# taz.de -- Globale Lieferengpässe: Ungechippt
       
       > Ohne Halbleiter geht nichts. Und die sind knapp geworden. Auch bei
       > schwäbischen Ventilatorenherstellern behindert das die Produktion. Ein
       > Werksbesuch.
       
 (IMG) Bild: Auch Ventilatoren brauchen heute Chips, wenn sie etwa in Wärmepumpen stecken
       
       Da liegt diese Scheibe aus schwarzem Silizium, ein so genanntes Halbmetall,
       flach, eckig und kaum größer als eine Linse. Oben hat sie eine silbrige
       Struktur, die bestimmt, welche Aufgabe sie später erfüllt. Es ist eine
       elektronische Gehirnzelle – jenes Modul, an dem es heute überall fehlt und
       das deshalb die Wirtschaft zum Stocken bringt.
       
       Erich Rauscher ist Produktionsleiter bei EBM-Papst, in Mulfingen, südlich
       von Würzburg. Das Unternehmen ist Weltmarktführer für Ventilatoren,
       unterhält Produktionsstandorte auf vier Kontinenten. Rauscher hat den Chip
       extra in ein durchsichtiges Plastiktütchen gepackt, damit er nicht verloren
       geht. Man muss sich das mal vorstellen, sagt Rauscher, „vor zwei Jahren
       haben wir so einen Chip für Cent-Beträge eingekauft, jetzt zahlen wir
       irgendwas im mittleren zweistelligen Euro-Bereich“. Eine Preissteigerung um
       den Faktor tausend oder mehr. Den genauen Preis will Rauscher nicht nennen.
       Denn erstens ändert der sich jeden Tag und zweitens will er sich über die
       Händler, auf die er jetzt angewiesen ist, nicht beklagen.
       
       Wenn es nur die Preissteigerungen wären. Aber seit eineinhalb Jahren geht
       es auf dem weltweiten Chipmarkt zu wie früher in der Planwirtschaft:
       Hersteller vergeben wöchentlich nur noch festgelegte Kontingente für die
       verschiedenen Branchen. Wer mehr braucht, als ihm zugeteilt wird, muss die
       fehlenden Module auf dem grauen Markt beschaffen. Bei Chip-Brokern – Leuten
       also, die im großen Stil die so genannten Halbleiter in der Hoffnung auf
       künftige Verknappung gelagert haben und jetzt fast jeden Preis dafür
       verlangen können.
       
       Und das tun sie auch. Die Herstellernamen auf der Graumarktware sind oft
       geschwärzt, damit man die Herkunft nicht nachvollziehen kann. „Wir müssen
       dann erstmal die Qualität prüfen“, sagt Rauscher. Und obwohl man als
       Unternehmen teils absurde Preise bezahlt, bekommt man am Ende doch nicht
       alle Komponenten, die man braucht. Das bringe einen riesigen Stress ins
       Unternehmen, sagt Rauscher. Seit eineinhalb Jahren müssen sie hier ständig
       Löcher stopfen.
       
       Ventilatoren, das klingt für Laien nicht nach Hightech, die Chiptechnik
       benötigt. Aber Papst-Produkte werden zur Kühlung und zum Lüften in fast
       allen Bereichen eingesetzt. Bei PKWs zum Beispiel, in Küchengeräten oder
       Klimaanlagen. Und auch in Beatmungsgeräten auf Intensivstationen und in
       Luftfilteranlagen, wie man sie zur Coronabekämpfung in den Schulen
       aufstellen wollte, steckt Technik von EBM-Papst. Ohne Halbleiterchips gebe
       es bei Ventilatoren – wie früher – nur „An“ oder „Aus“, vielleicht noch
       zwei verschiedene Geschwindigkeiten. Mehr nicht. Mit Chips hingegen lässt
       sich ein Ventilator stufenlos und energiesparend regeln und zwar in
       Abhängigkeit vom CO2- oder Feinstaubgehalt in der Luft oder der Temperatur
       – je nachdem, mit welcher Steuerungseinheit man ihn verbindet. Erst der
       Chip macht den Ventilator schlau und flexibel.
       
