukraine: Der Welt lautlos Namen zuflüstern
       
       Dmitri Strozew ist als Dichter bekannt in Belarus. Jetzt schreibt er
       Gedichte über den Ukrainekrieg, die wir hier erstmals veröffentlichen.
       
 (DIR) Buch über Rechtsrocklabel: Angenehme Unterhaltung mit Herbert
       
       Das Buch „Rock-O-Rama. Als die Deutschen kamen“ will das Rechtsrocklabel
       Rock-O-Rama näher beleuchten. Doch kritische Aufarbeitung sieht anders aus.
       
 (DIR) Ukrainische Sängerin Mariana Sadovska: Kapitulation bedeutet Tod
       
       Die Musik von Mariana Sadovska ist inspiriert von den Liedern aus
       ukrainischen Dörfern. Jetzt sammelt sie Spenden für Militärausrüstung der
       Ukraine.
       
 (DIR) Musikclub „Acephale“ in Köln: Sicherer Hafen, unsichere Zeiten
       
       Im Club „Acephale“ in Köln arbeiten Menschen mit Wurzeln in der Ex-UdSSR.
       Der russische Angriff auf die Ukraine erschüttert ihr Selbstverständnis.
       
 (DIR) Russische Reaktionen auf Verhandlungen: „Frieden versprechen und schießen“
       
       Die russische Öffentlichkeit ist über die Verhandlungen in Istanbul
       gespalten. Alle Seiten relativieren die Ansage einer militärischen
       Beruhigung.
       
 (DIR) Antikriegslied von russischer Sängerin: Seufzen gegen den Krieg
       
       Popstar Zemfira veröffentlicht das Lied „Ne Strelayte“ erneut. Es wird zur
       Hymne der russischen Antikriegsbewegung.
       
 (DIR) Subversives Theater in Russland: Der Staat benötigt Leichen
       
       Trotz Zensur ist in Moskau noch Gegenkultur möglich: Im kleinen Teatr.Doc
       läuft seit Kriegsbeginn das Stück „Wie wir Josef Stalin beerdigten“.
       
 (DIR) Ukrainischer Kettenbrief: Der Wert von 44 Millionen Leben
       
       Ein manifestartiger Brandbrief beschäftigt die Ukraine. Ob ein
       Menschenleben in einem NATO-Mitgliedsland mehr wert ist, ist zentrales
       Thema.