# taz.de -- Urteil im Prozess um Tiergartenmord: Politisches Handeln ist nötig
       
       > Der Mord in Berlin ist nach Ansicht des Kammergerichts von Russland in
       > Auftrag gegeben worden. Die Verurteilung des Täters reicht nicht.
       
 (IMG) Bild: Der Tatort im Tiergarten in Berlin am 23. August 2019
       
       Mordprozesse finden nicht im luftleeren Raum statt. Es geht um die
       Wirklichkeit, um Mordopfer und Täter. Ein deutsches Gericht hat
       festgestellt, dass der [1][Mord am Georgier Selimchan Changoschwili] in
       Berlin im russischen Staatsauftrag begangen wurde. Die Konsequenz aus
       diesem sogenannten Tiergarten-Mordprozess kann nicht darauf beschränkt
       werden, bloß den russischen Täter in lebenslange Haft zu nehmen. Es muss
       auch um den russischen Staat als Auftraggeber gehen.
       
       Die dem Putin-Regime gerichtlich vorgeworfene Blutspur quer durch Europa
       ist lang, vom Litwinenko-Mord in Großbritannien bis zum Flug [2][MH-17 mit
       knapp 300 Todesopfern]. Immer hält Moskau seine schützende Hand über die
       mutmaßlichen Täter. Erst in Berlin kam jetzt einer vor Gericht, und auch
       nur, weil er unmittelbar gestellt und überführt werden konnte – trotz der
       mangelnden Kooperation Russlands.
       
       Die deutsche Justiz ist nun nicht mehr nur die erste weltweit, die Folterer
       des syrischen Assad-Regimes vor Gericht stellt. Sie ist auch die erste, die
       offiziell Russland wegen staatlichen Mordes im Ausland verurteilt.
       Juristische Aufarbeitung, die so weit geht, muss politische Folgen haben.
       Deutschlands neue Regierung aber scheint dies nicht komplett begriffen zu
       haben.
       
       Während am Kammergericht in Berlin-Moabit der Richter Russland
       „Staatsterrorismus“ vorwarf, bekräftigte Bundeskanzler [3][Olaf Scholz ein
       paar Kilometer weiter im Bundestag] seine Bereitschaft zu „konstruktivem
       Dialog“ mit Russland. Später sagte sein Sprecher, für eine Reaktion der
       Bundesregierung auf das Urteil sei es „zu früh“.
       
       Erst Außenministerin Annalena Baerbock bestellte später den russischen
       Botschafter ein, sprach von einer „schwerwiegenden Verletzung deutschen
       Rechts“ und [4][wies zwei russische Diplomaten aus]. Das ist eine Maßnahme
       am unteren Ende der Eskalationsskala. War’s das? Klar müsste doch sein:
       Eine Regierung, der Deutschland Staatsterrorismus vorwirft, kann nicht
       zugleich Partner sein.
       
       Die Antwort auf die Frage, was ein solcher Vorwurf für die deutsche
       Russland-Politik insgesamt bedeutet, wird man in Berlin also nicht ewig
       hinausschieben können – auch nicht mit dem Hinweis auf die Unabhängigkeit
       der Justiz, so als seien Gerichtsurteile für alle außer für die Angeklagten
       irgendwie belanglos.
       
       Doch ein Blick in die Geschichtsbücher stimmt nicht optimistisch. Russland
       ist nicht der erste Staat, der auf deutschem Boden ungestraft mordet.
       Frankreich tötete in Deutschland algerische Unabhängigkeitskämpfer,
       Jugoslawien kroatische Dissidenten. In Berlin steckte Iran hinter dem
       Mykonos-Attentat von 1992, als ein Terrorkommando vier kurdische
       Exilpolitiker erschoss.
       
       Dafür wurde 1997 ein Iraner in einem ähnlichen Urteil wie dem zum
       „Tiergartenmord“ zu lebenslanger Haft verurteilt. Zehn Jahre später kam er
       frei, angeblich im Tausch für einen in Iran festgesetzten Deutschen, und
       wurde in der Heimat als Held begrüßt. Mal sehen, wie es 2031 um die
       deutsch-russischen Beziehungen steht.
       
       15 Dec 2021
       
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 (DIR) [4] https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_91328912/baerbock-bundesregierung-weist-zwei-russische-diplomaten-aus.html
       
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