       ## Arbeit im Stottertakt
       
       Nachmittags in der Montageeinheit „PG3“. Es ist schon fast drei Uhr, aber
       die Menschen in den Blaumännern grüßen sich immer noch mit „Mahlzeit“. Vier
       Mitarbeiter bauen aus einem Metallgehäuse, einem schwarzen Propeller von
       einem halben Meter Durchmesser und einer Steuerungseinheit einen Ventilator
       für eine Wärmepumpe zusammen. Damit soll bald die Umgebungsluft eines
       Einfamilienhauses angesaugt werden. Wärmepumpen sind inzwischen ein
       Massenprodukt, drei von vier Neubauten werden so beheizt. Eigentlich sollen
       es noch mehr werden, jetzt, da die neue Bundesregierung den Klimaschutz
       richtig in Schwung bringen will.
       
       Die Arbeiter in der Montage haben heute gut zu tun. Alle Bauteile sind
       vorrätig, da können fünf Pumpen in der Stunde rausgehen. „Das ist leider
       nicht immer so“, sagt der Fertigungsleiter Sebastian Erneker. Seit Corona
       läuft die Fertigung nicht mehr im Rhythmus der Aufträge, sondern nach dem
       stotternden Takt der Chiplieferungen. Wenn Chips da sind, wird produziert,
       wenn nicht, stapeln sich die anderen Bauteile in den Lagerhallen, die
       Kunden müssen vertröstet werden, die Neubauten werden nicht fertig.
       
       Auch für die Mitarbeiter ist dieses Stop-and-go eine Belastung. Mal müssen
       sie ihr Wochenende wegen Überstunden umplanen, dann wieder können sie drei
       Tage am Stück zu Hause bleiben. Manchmal beides in der gleichen Woche. „Da
       müssen wir viel erklären und die Gründe transparent machen“, sagt Rauscher
       ein bisschen knurrig. Ja, reden sei schon wichtig in diesen Krisenzeiten.
       „Aber man kann halt nicht immer nur schwätzen, wir müssen auch noch zum
       Arbeiten kommen.“
       
       E-Mobilität, Photovoltaik, Unterhaltungselektronik oder Medizintechnik –
       alle Branchen rangeln im Moment auf dem Weltmarkt um die Halbleiter.
       Experten gehen davon aus, dass es auch ohne die Coronakrise zu einem
       weltweiten Chip-Engpass gekommen wäre. Denn eigentlich sind alle
       Zukunftstechnologien auf sie angewiesen. Und das Feld der Hersteller ist
       übersichtlich und hat einen deutlichen Schwerpunkt in China und Taiwan. Nur
       die wenigsten Produktionsstätten stehen in Europa und den USA. Da ist es
       schwierig für Firmen wie EBM-Papst, regionale Lieferketten aufzubauen. Und
       deshalb schlägt jede größere Störung auf dem Weltmarkt bis nach Mulfingen
       durch.
       
       Noch konzentrierter ist das Herstellerfeld für so genannte Wafer, jenen
       schwarzen Silikonplättchen, die Grundlage der Chip-Produktion sind. Da
       teilen sich im Wesentlichen fünf Hersteller mit Schwerpunkt in Fernost den
       Weltmarkt. Intel hat im Dezember angekündigt, ein Wafer-Werk in Deutschland
       zu errichten, um die Produktion näher an den europäischen Markt zu holen.
       So eine Anlage kostet Milliarden. Selbst die großen Firmen sind da auf
       staatliche Subventionen angewiesen.
       
       ## Vor dem Lockdown heruntergefahren
       
       Lange hat der Markt trotz des Hersteller-Nadelöhrs ganz gut funktioniert.
       Die letzte Chipkrise ist Jahre her, seitdem gab es eher zu viele Chips auf
       dem Markt. Mit dem Ausbruch von Corona sah es dann erst so aus, als würde
       die Nachfrage weiter sinken. Denn die Autohersteller – wichtige Abnehmer –
       stornierten weltweit ihre Chipbestellungen. Sie fürchteten, dass die
       Menschen in einer globalen Pandemie Wichtigeres zu tun haben, als Autos zu
       kaufen. Damit hatten sie erstmal recht und so war es eigentlich richtig,
       die Produktion erst einmal zu drosseln.
       
       Doch gleichzeitig boomte durch den Lockdown die gesamte Heimelektronik.
       Intel, Infineon und andere waren froh, ihre überschüssigen Chips nun an
       Apple und Microsoft ausliefern zu können. Und als dann die Weltwirtschaft
       ungeachtet der Pandemie wieder anzog, hätten viele Menschen auch gern
       wieder einen Neuwagen gekauft, vielleicht auch mit Elektroantrieb. Aber
       jetzt fehlten der Branche die Chips dafür.
       
