# taz.de -- Theater-Wiederentdeckung: Eva und die Schwachdenker
       
       > Verdienstvolle Schatzgräberarbeit: Das Theater Lübeck bringt Anna
       > Gmeyners 90 Jahre alte Geschlechterkampf-Satire „Automatenbüffet“ auf die
       > Bühne.
       
 (IMG) Bild: Mannsbilder, die wie automatisiert drauflosgrabschen wollen, sobald eine Frau den Raum betritt
       
       Lübeck taz | Männer unter sich – und dann kommt eine junge Frau hinzu. Das
       war, das ist ja häufig eine peinlich komische, empörend übergriffige
       Veranstaltung. Erst recht, wenn die Mannsbilder an einem Stammtisch
       zusammentreffen.
       
       Der befindet sich in den 1930er-Jahre-Vorstellungen von moderner
       Gastronomie in einem „Automatenbüfett“, nach dem [1][Anna Gmeyner] ihre
       dramatische Abrechnung mit dem Machismo benannt hat, die auch gleich noch
       Vorbehalte und Ressentiments im kleinbürgerlichen Milieu aufspießt. Das
       Werk nach fast 90 Jahren wieder in Norddeutschland auf die Bühne zu
       bringen, ist eine verdienst- wie reizvolle Arbeit des [2][Theaters Lübeck].
       
       Uraufgeführt wurde das Stück im Oktober 1932 am Thalia Theater, zwei Monate
       später feierte es auch im Berliner Theater am Schiffbauerdamm Premiere und
       wurde gleichermaßen gelobt von den verfeindeten Superstars unter den
       Theaterkritikern, Alfred Kerr (Berliner Tageblatt) und Herbert Ihering
       (Berliner Börsen Courier). Es folgte noch eine Inszenierung am
       Schauspielhaus Zürich, aber da war das Werk der jüdischen Österreicherin
       bereits in Deutschland verboten, ebenso ihre zuvor geschriebenen Dramen
       über Berg- und Industriearbeiter: „Heer ohne Helden“ und „Zehn am
       Fließband“.
       
       Die Autorin flüchtete nach Paris, schrieb Filmdrehbücher und Prosa, ging
       1935 nach London und verschwand bald aus der Theater- und Literaturwelt.
       1991 starb Anna Gmeyner im englischen York, vergessen wie so viele
       Exilkünstler:innen.
       
       Ihr Automatenbüfett ist in Lübeck ein trostlos steriler Raum, in dem
       schnell klar wird, wie kapitalistisches Wirtschaften nicht nur die Arbeits-
       und Freizeitwelt bestimmt, sondern auch zwischenmenschliche Beziehungen
       beeinflusst. Im Zentrum des Saals ragt ein Turm voller verheißungsvoller
       Türchen empor, dahinter lagern Bockwürste und Jagdwurstsemmeln. Geld
       einwerfen, Klappe öffnen, Ware entnehmen und losmampfen.
       
       Dazu noch fix einen Bierkrug auf ex leeren. Die Verköstigung ist in diesem
       SB-Snack-Restaurant effizient mechanisiert. Zeitsparend und ablenkungsfrei
       für die Gäste, gewinnmaximierend für die Besitzerin, spart sie doch Geld
       für Bedienungspersonal. Auch die Figuren sind in diesem Ambiente
       perfektionierter Funktionalität nur noch Automaten, also vor allem zappelig
       männliche Stereotypen. Da sie mit den Stars des Ensembles besetzt sind,
       wird das satirische Fest beklemmender Lustbarkeiten zu einem artifiziellen
       Vergnügen.
       
       Statt Sozialrealismus bietet die Inszenierung körperartistisches
       Stummfilmtheater mit Ton. Ob Apotheker, Oberförster, Zeitungsredakteur,
       Stadtrat, mittelloser Tröster einsam reicher Frauen, brotloser Künstler als
       windiger Staubsaugerverkäufer und wer sonst noch zum Stammtisch des
       örtlichen Amateurfischerverbandes erscheint, alle haben ihrer eigene
       gezierte Haltung, ihren spezifisch eckigen Gang, mimische und gestische
       Macken und einen manierierten Sprechstil.
       
