# taz.de -- Munitionssprengungen in Nord- und Ostsee: Für Schweinswale tödlich
       
       > Nord- und Ostsee sind munitionsverseucht. Eine Studie zeigt: Druckwellen
       > von Sprengungen töten Schweinswale. Deren Bestand ist gefährdet.
       
 (IMG) Bild: Nach den Minensprengungen der Marine: Ein Schweinswal treibt im September 2019 tot in der Ostsee
       
       Osnabrück taz | Manchmal töten Kriege auch noch, wenn sie schon längst
       vorbei sind. Auch Nord- und Ostsee sind Schauplätze dieses zeitversetzten
       Sterbens.
       
       Ursula Siebert weiß, was das bedeutet. Sie sieht es auf dem Obduktionstisch
       bei Schweinswalen. Mitte Januar hat sie im Wissenschaftsmagazin Environment
       International dazu eine [1][Studie] veröffentlicht. Wer sie liest, weiß,
       was [2][Unterwassersprengungen von Munitionsaltlasten] aus dem Zweiten
       Weltkrieg dem Schweinswal antun – der einzigen Walart, die vor Deutschlands
       Küsten heimisch ist.
       
       Siebert ist Professorin der Tierärztlichen Hochschule Hannover und leitet
       dort das Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung
       (ITAW). Seit 1990 befasst sich die Wissenschaftlerin mit Schweinswalen.
       „Die Veränderung, die in dieser Zeit eingetreten ist, ist dramatisch“, sagt
       sie. „Die Situation ist äußerst prekär.“ [3][Die Bestände brächen ein.]
       Viele Tiere würden noch nicht einmal mehr so alt, dass sie die
       Geschlechtsreife erreichten.
       
       Die Gründe dafür sind vielfältig. Da ist die [4][Fischerei], in deren
       Stellnetzen viele Wale ertrinken. Da ist der [5][Ramm-Schall] der
       Fundamentarbeiten für Offshore-Windkraftanlagen. Da sind die
       [6][Schadstoffe], die über Schiffe und Flüsse ins Meer gelangen. Seismische
       Gesteinserkundung und Speedboat-Lärm spielen eine Rolle, das Mikroplastik,
       der Tourismus, der [7][Bau von Pipelines].
       
       Und da ist eben auch das Militär. Nicht nur das der Gegenwart, das mit
       Sonar übt und Soldaten beibringt, wie Minen explodieren, sondern auch das
       beider Weltkriege – und auch das der Nachkriegszeit, das nach 1945 deutsche
       Munition auf See verklappt hat. 1,6 Millionen Tonnen konventioneller
       Spreng- und Brand-Munition verrotten am Grund der deutschen Nord- und
       Ostsee, schätzt das Umweltbundesamt: von der Granate bis zum Torpedo. Dazu
       kommen 5.000 Tonnen chemischer Kampfstoffe. TNT tritt ins Wasser aus,
       ebenso Quecksilber und Phosphor, Kampfstoffe wie Senfgas, Tabun und
       Phosgen.
       
       Eines der wehrlosesten Opfer ist der Schweinswal. Denn was nicht geborgen
       und an Land entsorgt werden kann oder durch Taucher entschärft, wird oft
       gesprengt. Sind Wale in der Nähe, führt das in ihrem Gehör zu einem
       Drucktrauma. Oft ist das tödlich. Noch in weiter Entfernung können die
       physischen Schäden erheblich sein. Der Stress ist es sowieso.
       
       Für seine Studie hat Sieberts ITAW-Forschungsteam aus TierärztInnen und
       BiologInnen 24 Schweinswale auf Hörschäden untersucht. Im Herbst und Winter
       2019 wurden sie an der Ostseeküste Schleswig-Holsteins tot aufgefunden, in
       der Eckernförder, Kieler und der Lübecker Bucht. Kurz zuvor hatte ein
       Manöververband der Bundesmarine nahe dem Meeresschutzgebiet Fehmarnbelt 42
       britische Fliegerbomben aus dem Zweiten Weltkrieg gesprengt – ohne
       Schallschutzmaßnahmen und Hinzuziehung der Naturschutzbehörden.
       
