# taz.de -- CDU-Menschenrechtsexperte über Olympia: „Wer schweigt, macht sich schuldig“
       
       > Das IOC mache sich zum Komplizen einer Diktatur. Auch die deutsche
       > Wirtschaft stelle Absatz über Menschenrechte, sagt CDU-Politiker Michael
       > Brand.
       
 (IMG) Bild: VW-Angestellte posieren anlässlich der Produktion des ersten New Santana-Modells in Shanghai, 2013
       
       taz: Herr Brand, haben Sie sich die Eröffnungsfeier der Olympischen
       Winterspiele im Fernsehen angeschaut? 
       
       Michael Brand: Ich bin echt sportbegeistert, und ich schaue mir eigentlich
       auch gerne olympische Eröffnungen an. Aber mit der Vergabe in diesem Jahr
       an Peking haben die Spiele ihre Unschuld verloren, das IOC verrät die
       olympische Idee. Also habe ich mir diese Inszenierung nicht angesehen.
       Allein der Versuch, das enorm brutale Vorgehen des Regimes Xi Jinping gegen
       die Uiguren dadurch unterdrücken zu wollen, dass die letzte Fackel-Läuferin
       ausgerechnet eine Uigurin war, macht deutlich, wie skrupellos, auch einfach
       zynisch dieses Regime ist. Ich drücke unseren deutschen Sportlern die
       Daumen. Die sind auch Opfer des IOC, und ich wünsche ihnen, dass sie trotz
       Problemen bei Corona und Quarantäne dennoch viel Erfolg haben.
       
       Was konkret kritisieren Sie am Internationalen Olympischen Komitee? 
       
       Die Fehler sind nicht erst 2021 oder 2022 entstanden, sondern wir erleben
       schon seit einiger Zeit, dass sportliche Großveranstaltungen von
       autoritären Staaten genutzt werden, um sich ein besseres Image zu geben.
       Bislang hat es noch kein anderes Land geschafft, dass sowohl die Sommer-
       als auch die Winterspiele an eine Hauptstadt gehen. Das hat China dank des
       IOC nun erreicht. Und das ausgerechnet in einer Zeit, in der das Regime in
       Peking mit äußerster Brutalität sowohl im Inneren als auch im Äußeren
       vorgeht, die Demokratiebewegung in Hongkong niederknüppelt, Taiwan mit
       Krieg droht und in der Provinz Xinjiang Hunderttausende Uiguren in
       Internierungslager steckt.
       
       Das IOC und der jetzige Präsident Thomas Bach haben schon 2008 gesagt: Die
       Spiele seien eine gute Gelegenheit, über Menschenrechtsverletzungen zu
       sprechen und auf diese Weise Wandel zu bringen. 
       
       Ja, und er lag damals schon falsch. [1][Die Menschenrechtslage ist nicht
       nur gleich schlecht geblieben, sondern dramatisch schlimmer geworden.] Das
       Wichtigste an den Olympischen Spielen sind neben dem Sport aber auch Werte
       wie Frieden und Verständigung. Peking steht derzeit für das Gegenteil.
       
       Bei den Spielen vor 14 Jahren hatte man noch den Eindruck, das IOC pocht
       auf die Einhaltung der Olympischen Charta, etwa das Recht auf freie
       Meinungsäußerung und die Bewahrung der Menschenwürde. Das scheint dieses
       Mal kein Thema mehr zu sein. Ist China auch für das IOC zu mächtig
       geworden? 
       
       Schon bei der Vergabe 2015 an Peking hatte das IOC viele Punkte gar nicht
       mehr eingefordert. Spätestens seit 2017 weiß die Welt von den
       Internierungslagern in Xinjiang. Da hätte das IOC Konsequenzen ziehen
       müssen. So viel Entscheidungsspielraum gibt es im IOC schon noch. Als die
       Olympischen Spiele 1936 in Berlin stattfanden, hatte die Welt die Illusion,
       man könnte den nach innen brutalen und nach außen aggressiven
       Nationalsozialismus bändigen. Wir wissen, dass das nicht passierte. Ich
       kann nur sagen: Das IOC macht sich erneut zum Komplizen einer brutalen
       Diktatur. Wer schweigt, macht sich schuldig. Ein Deutscher wie Thomas Bach
       müsste das besonders gut wissen.
       