       Die Honoratioren des Provinznestes erscheinen daher als karikierte
       Philister, die letztlich nicht verbergen können, aller Kumpanei zum Trotz
       nur ihren ökonomischen Vorteil durchsetzen zu wollen. In aller Ruhe lässt
       sich Regisseur Zino Wey darauf ein, doppelmoralisches Verhalten zu
       sezieren. Wie die ewigen Spießer in den Werken Ödön von Horváths lassen
       auch Gmeyners Figuren ihrer antisemitischen, heldenverehrenden und
       nationalen Gesinnung freien Lauf. Zu erleben sind Schwachdenker als
       Resonanzkörper des gerade triumphierenden Faschismus.
       
       Einer der Anglerkumpel, Herr Adam (Michael Fuchs), wirkt restseriös und
       noch anrührbar, als er die junge Eva (Lilly Gropper) in seinem Fischteich
       entdeckt. Mit ihrem Liebeskummer will sie zugleich sich selbst ertränken.
       Aber Adam holt sie zurück ins Leben. Bei ihm daheim dürfe sie wohnen: im
       Automatenbüffet. Ist er doch der tunichtgute Gatte der dort regierenden
       Matrone, die in ihrer Geldgier aber auch schwächelt und sich von einem
       Charmeur die Finger belutschen, possierlich umgarnen und dann finanziell
       ausnehmen lässt.
       
       Anfangs nimmt sie Eva noch als Konkurrentin um die Aufmerksamkeit im
       Männerpanoptikum war, nutzt aber schnell ihre umsatzfördernde Wirkung: Wenn
       die verhinderte Selbstmörderin im Speisesaal ist, kommen die Herren
       häufiger, bleiben länger, essen und saufen mehr als sonst, „Freut euch des
       Lebens“ singen sie dazu. Was nichts anderes bedeutet, als dass Eva nun im
       Mittelpunkt der männlichen Begierden steht. Es bleibt nicht bei
       sexistischen Sprüchen. In den Hintern zwacken wollen die Mannsbilder,
       drauflosgrabbeln usw. Aber Eva ist eine emanzipierte Heldin.
       
       Bitterböser Geschlechter-Spott 
       
       Schon mit der Besetzung gegen das Klischee legt die Regie viel Wert auf
       moderne Rolleninterpretation. Laut Vorlage betört Eva erotisch berechnend
       mit einer femme-fatalen Sinnlichkeit. In Lübeck ist sie eine zierliche,
       freundlich kühle, selbstbewusste Frau mit unbedingtem Freiheitswillen. Das
       einzige Wesen, das sich wie ein lebendiger Mensch bewegt. Wer sie
       antatscht, wird mit Backpfeifen eingedeckt und als „Schwein“ tituliert. Was
       aber alle anderen Schweine nur heißer macht. Das will Adam nutzen und
       instrumentalisiert Evas Männerbezirzungskunst für eine
       Unternehmensgründung, die aber bald an seiner monetären Minderausstattung
       scheitert.
       
       Nun muss Eva den Adam vorm Selbstmord retten. So kommen die beiden einzigen
       fühlenden Wesen in diesem automatisiert unbarmherzigen Kleinstadtleben
       zusammen. „Nirgends zu Hause“, blinkt eine Lichterinstallation auf der
       Bühne. Das eint die Außenseiter. Vorsichtig visionieren sie eine gemeinsame
       Zukunft: in Solidarität vereint, Freundschaft ohne plus als geistige
       Partnerschaft. Was für ein angenehm anrührungswilliges Finale der
       bitter-böse Geschlechterverhältnisse bespöttelnden Aufführung.
       
       12 Dec 2021
       
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