# taz.de -- Eindrücke aus Kiew nach Putins Rede: Die Stimmung trügt
       
       > In den Straßen der ukrainischen Hauptstadt ist von einem Krieg nichts zu
       > spüren. Dennoch fürchten sich die Menschen vor dem, was kommt.
       
 (IMG) Bild: Protest am 22.02.2022 vor der russischen Botschaft in Kiew
       
       Kiew taz | Gefühlt ist der Frühling in Kiew angekommen, auch wenn es immer
       noch Februar ist. Die Sonne scheint, warme Luft weht durch die Stadt. Die
       Straßen sind voll, es liegt kein Schnee mehr. Aus einem gut besuchten Café
       auf dem Maidan hört man den Song „California dreaming“. Und man sieht weder
       Polizei oder Militär.
       
       Nur vor der russischen Botschaft auf dem Powitroflotskij-Prospekt Nummer 27
       stehen zwei Wagen der Nationalgarde und ein gutes Dutzend Polizisten und
       Nationalgardisten. An anderen Tagen stehen hier nur zwei Polizisten vor der
       fast immer geschlossenen Botschaft. Gut möglich, dass in nicht allzu ferner
       Zukunft überhaupt niemand mehr vor der russischen Botschaft in Kiew stehen
       wird.
       
       Nach der gestrigen Anerkennung der „Volksrepubliken“ von Donezk und Luhansk
       durch Russland denkt Präsident Wolodimir Selenski über einen völligen
       Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Russland nach. Dies würde die
       Schließung von zwei Vertretungen Russlands in Kiew, der Botschaft und des
       Konsulats bedeuten.
       
       Der Eindruck von „Business as usual“, wie es auf den ersten Blick scheint,
       trügt. Alik kommt aus Aserbaidschan, er ist froh, dass er dem
       Karabach-Krieg entgehen konnte. Er hat mittlerweile die ukrainische
       Staatsbürgerschaft und sich ein kleines Unternehmen aufgebaut. Er bietet
       Lieferdienste und Taxifahrten an. Fast jeden Morgen joggt der 54-Jährige
       seine 30 Runden auf einem kleinen Sportplatz am Stadtrand von Kiew.
       
       Und an diesem Morgen träumt er vor sich hin: „Ich würde gerne ein Café
       aufmachen, irgendwo in einem Kiewer Vorort. Da wäre es sehr gemütlich, das
       Geschirr wäre immer sauber und die Gäste wären immer zufrieden. Das ist
       mein Traum“, sagt er, etwas außer Atem vom Laufen. „Aber jetzt, wo wohl
       bald Krieg kommt, wird da wohl nichts draus. Das Erste, was beim Krieg
       nicht funktioniert, ist die Wasserversorgung. Und ich brauche doch gutes
       Wasser für mein Geschirr“, sagt der Kleinunternehmer. Dass es zum Krieg
       kommen wird, ist für ihn inzwischen ziemlich sicher. „Ich habe ein paar
       sehr reiche Geschäftsfreunde“, so Alik, „und die sind alle schon im Ausland
       – ihr Geld haben sie natürlich mitgenommen.“
       
       Alena, die von Maniküre und Pediküre lebt, ist glücklich. Endlich hat ihr
       ihre russische Freundin, mit der sie vor einigen Jahren gemeinsam in einer
       deutschen Klinik war, in der ihre Kinder behandelt worden sind, nach Jahren
       wieder geschrieben. „Weißt du“, so soll ihre Freundin aus der sibirischen
       Stadt Nowosibirsk ihr geschrieben haben, „ich will keinen Krieg gegen euch,
       auch meine Familie will keinen Krieg und meine Freunde wollen auch keinen
       Krieg gegen euch. Aber Putin will ihn. Wir sind wütend auf ihn, und wir
       haben Angst vor ihm. Wenn du deinen Mund aufmachst, musst du damit rechnen,
       dass dessen Leute dich zu Hause aufsuchen.“
       
       Große Sorgen um ihre in Donezk lebende Mutter macht sich Julia Bloschenko,
       Sales Managerin der ukrainischen Vertretung der deutschen Kosmetikfirma
       Baehr, die selbst aus Donezk geflohen ist und jetzt in [1][Kiew] lebt.
       „Schon den ganzen Tag heute, so berichtete mir meine Mutter, fuhr
       Militärtechnik durch unsere Straße in Donezk.“ Am Montag habe ein Kunde im
       Geschäft ihrer Mutter plötzlich ganz erschreckt auf sein Telefon gesehen.
       Er hatte ein SMS erhalten, dass er sofort zum Militär müsse. Er wolle
       nicht, habe er ihrer Mutter gesagt. Aber es gebe Gerüchte, dass Männer, die
       sich weigern, sich einberufen zu lassen, gefoltert würden. Besonders
       schlimm sei das mit den Zwangsrekrutierungen in Luhansk, so Bloschenko.
       
       Mittlerweile seien die Evakuierungen nach Russland eingestellt worden.
       Glücklicherweise sei niemand von ihrer Familie evakuiert worden, so Julia.
       Ihr seien einige Familien bekannt, deren Wohnung kurz nach ihrer
       Evakuierung ausgeraubt worden seien. Auch Julia fürchtet sich vor den
       Ansprüchen der Separatisten. „Ich glaube, die Separatisten meinen es ernst
       mit ihren Ansprüchen auf den gesamten Donbass. Ich hoffe aber auch, dass
       sie ihr gesunder Menschenverstand von einem Eroberungsversuch des gesamten
       Donbass abhalten wird.“ Denn nun sei die ukrainische Armee besser
       aufgestellt als 2014 und nun werde die ukrainische Armee sämtlichen
       Eroberungsversuchen Widerstand entgegensetzen. „Und das gibt dann einen
       großen Krieg“, so die aus Donezk stammende Julia Bloschenko.
       
       Ihre Furcht ist berechtigt. Gegenüber dem russischen Fernsehen hatte der
       Chef der „Volksrepublik“ Donezk, [2][Denis Puschilin], erklärt, dass die
       Grenzen der „Volksrepublik“ Donezk mit den administrativen Grenzen des
       Gebietes Donezk identisch seien. Und das bedeutet, dass Puschilin auch
       Ansprüche auf Städte wie Mariupol, Slawjansk und Kramatorsk stellt, die
       von Kiew kontrolliert werden. Der ukrainische Präsident Wolodimir
       Selenski rechnet trotzdem nicht mit Krieg in seinem Land: „Wir glauben
       nicht, dass es einen Krieg gegen die Ukraine und eine weitreichende
       Eskalation geben wird“, sagte er am Dienstag in Kiew.
       
       22 Feb 2022
       
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