# taz.de -- Hamburg als Geschenk: Ankunft mit Hochgefühl
       
       > Beim Umstieg in den ICE helfen mir zwei junge Männer aus dem Kosovo. Beim
       > Aussteigen in Hamburg auch. Es ist schön, mit ihnen anzukommen.
       
 (IMG) Bild: Für manche ist dieser Moment ein Geschenk: Ankunft am Hamburger Hauptbahnhof
       
       Wir warten zu fünft im Zugflur. Der Regionalzug ist kurz vor Göttingen. Wir
       haben dort nur ein paar Minuten für den Umstieg in den ICE nach Hamburg. Es
       wird knapp. Ich habe zwei schwere Taschen und frage mich, wie ich das
       machen soll: rennen und schleppen. Die Taschen aus dem Regionalzug hieven,
       ohne die anderen aufzuhalten. Es ist, als würden wir alle mit den
       Zehenspitzen in Startblöcken stehen, jeder in seiner Bahn.
       
       Ich überlege, wer mir von den anderen am selbstverständlichsten helfen
       würde. Das gut gekleidete Paar? Der Mann, der ein Rad transportiert? Die
       zwei jungen Männer, die sich neben mir in einer Sprache unterhalten, die
       ich nicht zuordnen kann? Sie haben auch zwei schwere Taschen. Doch intuitiv
       frage ich sie.
       
       „Natürlich“, sagt der etwas Ältere der beiden. „Ich nehme unsere Taschen.
       Du nimmst ihre“, sagt er dann auf Englisch zu seinem Freund. Der Junge
       schnappt sich den Griff meines Koffers, er hält ihn fest bis der Zug hält.
       Dann sprintet er damit über den Bahnsteig zum ICE. Geschafft!
       
       Der Junge läuft mit meinem Koffer den Gang vor mir her. Es ist, als hätte
       er eine wichtige Aufgabe übertragen bekommen. Als ich einen Platz finde,
       muss ich Stopp rufen, damit er hält und mir den Koffer übergibt. Als ich
       den Griff anfasse, ist er noch ganz heiß von seiner Hand. Die beiden Jungen
       suchen sich im nächsten Wagon einen Platz.
       
       ## Als wären wir eine Familie
       
       Ich höre Musik. Draußen wird es dunkel. Irgendwann stehen wieder die zwei
       Jungen vor mir: „Wir müssen los“, sagt der Ältere, als würden wir so
       selbstverständlich zusammengehören wie eine Familie: „Wir nehmen deinen
       Koffer.“
       
       Er schaut auf meine Sachen, die noch verstreut sind. „Gleich kommt Hamburg.
       Was machst du, träumst du?“ Ich erschrecke kurz, dann sehe ich: „Jetzt
       kommt erst Harburg.“ „Wirklich, noch nicht Hauptbahnhof?“ Ich merke, dass
       der Junge aufgeregt ist. „Nein, steigt noch nicht aus!“ Die beiden bleiben
       neben mir stehen. Der Jüngere umfasst wieder den Griff meines Koffers.
       
       „Ich sehe heute das erste Mal meinen Bruder seit sieben Jahren“, sagt der
       Ältere plötzlich. „Jetzt gleich im Hauptbahnhof?“ „Ja“, er atmet aus und
       nickt. „Er holt mich ab. Nach sieben Jahren!“
       
       „Ich bin nach England gegangen. Mein Bruder nach Deutschland. Mein Vater
       hat die Reise für uns bezahlt. Wir waren dort beide in verschiedenen
       Heimen.“ Er schaut aus dem Fenster, wir sehen die Lichter von Hamburg. Der
       Zauber stellt sich ein, wie er immer kommt, wenn der Zug über die
       Elbbrücken rauscht, über das dunkle Wasser hinweg der Stadt entgegen.
       
       „Jaa“, der Junge schaut hinaus, er ballt die Fäuste, als hätte er einen
       Sieg errungen: „Home sweet home! Ich habe immer von Hamburg geträumt. Es
       war in meinen Träumen und jetzt bin ich da.“ Er erzählt, dass er nach
       England in Thüringen gelebt habe, dass seine Freundin von dort nach Hamburg
       nachkommt, wenn er eine Wohnung gefunden hat. „Das gerade ist jetzt deine
       Ankunft in Hamburg?“, frage ich. „Du willst hier länger bleiben?“
       
       ## Wie wird Hamburg mit ihm umgehen?
       
       „Ja“, der Junge strahlt. „Dann guten Start“, sage ich. Ich möchte ihm etwas
       Positives sagen, als wollte ich das Glück, das seinem Anfang innewohnt,
       verstärken. Er erzählt, dass er aus dem [1][Kosovo] komme. „Deutschland ist
       gut, sehr sicher und ruhig“, sagt er mit Nachdruck.
       
       Es ist ein schönes Gefühl, so mit ihm in Hamburg anzukommen, die Stadt wie
       ein Geschenk zu betrachten, das man gerade auspackt. Ich schaue ihn an. Ich
       wünsche ihm das Beste. Jetzt ist da nur sein Glück, seine Vorfreude, das
       Hochgefühl, es hier zu schaffen. Wie wird sein Weg sein? Wie wird Hamburg
       mit ihm umgehen?
       
       Wir steigen aus. Sein Freund nimmt wieder meinen Koffer. Schon wieder ist
       der Griff ganz warm von seiner Hand, als er ihn mir übergibt. Wir
       verabschieden uns. Als ich die Rolltreppe hochfahre, schaue ich mich noch
       einmal um. Die beiden stehen am Bahnsteig. Der Bruder ist nicht da. Der
       Ältere telefoniert. Dann nehmen sie die Rolltreppe nach oben.
       
       20 Dec 2021
       
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       ## AUTOREN
       
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