       Hat die deutsche Politik denn keinen Kontakt zu Thomas Bach? 
       
       Wir Parlamentarier im Bundestag, die sich mit Menschenrechten beschäftigen,
       haben die Sportverbände mehrfach auf die Probleme hingewiesen. Mein
       Eindruck ist: Um nicht zu schlecht dazustehen, wird zwar etwas unternommen.
       Aber nur das absolute Minimum. Ein tibetischer Dokumentarfilmer hatte 2008
       eine Dokumentation über die Repressionen in Tibet gedreht. Vier Jahre war
       er dafür in Haft, wurde gefoltert, seine Familie in Sippenhaft genommen. Er
       lebt heute in den USA. Vor Kurzem war er in Berlin und führte ein Gespräch
       mit dem Deutschen Olympischen Komitee. Im Anschluss daran habe ich mit dem
       Filmemacher gesprochen. Er habe sich nicht wirklich ernst genommen gefühlt,
       erzählte er. Die Funktionäre hätten sich nicht für seine Erfahrungen
       interessiert. In der Öffentlichkeit zeigt sich der Verband interessiert.
       Nach innen aber schaut er weg und akzeptiert die brutale Unterdrückung, die
       in China stattfindet.
       
       Was bedeutet ein solches Verhalten für den Sport? 
       
       Ich glaube, auf diese Weise werden die Olympischen Spiele an die Wand
       gefahren. Natürlich widert es auch immer mehr Sportlerinnen und Sportler
       an, dass das IOC die Spiele zu einem reinen Instrument von Kommerz und
       Macht verkommen lässt. Themen wie Nachhaltigkeit, Umweltschutz und die
       Einhaltung der Menschenrechte spielen auch unter Sportlern eine große
       Rolle. Und auch das Publikum fühlt sich belogen. Das IOC muss endlich einen
       Kurswechsel vornehmen.
       
       Von der Bundesregierung haben Sie im Vorfeld dieser Spiele einen
       diplomatischen Boykott gefordert. Was sind die Gründe? 
       
       China stellt eine größere Gefahr für die Welt dar als die Sowjetunion. Dass
       Xi zur Eröffnung Wladimir Putin als ersten Staatsgast empfangen hat, um den
       Eröffnungstag zur gemeinsamen Agitation gegen den freien Westen zu nutzen,
       passt ins Bild: Da haben sich die derzeit wichtigsten Autokraten der Welt
       inszeniert, wobei Putin natürlich der kleine Juniorpartner ist. Dieses
       symbolische Treffen der beiden zeigt nur noch mehr, wie wichtig es für die
       freien Gesellschaften ist, nicht länger zu zaudern, sondern deutliche
       Signale zu setzen. Dazu gehört auch der Boykott. Dass die neue
       Bundesregierung sich nicht einmal zu einem diplomatischen Boykott
       durchringen konnte, ist ein Zeichen von Schwäche und ein Fehler. Andere
       Länder haben das mit Bedacht getan. Sportler sollen an Sportereignissen
       teilnehmen, aber ein diplomatischer Boykott wäre möglich und das Mindeste
       gewesen.
       
       Ist das nicht reine Symbolpolitik? 
       
       Natürlich ist ein diplomatischer Boykott auch ein Symbol. Aber gerade
       Symbole sind autoritären Regimen wie China extrem wichtig. Ich erlebe ja,
       wie die chinesische Führung versucht, jegliches Zeichen von Solidarität, ob
       es Flaggen oder Demos sind, zu unterdrücken. Symbole sind sicherlich nicht
       die alleinige Antwort auf ein brutales und aggressives Regime. Aber wir
       haben mittlerweile auch Unternehmen, die starke Verbündete beim Thema
       Menschenrechte sind und differenzierte Papiere auf den Weg bringen, etwa
       der BDI (Bundesverband der Deutschen Industrie, d. Red.), weil sie
       beobachten, dass auch Mitarbeiter von deutschen Unternehmen, die sich zum
       Beispiel mit der Demokratiebewegung in Hongkong solidarisieren, unter Druck
       gesetzt werden. Dass Außenministerin Annalena Baerbock von
       werteorientierter Außenpolitik spricht, dann aber Kanzler Olaf Scholz ihre
       Aussagen wieder einsammelt, ist wirklich ein Kotau. Ich frage mich: Welche
       Haltung hat der Bundeskanzler überhaupt?
       
