# taz.de -- Urteil des Bundesverfassungsgerichts: Es darf nicht so weit kommen
       
       > Die Richter:innen in Karlsruhe erklären in ihrem Urteil eine Triage
       > für zulässig. Die Politik ist aufgefordert, Menschen mit Behinderung zu
       > schützen.
       
 (IMG) Bild: Zum Schutz der Behinderten muss sich der Gesetzgeber jetzt um eine Regelung der Triage kümmern
       
       Die beste [1][Triage] ist keine Triage. Statt Diskussionen über die Auswahl
       der zu behandelnden Patient:innen in pandemiebedingten Notlagen zu
       führen, sollte der Staat zuallererst dafür sorgen, dass es gar nicht erst
       zu derart tragischen Engpässen kommt. Bund und Länder müssen deshalb vor
       allem die Pandemie wirksam eindämmen, und sie müssen dafür sorgen, dass in
       den Intensivstationen ausreichende Kapazitäten vorhanden sind.
       
       Für den Fall, dass es doch zu einer Triage kommt, haben die
       [2][Verfassungsrichter:innen nun aber den Bundestag in die Pflicht
       genommen]. Er muss [3][Menschen mit Behinderung] vor einer Benachteiligung
       schützen, wenn es darum geht, wer noch behandelt wird und wer nicht. Dabei
       hat das Gericht eine Triage, also eine Auswahl, durchaus zugelassen.
       
       Es hat nicht vorgeschrieben, dass im Ernstfall gewürfelt werden muss,
       sondern die Richter:innen haben das aktuell maßgebliche Kriterium der
       „klinischen Erfolgsaussicht“ ausdrücklich für zulässig erklärt. Bei der
       Triage darf die Überlebenswahrscheinlichkeit der Patient:innen durchaus
       berücksichtigt werden. Allerdings haben die Richter:innen sehr gut
       herausgearbeitet, dass es einen großen Unterschied macht, ob es auf das
       Überleben der konkreten Krankheit ankommt oder auf die Lebenserwartung
       insgesamt.
       
       Zulässig ist nur, auf das Überleben der gegenwärtigen Krankheit
       abzustellen, sei es Covid-19 oder eine Lungenentzündung oder ein
       Herzinfarkt. Es geht um die Frage, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist,
       dass die jeweiligen Patient:innen die Intensivstation lebend wieder
       verlassen werden. Unzulässig wäre es nach Ansicht der
       Verfassungsrichter:innen dagegen, auf die Zahl der noch verbleibenden
       Lebensjahre oder die künftige Lebensqualität abzustellen.
       
       Hier wären Menschen mit Behinderung benachteiligt, weil ihre
       Lebenserwartung tendenziell niedriger ist und weil Mediziner:innen
       vielleicht Vorurteile bezüglich der Qualität eines Lebens mit Handicap
       haben. Die Verfassungsbeschwerde war insofern erfolgreich, weil der
       Bundestag nun tätig werden muss. Zudem hat sie schon im Vorfeld eine
       gesellschaftliche Diskussion angestoßen und die zuständige Ärztevereinigung
       zu mehreren Klarstellungen veranlasst.
       
       Teilweise muss der Bundestag diese notwendigen Klarstellungen nur noch mit
       Gesetzesautorität versehen. Positiv zu bewerten ist auch, dass das
       Bundesverfassungsgericht über seinen eigenen Schatten gesprungen ist. Noch
       im Jahr [4][2006 hat es im Urteil zum Luftsicherheitsgesetz] entschieden,
       dass der Gesetzgeber nie Leben gegen Leben abwägen darf. Er dürfe also
       nicht den Abschuss eines entführten Flugzeugs anordnen, selbst wenn die
       Maschine mit Sicherheit in ein voll besetztes Stadion fliegen würde.
       
       Nun hat Karlsruhe den Gesetzgeber sogar in die Pflicht genommen, Klarheit
       in der Frage der Triage zu schaffen – zumindest zum Schutz der
       Behinderten.
       
       28 Dec 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Mediziner-ueber-Triage-in-der-Pandemie/!5818986
 (DIR) [2] /BVerfG-zu-Menschen-mit-Behinderung/!5824484
 (DIR) [3] /Corona-und-behinderte-Menschen/!5754867
 (DIR) [4] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2006/02/rs20060215_1bvr035705.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Rath
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Coronavirus
 (DIR) Triage
 (DIR) Gesundheitspolitik
 (DIR) Bundesverfassungsgericht
 (DIR) GNS
 (DIR) Pandemie
 (DIR) Schwerpunkt Coronavirus
 (DIR) Triage
 (DIR) Schwerpunkt Coronavirus
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Raúl Krauthausen über BVerfG-Urteil: „Der Staat muss uns schützen“
       
       Das Triageurteil des Bundesverfassungsgerichts ist ein Erfolg für Menschen
       mit Behinderungen, sagt Inklusionsaktivist Raúl Krauthausen.
       
 (DIR) BVerfG zu Menschen mit Behinderung: Klare Triage-Regeln müssen her
       
       Werden Intensivbetten knapp, stehen Ärzt:innen vor harten Entscheidungen.
       Menschen mit Behinderung müssen dabei besonders geschützt werden, entschied
       nun das BVerfG.
       
 (DIR) Mediziner über Triage in der Pandemie: „Vom Gesetzgeber alleingelassen“
       
       In Augsburg ist die Lage auf den Intensivstationen besonders angespannt.
       Axel Heller vom dortigen Universitätsklinikum übers eigene Triage-Konzept.
       
 (DIR) Corona in den Kliniken: Ist das schon Triage?
       
       Auf den Intensivstationen sind viele Betten belegt. Kommt jetzt die Triage,
       oder haben wir sie längst? Die wichtigsten Fragen und Antworten.