# taz.de -- Parteivorsitz der Grünen: Nouripour will Habeck beerben
       
       > Der Grüne Omid Nouripour ist ein profilierter Außenpolitiker. Jetzt will
       > er Parteichef werden – eine Co-Vorsitzende soll auch schon bereitstehen.
       
 (IMG) Bild: Wird er neuer Grünen-Chef? Omid Nouripour hat bei „Lanz“ seine Kandidatur bestätigt
       
       Berlin taz | Frag nicht, was die Partei für dich tun kann. Frag, was du für
       die Partei tun kannst: Pathetische Auftritte, das kann man ihm nicht
       absprechen, hat Omid Nouripour drauf. Als der 46-Jährige am Donnerstagabend
       bei Markus Lanz seine Kandidatur für den Grünen-Vorsitz auch offiziell
       ankündigte, wurde es vor dem Fernseher fast schon erhaben.
       
       „Ich bin mit 13 Jahren nach Frankfurt gekommen. Diese Stadt und diese
       Partei haben mir alles gegeben, was ich jetzt bin. Und wenn ich in dieser
       Situation als Parteivorsitzender etwas zurückgeben dürfte, wäre es mir eine
       große Freude.“ Also nimmt Nouripour die Last der großen Freude auf sich und
       kandidiert auf dem Parteitag Ende Januar. [1][Robert Habeck und Annalena
       Baerbock] werden ihre Posten voraussichtlich räumen, weil das Parteistatut
       das für Regierungsmitglieder vorsieht.
       
       Die ehemalige Grüne-Jugend-Vorsitzende Ricarda Lang, so heißt es, [2][wird
       wohl für den zweiten Platz in der Doppelspitze] kandidieren. Neben der
       27-Jährigen wäre Nouripour der Routinier. Seit 15 Jahren sitzt er im
       Bundestag. Der Öffentlichkeit in ihrer ganzen Breite ist er in dieser Zeit
       zwar nicht unbedingt bekannt geworden, als Fachpolitiker (erst im Europa-,
       dann im Verteidigungs- und schließlich im Außenausschuss) hatte er sich
       aber schnell Renommee erarbeitet. In der Partei war er vor seinem Einzug in
       den Bundestag ohnehin schon vernetzt.
       
       Es war die Zeit, als die Grünen-Parteitage immer berechenbarer wurden – die
       Debatten sorgsam durchgetaktet, die Redebeiträge fein verteilt, die heiklen
       Themen so gefahrlos gesetzt, dass nur die, die unbedingt wollten, sich
       trotzdem noch wild und diskussionsfreudig fühlen durften.
       
       ## Nahbar, freundlich
       
       Damals also, gegen Ende der rot-grünen Periode (1998 bis 2005), legte bei
       der Party am Parteitags-Abend stets „MC Omid“ auf, ein Jungpolitiker aus
       Frankfurt am Main, Beisitzer im Bundesvorstand, ein ausgesprochen nahbarer,
       freundlicher Mensch, der über das Talent verfügte, alles gleichzeitig zu
       behaupten und auch zu begründen: dass die Grünen die Agenda 2010 natürlich
       mitgetragen hätten, weil es gar nicht anders gegangen sei!, dass aber die
       Grünen außerdem dafür zuständig seien, sich um die Ausgegrenzten der
       Gesellschaft zu kümmern, ja, sich „Links neu“ zu erfinden!, so das Papier,
       das Omid Nouripour damals mitverfasste.
       
       So wie MC Omid Musik abmischte, konnte er auch seine Meinungen ineinander
       übergehen lassen, Kontraste versöhnen, Hauptsache, das Publikum zieht mit.
       „Links neu“ buchstabierte sich dann wiederum so, dass Nouripour ein
       Organisator des „Realo“-Flügels der Partei wurde. Dies aber machte er ganz
       ohne die gewisse zynische Kühle, die den VertreterInnen dieses Flügels
       typischerweise anhaftete, es wurde allerdings auch nicht recht deutlich,
       welche inhaltlichen Akzente er dort setze.
       
       2006 zog Nouripour als Nachrücker für Joschka Fischer in den Bundestag ein,
       direkt mit Schwerpunkt Außenpolitik. Es wurde sehr bald deutlich, wie und
       wo seine wachsende Expertise in der Geo- und Sicherheitspolitik vor allem
       gebraucht wurde: in der Einordnung und Begleitung des Bundeswehr-Einsatzes
       in Afghanistan.
       