       Die gleiche Frage könnte man der Vorgängerregierung stellen, an der Ihre
       Partei beteiligt war. 
       
       Angela Merkel war immerhin eine der wenigen europäischen Regierungschefs,
       die die Menschenrechtsverletzungen in China überhaupt noch angesprochen
       haben. Aber es stimmt, ich habe auch unter der Vorgängerregierung
       kritisiert, dass wir angesichts der Unterdrückung, die immer brutaler
       geworden ist in China, eine andere Gangart brauchen. Leider wird die Lage
       immer schlimmer. Und da kann die Vorgängerregierung keine Entschuldigung
       sein. Scholz war über viele Jahre Vizekanzler. Ich höre von diesem Mann
       nichts zu den Internierungslagern, den brutalen Menschenrechtsverletzungen.
       Mein Eindruck ist sogar, dass er der Außenministerin Steine in den Weg legt
       für ihre klare Positionierung. Beim Thema Menschenrechte ändert sich meine
       Haltung nicht, egal, ob meine Partei in der Regierung ist oder in der
       Opposition.
       
       Ist dieses Vorgehen wirklich verwunderlich? Im SPD-Stammland Niedersachsen
       sitzt schließlich Volkswagen, das inzwischen fast die Hälfte seiner
       Fahrzeuge in China verkauft. Das Land Niedersachsen ist an VW sogar
       beteiligt. 
       
       Deutschland hat natürlich ein Interesse an guten wirtschaftlichen
       Beziehungen mit China. Die Frage ist aber, ob wir nur noch die Wirtschaft
       im Blick haben und alles andere unterordnen? Nein, das darf nicht die
       Antwort sein. Gerade weil wir als größte europäische Volkswirtschaft auch
       in China so präsent sind, sollten wir unsere Einflussmöglichkeiten nutzen.
       
       Das könnte die deutsche Wirtschaft aber teuer zu stehen kommen. 
       
       Natürlich müssen wir auch bereit sein, einen Preis zu zahlen, sonst
       rutschen wir immer mehr in Abhängigkeiten. Sie nennen das Beispiel VW:
       Volkswagen hat auf Druck der chinesischen Führung ein Werk in der
       Provinzhauptstadt von Xinjiang errichtet. Quasi in unmittelbarer
       Nachbarschaft stehen dort jetzt Internierungslager. So weit hätte es nie
       kommen dürfen. Ich habe eben von Menschenrechten gesprochen, von
       Demokratie, von Rechtsstaatlichkeit, von unseren Werten. Heißt das am Ende,
       um unsere Absätze und Exporte nicht in Gefahr zu bringen, werfen wir diese
       Werte einfach über Bord?
       
       Aber was fordern Sie konkret? 
       
       Ich fordere VW und auch Siemens zu mehr Transparenz auf. Was ist eigentlich
       vereinbart worden an strategischer Kooperation zwischen VW und China? Kann
       Wolfsburg wirklich ausschließen, dass in Xinjiang in den Lieferketten keine
       Zwangsarbeit involviert ist? Was hat Siemens beim Ausbau der digitalen
       Überwachung für Verträge mit dem chinesischen Staat vereinbart? Wegschauen
       ist eine Schande für Siemens und auch für VW und damit leider auch für
       unser Land. Gerade deutsche Unternehmen tragen eine besondere
       Verantwortung, wenn in ihrem Geschäftsumfeld ein Völkermord begangen wird.
       
       7 Feb 2022
       
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