# taz.de -- Diakonie-Chef über Pflege und Corona: „Depressive Stimmung“
       
       > Nicht nur die Impfpflicht-Debatte belastet die Pflegekräfte der Diakonie
       > Osnabrück. Geschäftsführer Friedemann Pannen über eine prekäre Situation.
       
 (IMG) Bild: Ständiges Erklärenmüssen: Pflegefachkraft bei der Arbeit in einem Seniorenheim in Nienburg
       
       taz: Herr Pannen, sind Sie für die [1][Impfpflicht?]
       
       Friedemann Pannen: Die Diakonie Osnabrück spricht sich für eine allgemeine
       Impfpflicht aus. Die sogenannte einrichtungsbezogene Impfpflicht ist
       berufsethisch geboten. Sie sollte aber nicht davon ablenken, dass die rund
       30 Prozent ungeimpften Erwachsenen in der Gesamtbevölkerung epidemiologisch
       das Hauptproblem darstellen, nicht die knapp 10 Prozent ungeimpften
       Mitarbeitenden in Altenheimen.
       
       Der Deutsche Pflegerat, der Dachverband der zentralen Pflegeorganisationen,
       spricht sich dafür aus, dass Ungeimpften im Falle einer Impfpflicht
       gekündigt wird. Wie stehen Sie dazu? 
       
       Arbeitsrechtlich ist jeder Einzelfall zu prüfen. Statt über Kündigungen
       nachzudenken, setzen wir weiterhin auf Aufklärung und die Überzeugungskraft
       von KollegInnen, Leitungskräften und Mitarbeitervertretungen. Allerdings
       wird es zu unbezahlten Freistellungen kommen müssen, solange die
       Mitarbeitenden in der Altenhilfe nicht über die gesetzlichen
       Voraussetzungen zur Erbringung ihrer Arbeitsleistung verfügen.
       
       Rund 1.400 Mitarbeitende betreuen bei Ihnen rund 1.500 Menschen mit
       Pflegebedarf. Wie hoch ist der Durchimpfungsgrad Ihrer Belegschaft? 
       
       Über 90 Prozent, was die Erst- und Zweitimpfung anbelangt. Das umfasst alle
       Beschäftigten der Altenhilfe, neben PflegerInnen auch Hauswirtschafts- und
       Verwaltungskräfte. Damit liegen wir in Niedersachsen im Schnitt
       diakonischer Träger. In mancher Einrichtung, die religiös konservativer
       profiliert ist, ist die Quote niedriger, aber das sind Einzelfälle.
       
       Was tun Sie, um auf 100 Prozent zu kommen? 
       
       In den Teambesprechungen und in Einzelgesprächen wurde immer wieder mit
       ImpfskeptikerInnen gesprochen. Der Betriebsarzt hat individuelle Angebote
       unterbreitet. Zurzeit werden die bislang noch Ungeimpften mit einem
       Anschreiben der Geschäftsführung über die Folgen der einrichtungsbezogenen
       Impfpflicht aufgeklärt.
       
       Wie schützt man Ungeimpfte davor, von Geimpften unter Druck gesetzt zu
       werden? 
       
       Als sozialer Dienstleister kennt die Diakonie Osnabrück den schmalen Grat
       zwischen Beratung und Unterdrucksetzen sehr gut. Sollte es zu einer
       Situation des Mobbings oder Bossings kommen, greift eine betriebliche
       Dienstvereinbarung zum partnerschaftlichen Umgang am Arbeitsplatz.
       
       Die Arbeitssituation ist derzeit sicher besonders angespannt? 
       
       Das zweite Weihnachten unter Coronabedingungen verbreitet unter vielen
       Mitarbeitenden eine schwierige, fast depressive Stimmung. Hohe
       Krankenstände führen zusätzlich zu großen Arbeitsverdichtungen. Auch die
       permanente Fokussierung der Debatte auf die Pflege erzeugt Druck.
       
       Wie sieht dieser Druck aus? 
       
       Ich habe gestandene Leitungskräfte weinen sehen, die mir sagen: Wir können
       einfach nicht mehr! Ein Faktor dabei ist dieses ständige Erklärenmüssen: Wo
       gibt’s die Tests für Besucher, fragen Angehörige der Pflegebedürftigen,
       warum gelten hier andere Bestimmungen als anderswo … Das ist alles sehr
       belastend.
       
       Es gibt ohnehin [2][zu wenig Pflegekräfte.] Wenn jetzt noch die wegfallen,
       die keine Impfung haben: Kommt dann weniger Pflege bei den
       Pflegebedürftigen an? 
       
       Das ist schwer zu quantifizieren. Aber die Situation ist prekär. Die Pflege
       ist ein Mangelberuf, da brauchen wir jeden Einzelnen. Bei den Allermeisten
       der noch Ungeimpften setze ich drauf, dass sie sich noch überzeugen lassen.
       Aber wir sind ein Spiegel der Gesellschaft, und manche Mitarbeitenden sind
       Argumenten nicht zugänglich. Wir müssen damit rechnen, dass wir auch auf
       Leute treffen, die im Querdenkermilieu unterwegs sind und sagen: [3][Dann
       bin ich weg!]
       
       Dass sie den Beruf ganz verlassen? 
       
       Genau, denn eine Möglichkeit, in ihm zu arbeiten, gibt es so für sie ja
       nicht mehr. Auch um den Hauswirtschaftsbereich machen wir uns Gedanken.
       Möglicherweise können Ungeimpfte von dort in die Gastronomie wechseln, aber
       jede Pflegeeinrichtung lebt von guten Leuten, die Essen zubereiten und
       austeilen, die Reinigungsarbeiten ausführen. Das ist alles sehr schwierig.
       
       Apropos Querdenker: Wie steht die Diakonie zu dieser Bewegung? 
       
       Das Demonstrationsrecht schützt auch Menschen, die „verwirrte“ Meinungen
       zum Ausdruck bringen wollen. Das ist auch gut so und zeichnet eine
       wehrhafte Demokratie aus. Die Argumente sogenannter Querdenker nehmen wir
       mit großem Unverständnis wahr. Wenn Wissenschaft per se in Frage gestellt
       wird, wenn Verschwörungstheorien, die offenkundig jedweder Grundlage
       entbehren, verbreitet werden, besteht Anlass zur Sorge, dass damit andere
       Interessen verfolgt werden sollen als die Meinungskundgebung zur
       Einschränkung von Freiheitsrechten, etwa die bewusste Spaltung der
       Gesellschaft. Große Sorge bereitet uns, dass sich Proteste der sogenannten
       Querdenker mit rechtsextremem politischem Gedankengut mischen. Wer gegen
       Coronamaßnahmen protestiert, muss wissen, mit wem er beziehungsweise sie
       mitläuft.
       
       Auch in Osnabrück demonstrieren Querdenker jedes Wochenende, mit großem
       Zulauf. 
       
       Letzten Samstag war ich unten den Gegendemonstranten. Ich bin hingegangen,
       um zu zeigen: Wir überlassen den Querdenkern nicht die Straße; sie sind
       nicht die Mehrheit! Aber dass es sie gibt, führt natürlich schon zu
       Unsicherheit, auch in unserer Belegschaft.
       
       4 Jan 2022
       
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