       Gleichzeitig waren die Länder, in denen die großen Chipfabriken stehen,
       zeitweise von harten Lockdowns betroffen, die auch ganze Fabriken
       lahmlegten. Zuerst China, dann Malaysia, wo die Fabriken, aber auch
       weltweit wichtige Testeinheiten für die Chipherstellung stehen. Vor allem
       Malaysia sei „heftig gewesen“, sagt der EBM-Fertigungsleiter Sebastian
       Erneker.
       
       Und wenn man kein Glück hat, kommt oft auch noch Pech dazu. Im Februar 2021
       mussten Chipfabriken von Samsung und Infineon in Texas ihren Betrieb
       stoppen, weil Schneestürme die Stromversorgung gekappt hatten. Die sensible
       Technik musste überhastet heruntergefahren werden, sodass die Anlage
       nachhaltig beschädigt wurde. Im März des gleichen Jahres wurde eine große
       Anlage des Chipherstellers Renesas Electronics in Japan bei einem Großbrand
       beschädigt. Und Donald Trump war auch bei der Chipkrise nicht hilfreich:
       Die Sanktionen gegen China, besonders gegen den Elektrokonzern Huawei,
       verschärften die Lage zusätzlich.
       
       ## Verhandeln rund um die Uhr
       
       Videokonferenz mit Mary Yan in Shanghai. Seit die Lieferketten so gestört
       sind, legt die Einkaufsdirektorin in der China-Zentrale von EBM-Papst ihre
       Handys eigentlich gar nicht mehr aus der Hand. Sie sitzt in ihrem Büro vor
       drei Bildschirmen, die Smartphones und das Tischtelefon immer im Blick.
       Fast rund um die Uhr schreibt und spricht sie im Moment mit Herstellern und
       Zwischenhändlern. Es ist ein persönliches Geschäft, bei dem lang gewachsene
       Kontakte zählen. Sie macht das seit 14 Jahren und es ist gut, dass sie als
       Chinesin auch die Zwischentöne in den Gesprächen versteht. Mary Yan
       berichtet von ihren alltäglichen Verhandlungen, bei denen Chips wie auf
       einer Auktion nach dem Höchstgebot verkauft werden, von Lieferanten, die
       beim Vertragsabschluss auf den vereinbarten Preis einfach noch einmal ein
       paar Prozent draufschlagen: „Take it or leave it“.
       
       Auch ungewohnt: Hersteller, die Mary Yan schon lange kennt, sagen sich
       jetzt plötzlich im Papst-Werk in Shanghai zum Besuch an. Sie wollen
       nachschauen, ob dort die georderte Menge von Halbleitern auch wirklich
       verarbeitet oder ob das rare Gut womöglich gehortet wird. Wo Mary Yan
       früher langfristige Lieferungszyklen vereinbarte, fängt sie jetzt jede
       Woche neu an: Mal fehlen 30 Prozent der geplanten Lieferungen, die sie über
       andere Kanäle ersetzen muss, mal sind es mehr. „Das ist wahnsinnig
       anstrengend“, sagt sie. Die Chipkrise hat sie schon einige schlaflose
       Nächste gekostet.
       
       In Shanghai ist es zwar schon Abend, aber nach dem Gespräch hat sie noch
       eine wichtige Verhandlung mit einem Lieferanten. Diesmal führt sie es
       gemeinsam mit Thomas Nürnberger, dem EBM-Vorstand in Mulfingen. Das soll
       die Dringlichkeit unterstreichen. Die Chipbeschaffung wird immer öfter zur
       Chefsache.
       
       Etwas ruhiger geht es zur gleichen Zeit in der obersten Etage eines Neubaus
       auf dem Mulfinger Firmengelände zu. In der Entwicklungsabteilung sitzen
       junge Ingenieure in Kapuzenpullovern hinter Schreibtischen, die mit
       Messgeräten, Kabeln und Platinen übersät sind. Auch hier versuchen sie den
       Mangel so gut es eben geht in den Griff zu bekommen. Dominik Bauer macht
       Überstunden, um alternative Teile zu prüfen und Platinen und Schaltkreise
       so umzugestalten, dass die Chips, die Einkäufer wie Mary Yan beschaffen
       könnten, in den Ventilator passen, auch wenn eigentlich ein anderer Chiptyp
       vorgesehen war.
       