       Was natürlich enorm half: Nouripour spricht Farsi. Mit 13 Jahren kam er
       1988 mit seinen Eltern, gutgestellten Akademikern, aus Teheran nach
       Frankfurt, liebte das Deutsche so sehr, dass er nach dem Abitur auch
       Germanistik studierte. Doch mit seiner Muttersprache kann er sich in
       Afghanistan weitgehend mühelos verständigen – ein unschätzbarer Vorteil im
       Verständnis dessen, was während des 20-jährigen Einsatzes der Nato und
       angeschlossener Nationen dort passierte und warum es [3][so entsetzlich
       schiefging].
       
       ## Afghanistan geht ihm nahe
       
       Man kam ihm abnehmen, dass ihn nicht zuletzt die Machtübernahme der Taliban
       im Sommer und das Chaos der darauf folgenden Evakuierung persönlich stark
       mitnahm. Ihn, der wohl halb Kabul kennt und allein in der entscheidenden
       Augustwoche zig Nachrichten aus der Stadt erhielt – von Bekannten und
       Unbekannten, die auf einen Weg aus dem Land hofften.
       
       Ob der ehrliche Ärger der Grünen über [4][den bisherigen Umgang mit den
       afghanischen Ortskräften] auch noch Bestand hat, wenn die Ampel erst mal
       regiert, ob Leute wie Nouripour ihren neuen Einfluss nutzen werden, um mehr
       Großzügigkeit durchzusetzen, gehört übrigens zu den interessantesten
       Nebenaspekten des Regierungswechsels.
       
       Aber zurück zum Afghanistaneinsatz an sich: Länger als andere in der
       Fraktion war er für diesen Einsatz, stimmte im Bundestag bis zuletzt für
       die Mandate – nicht aber, ohne zuvor am Redepult um Argumente zu ringen,
       Einsichten einzustreuen, sein Verständnis für das Nein der Anderen
       auszusprechen.
       
       Die reine, böse Anklage ist ihm als Textsorte so fremd wie die scharfe
       Abgrenzung, was zur Folge hat, dass man nach einem Kaffee mit Omid
       Nouripour zwar einen Sack voller interessanter Details mit ins Büro nehmen
       kann, aber womöglich ohne ein klares Bild dessen, worauf der Mann
       hinauswill.
       
       Wer versöhnt die Lager? 
       
       Als Parteichef könnte Nouripour vermutlich die berühmten Brücken bauen, für
       Verständigung sorgen, die Grünen – das Publikum halt – einnehmen, weniger
       noch für sich als vielmehr für die Sache, die größere, gemeinsame. Nach dem
       [5][Eklat um Toni Hofreiter], der entgegen allen Zusagen an den linken
       Flügel der Partei nicht ins Kabinett kommen wird, dürfte dies umso nötiger
       sein.
       
       „Ich werde was ganz anderes tun müssen, als Robert Habeck gemacht hat
       bisher“, sagte Nouripour am Freitag im Deutschlandfunk mit Blick auf sein
       Rollenverständnis als möglicher neuer Parteichef. Da hat er zweifelsfrei
       recht, die Macht bei den Grünen verschiebt sich durch den
       Regierungseintritt automatisch von der Bundesgeschäftsstelle in Richtung
       der Ministerien. Die Parteivorsitzenden werden weniger führen können und
       mehr moderieren müssen.
       
       Ein beachtlicher Karriereschritt wäre es für Nouripour dennoch, sollte ihn
       die Partei denn wählen. Für einen Ministerposten war er nicht im Gespräch,
       im Sondierungsteam nicht vertreten. In den Koalitionsverhandlungen leitete
       er dann zumindest das grüne Verhandlungsteam für Außenpolitik und nicht die
       ebenfalls dafür prädestinierte Fraktionsvize Agnieszka Brugger.
       
       Staatsminister im Auswärtigen Amt, das wäre für einen mit seinem Profil
       keine Überraschung gewesen. Stattdessen wagt er jetzt also den Schritt in
       die vordere Reihe der Partei, während Annalena Baerbock zwei Abgeordnete
       aus dem Verteidigungsausschuss mit ins Auswärtige Amt nimmt.
       
       Zum Einen Katja Keul, Abrüstungsexpertin der Fraktion und als
       Staatsministerin in Zukunft wohl auch in diesem Themenfeld tätig. Zum
       anderem Tobias Lindner, Experte für den Verteidigungshaushalt, als
       Staatsminister aber voraussichtlich generalistisch für klassische
       Außenpolitik verantwortlich. Dazu kommt die Abgeordnete Anna Lührmann als
       Europa-Staatsministerin.
       
       Korrekturhinweis: In einer früheren Version dieses Textes hatten wir
       geschrieben, dass Nouripour seine Haltung zum Afghanistan-Einsatz im Laufe
       der Zeit geändert und diesen zum Schluss abgelehnt habe. Das trifft nicht
       zu. Im Bundestag hat er den Afghanistan-Mandaten bis zum Schluss
       zugestimmt.
       
       5 Dec 2021
       
       ## LINKS
       
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