       „Das war vielleicht als eine Art Amtshilfe gedacht“, vermutet die
       ITAW-Leiterin. „Normalerweile ist so was ja eine zivile Aufgabe. Und an die
       Wale hat wohl niemand gedacht.“ Ihr Team fand Explosionsverletzungen,
       verursacht durch Druckwellen.
       
       Zwischen 250 und 300 Schweinswale stranden in Deutschland jedes Jahr –
       schwere Verluste für die Bestände. In der Nordsee haben die sich womöglich
       schon halbiert, fürchtet Siebert. „In der Ostsee ist die zentrale
       Population nur noch wenige Hundert Köpfe stark und vom Aussterben bedroht.“
       Die westliche sei stärker, rund 40.000 Tiere, aber die lebten vielfach in
       dänischen Gewässern.
       
       Wer mit Siebert spricht, hört Sätze, die deprimieren. Sätze wie:
       „Schutzgebiete sind nicht viel wert, wenn dort [8][kein wirklicher Schutz
       stattfindet]. Und es ist ja auch nicht so, dass sich die Tiere da ständig
       drin aufhalten. Außerdem sind sie so klein, dass ein Wal da relativ schnell
       durchschwimmt.“ Völlig schwarz sieht Siebert aber nicht, vor allem in
       Sachen Munitionsentsorgung: „Das Thema ist präsenter geworden.“ Der Politik
       attestiert sie: „Der Wille ist da, es in Zukunft besser zu machen.“
       
       ## Hörschäden noch in zehn Kilometern Entfernung
       
       Dagmar Struß, Leiterin der Nabu-Landesstelle Ostseeschutz, sieht das
       genauso: „Es hat sehr lange gedauert, aber jetzt ist Problembewusstsein da,
       in allen politischen Parteien.“ Robert Habeck habe das als Umweltminister
       in Schleswig-Holstein ziemlich gepuscht.
       
       Aber auch Struß gibt sich keinen Illusionen hin: „Ich bezweifle, dass sich
       die Schweinswal-Bestände halten können.“ Vor allem der Bundesmarine stellt
       sie kein gutes Zeugnis aus: „Wir müssen Sprengungen halt üben, sagen die
       mir, das sei eine Frage der Sicherheit. Aber die können mir nicht erzählen,
       dass sie dabei wirklich alles tun, um die Wale nicht zu gefährden!“ Wale
       erlitten noch in zehn Kilometer Entfernung Hörschäden. „Wie will man denn
       feststellen, ob in diesem Radius welche präsent sind?“, fragt Struß.
       
       Große Hoffnungen ruhen derzeit auf [9][neuen Technologien], zumal aus der
       Robotik. Eine davon ist die Bergungsplattform Robemm. Von der
       Bundesregierung gefördert und vom Fraunhofer-Institut für Chemische
       Technologie mitentwickelt, soll sie Munition thermisch entsorgen, nicht
       detonativ. Robemm, unbemannt und videogesteuert, schwimmend und mobil,
       könnte die Wale entlasten. Retten wird sie sie nicht.
       
       14 Feb 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0160412021006395?via%3Dihub
 (DIR) [2] /Kriegsmunition-in-Nord--und-Ostsee/!5743283
 (DIR) [3] /Schweinswal-Population-der-Nordsee/!5748765
 (DIR) [4] /Kritik-an-deutscher-Fischereipolitik/!5782868
 (DIR) [5] /Kommentar-Windparks-in-der-Ostsee/!5589057
 (DIR) [6] /Ostsee-auf-der-Kippe/!5538765
 (DIR) [7] /Gasbohren-im-Wattenmeer/!5773203
 (DIR) [8] /Meeresschutz-nicht-umgesetzt/!5758770
 (DIR) [9] /Verrottende-Weltkriegsmunition/!5774314
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Harff-Peter Schönherr
       
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