       ## Einbauen, was zu kriegen ist
       
       Das ist heikel. Unternehmen sprechen nicht gerne über das so genannte
       Redesign. Denn da kommt schnell der Verdacht auf, der Chipmangel führe zu
       Kompromissen bei der Qualität. „Das machen wir natürlich nicht“, sagt
       Bauer. Jeder neue Chip werde intensiv geprüft und sogar einem
       „Alterungsprozess“ unterzogen, sagt er. Denn Halbleiter sind eine
       verderbliche Ware. Ohne Qualitätsverlust sollte man sie nicht länger als
       zwei Jahre lagern. Gleichzeitig würden die Kunden über Änderungen in der
       Elektronikarchitektur informiert. „Wir machen das so transparent wie
       möglich“.
       
       Oft sind es kleine Eingriffe, weil es tatsächlich nur darum geht, einen
       etwas größeren Chip auf einer Platine unterzubringen. Aber manchmal ist es
       eine halbe Neuentwicklung. Wenn auch die so genannten Mikrocontroller knapp
       werden, also Chips, die gleich mehrere Aufgaben in einem Gerät übernehmen,
       dann müsste sogar Software umgeschrieben werden, um sie durch andere
       ersetzen zu können. Dann wird es sehr teuer.
       
       Für Tüftler wie Bauer ist die Arbeit interessant. Man lernt, gewohnte
       Konstruktionen zu überdenken und vielleicht sogar besser zu machen. „Die
       Arbeit lohnt sich“, sagt Bauer. Er habe jetzt noch viel mehr mit
       Kolleginnen und Kollegen aus anderen Abteilungen zu tun. Die freuen sich,
       wenn er hilft, die Produktion am Laufen zu halten. Aber eigentlich sollten
       sie hier im dritten Stock ja nicht an längst eingeführten Produkten
       herumbasteln. Sie sollten neue Produkte entwickeln und die alten
       effizienter, energiesparender und klimafreundlicher machen. Das ist eine
       Arbeit, die jetzt oft liegen bleibt. Die Folgen dieses Innovationsstaus
       werden im Unternehmen wohl erst in einigen Jahren sichtbar.
       
       Dabei schlägt sich die Chipknappheit heute schon in der Bilanz nieder.
       EBM-Papst gibt als Familienunternehmen keine Umsatzzahlen bekannt. Aber die
       gestiegenen Einkaufspreise schmälern den Gewinn, auch wenn langjährige
       Kunden oft bereit sind, einen höheren Preis zu bezahlen, der dann am Ende
       beim Verbraucher landet. Aber: „Die Zahlen nach zwei Jahren Pandemie sind
       nicht gut“, sagt der EBM-Unternehmenssprecher.
       
       Was man schon weiß: Der Chipmangel bremst die Wirtschaft weltweit. Im
       vergangenen Jahr wurden in den USA beispielsweise fast acht Millionen Autos
       weniger produziert. Die Lücke war wesentlich größer als die Branche zu
       Beginn des Jahres angenommen hatte. Wer glaubt, das sei eine gute Nachricht
       für den Klimaschutz, der sollte sich klar machen, dass der Mangel an
       Siliciumplättchen auch E-Mobilität, intelligente Stromnetze und
       klimaneutrale Energieversorgung abwürgt. Auch deshalb bauen Hersteller neue
       Chipanlagen in den USA und Europa.
       
       ## Keine Chips, keine neuen Chipfabriken
       
       Am Ende könnte der Chipmangel sogar die Chipproduktion selbst behindern.
       Ernst Rauscher, der Produktionsleiter in Mulfingen, hat noch einen zweiten
       Halbleiter in seinem Tütchen mitgebracht. Im Vergleich zu dem ersten,
       winzigen, ein richtiger Brummer. Er sieht aus wie ein schwarzer
       Radiergummi, in den jemand Drähte gebohrt hat. Das Plättchen kommt bei
       Lüftungsanlagen für Reinräume zum Einsatz, erklärt Rauscher. Staubfreie
       Labore also, in denen zum Beispiel auf die schwarzen Silikonplättchen die
       silbernen Verätzungen aufgebracht werden. Auch dieser Halbleiter wird
       inzwischen knapp. Aber ohne den Radiergummi-Chip keine Lüftung. Ohne
       Lüftung kein Reinraum. Ohne Reinraum kein Chip. Erwin Rauscher guckt
       ratlos. „Sehen Sie, da beißt sich die Katze in den Schwanz.“
       
       8 Feb 2022
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Benno Stieber
       
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