# taz.de -- Anschuldigungen gegen „Mr Big“: Gerechte Gesellschaft?
       
       > Gegen Chris Noth erheben vier Frauen Missbrauchsvorwürfe. Prozesse wird
       > es deswegen voraussichtlich nicht geben.
       
 (IMG) Bild: Ist vielen als „Mr Big“ aus Sex and the City bekannt: Chris Noth soll sich übergriffig verhalten haben
       
       Wer in den vergangenen Tagen die Nachrichten über den Schauspieler Chris
       Noth verfolgt hat, bekommt das Gefühl: Das war’s für ihn. Er verliert seine
       Jobs und seine Reputation, Freund:innen distanzieren sich von ihm – und
       selbst seine Ehefrau soll sich von ihm zurückgezogen haben. All das sind
       Reaktionen auf Missbrauchsvorwürfe, die vergangene Woche gegen den
       67-Jährigen, der den meisten durch seine Rolle als „Mr Big“ in „Sex and the
       City“ (SATC) bekannt sein dürfte, erhoben wurden.
       
       Noth wurde nicht schuldig gesprochen. Es gab keinen Prozess gegen ihn, die
       Polizei hat keine Ermittlungen aufgenommen, nicht einmal Anzeige wurde
       bislang gegen ihn erstattet. Er selbst bestreitet alle Vorwürfe. Es steht
       also Aussage gegen Aussage, doch Konsequenzen bekommt Noth trotzdem zu
       spüren. Denn an die Stelle des Rechtsstaats tritt die Gesellschaft.
       
       Aber ist das fair? Gilt denn nicht die Unschuldsvermutung – also dass
       jemand so lange als unschuldig gilt, bis ein rechtskräftiges Urteil
       vorliegt? Muss Noth denn keinen Raum bekommen, sich gegen die
       schwerwiegenden Vorwürfe verteidigen zu können?
       
       Es sind Fragen, die immer auftauchen, wenn mutmaßlich Betroffene
       sexualisierter Gewalt mit ihren Erfahrungen an die Öffentlichkeit gehen.
       Fragen, die viele problematische Strukturen in unserem Umgang mit
       sexualisierter Gewalt offenlegen, Fragen, für die wir aber als Gesellschaft
       noch keine Antwort gefunden haben. Die Vorwürfe gegen Chris Noth
       veranschaulichen das.
       
       ## Ein Date
       
       Letzte Woche Donnerstag, der Tag, an dem die dritte Folge des
       [1][SATC-Reboots „And Just Like That …“] ausgetrahlt wurde, veröffentlichte
       der [2][Hollywood Reporter einen] Artikel, in dem zwei namentlich nicht
       genannte Frauen schwere Vorwürfe gegen Noth erhoben. Eine heute 40-jährige
       Frau, die in dem Text Zoe genannt wird, wirft Noth vor, sie 2004 in Los
       Angeles vergewaltigt zu haben. Der damals schon durch SATC sehr berühmte
       Noth soll sich mit der 22-Jährigen am Pool eines Gebäudes in West Hollywood
       verabredet und sie nach einem einvernehmlichen Kuss vergewaltigt haben. „Es
       war sehr schmerzhaft und ich habe ‚Stopp‘ geschrien, doch er hörte nicht
       auf. Als ich fragte: ‚Kannst du wenigstens ein Kondom benutzen‘, lachte er
       mich aus“, zitiert der Hollywood Reporter Zoe.
       
       Die zweite Frau, die in dem Artikel Lilly genannt wird, sagt, sie habe Noth
       2015 in einem New Yorker Club getroffen, in dem sie damals arbeitete. Als
       der 60-Jährige sie um ein Date bat, war sie „star-struck“ und ließ sich
       gerne darauf ein. Betrunken soll sie am Dateabend mit ihm in seine Wohnung
       gegangen sein, dort hätten beide Sex gehabt, wobei sie weinte. Als sie die
       Wohnung verlassen habe, habe sie sich „furchtbar“ und „total misshandelt“
       gefühlt.
       
       Noth streitet die Vorwürfe gegen sich ab. In einem Statement schreibt er:
       „Nein bedeutet immer nein, das ist eine Linie, die ich nicht überschreite.
       Die Begegnungen waren einvernehmlich.“ Er wisse nicht, warum die
       Geschichten gerade jetzt an die Öffentlichkeit gebracht würden. Aber was er
       wisse, ist: „Ich habe diese Frauen nicht missbraucht.“
       
       Die beiden Frauen gaben gegenüber dem Hollywood Reporter an, sich nicht zu
       kennen. Noths Fernsehauftritt bei „And Just Like That …“ sowie der davon
       inspirierte und viral gegangene Werbespot des Fitness-Unternehmens Peleton
       hätten die unangenehmen Erinnerungen von damals wieder hervorgebracht.
       
       ## Unter Klarnamen
       
       Mittlerweile erhebt eine dritte Frau, die sich Ava nennt, gegenüber dem
       Daily Beast Vorwürfe, Noth soll sie 2010 missbraucht haben. Die
       Schauspielerin [3][Zoe Lister-Jones berichtet unter Klarnamen bei
       Instagram] von übergriffigem Verhalten Noths am Set von „Law and Order“.
       
       Kurz nachdem die Vorwürfe veröffentlicht wurden, zog Peleton das Werbevideo
       wieder zurück. Der millionenschwere Verkauf von Noths Tequilla-Marke wurde
       auf Eis gelegt. Seine Agentur ließ ihn fallen, und der Sender CBS gab
       bekannt, dass Noth mit sofortiger Wirkung keine weiteren Episoden mehr für
       die Serie „The Equalizer“ drehen werde.
       
       Am Dienstag reagierten dann auch die drei SATC-Schauspielerinnen mit einem
       kurzen Statement auf Instagram. Cynthia Nixon, Sarah Jessica Parker und
       Kristin Davis schreiben darin: „Wir sind zutiefst erschüttert über die
       Anschuldigungen gegen Chris Noth.“ Und weiter: „Wir unterstützen die
       Frauen, die ihre schmerzvollen Erfahrungen mit der Öffentlichkeit geteilt
       haben. Wir wissen, dass das sehr schwer sein muss, und sprechen ihnen dafür
       unsere Anerkennung aus.“ Von Parker, die vor der Kamera jahrelang ein Paar
       mit Noth gespielt hat, ist bekannt, dass sie mit dem Schauspieler privat
       gut befreundet war.
       
       Sexualdelikte der Art, die Noth vorgeworfen werden, verjähren sowohl in Los
       Angeles als auch in New York nach rund 10 Jahren. Nur einer der Fälle
       könnte also noch vor Gericht kommen. Doch da die Betroffene keine Anzeige
       erstattet hat, wird auch das nicht passieren. Laute Unterstützer:innen
       im privaten oder beruflichen Kontext hat Noth momentan nicht. Man kann sich
       dabei natürlich fragen, ob das fair ist. Doch es ist wichtig festzuhalten,
       dass die Situation für die Betroffenen niemals fair ist. Diese sind in der
       Regel verletzt und traumatisiert, erzählen sie von ihren Erfahrungen, wird
       ihnen häufig nicht geglaubt. Oder noch schlimmer: Ihnen wird unterstellt,
       sie würden lügen, um daraus Profit zu schlagen.
       
       ## So einfach wie möglich
       
       Und selbst wenn Betroffene beschließen, juristisch gegen den Täter
       vorzugehen, haben sie damit meist keinen Erfolg. Der Prozess ist dabei für
       viele retraumatisierend: Immer und immer wieder müssen sie ihre Erfahrungen
       schildern, detaillierte Nachfragen beantworten und begegnen dabei meist
       unsensiblen Polizeibeamt:innen, Staatsanwält:innen und Richter:innen.
       Zu einer Verurteilung kommt es dabei fast nie, in Deutschland
       beispielsweise [4][wird nur bei einer von 100 Vergewaltigungen der Täter
       auch verurteilt.]
       
       Bei einer zu Recht geltenden Unschuldsvermutung wird die Situation niemals
       hundertprozentig fair sein. Denn Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt
       finden meist hinter verschlossenen Türen und ohne Zeug:innen statt. Und
       selbst wenn nicht, sind die Täter oft so mächtig, [5][dass sie von ihrem
       Umfeld gedeckt werden.]
       
       Deswegen ist es wichtig, es den Betroffenen so einfach wie möglich zu
       machen. Konkret könnte das bedeuten: Das Ende der juristischen Verjährung
       in Fällen von sexualisierter Gewalt, Videoaussagen statt ein erzwungenes
       Aufeinandertreffen von Täter und Opfer vor Gericht, sensiblere
       Beamt:innen sowie eine komplette Übernahme der Anwalts- und
       Prozesskosten für Betroffene. Solange das nicht der Fall ist und unser
       politisches und juristisches System sich nicht besser für Opfer
       sexualisierter Gewalt ausrichtet, sollte man sich nicht wundern, wenn die
       Gesellschaft ihre Konsequenzen daraus zieht.
       
       21 Dec 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Sex-and-the-City-Reboot/!5818983
 (DIR) [2] https://www.hollywoodreporter.com/tv/tv-news/chris-noth-accused-of-sexual-assault-1235063596/
 (DIR) [3] https://www.instagram.com/p/CXkIGX7vS04/?utm_source=ig_web_copy_link
 (DIR) [4] https://www.tagesschau.de/investigativ/report-muenchen/verurteilungen-vergewaltigung-101.html
 (DIR) [5] /Prozess-gegen-Epstein-Vertraute/!5820761
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Carolina Schwarz
       
       ## TAGS
       
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