# taz.de -- Mentale Gesundheit in Pandemie: Zu depressiv zum Anziehen
       
       > Mit der anhaltenden Pandemie ist die Stimmung bei vielen gedrückt. Das
       > sorgt auch für mehr Verständnis depressiven Menschen gegenüber.
       
 (IMG) Bild: Anziehen und rausgehen? Während einer depressiven Episode eine Herausforderung
       
       „Bist du wirklich depressiv oder einfach nur frustriert?“, fragte mich mein
       Nachbar, als ich neulich bei ihm vorbeischaute. Ich hätte gerade schreiben
       müssen, fühlte mich aber zu unruhig, um auch nur einen klaren Gedanken zu
       fassen. Egal wie still ich stand (oder saß), die Gedanken rannten in meinem
       Kopf um die Wette. Die Welt, wie sie da draußen gerade war, war mir zu
       viel, die dunkle Jahreszeit war mir zu viel, aber vor allem war ich mir
       selbst zu viel.
       
       Da es gefühlt allen um mich herum gerade irgendwie schlecht geht, stimmte
       mich die Frage meines Nachbarn ernsthaft nachdenklich. Denn [1][seit Corona
       ist die Antwort auf] die Frage, die auch der Titel von Till Raethers Buch
       ist, arg verschwommen: [2][„Bin ich schon depressiv, oder ist das noch das
       Leben?“]
       
       Etwas Gutes hat das Ganze für uns Depressive: Seit der Pandemie scheinen
       mehr Menschen zu verstehen, wenn wir versuchen zu erklären, wie es sich
       anfühlt, depressiv zu sein. Dadurch wächst auch das Verständnis um die
       Erkrankung. Gleichzeitig ist es aber auch ein Warnsignal; denn das
       bedeutet schließlich auch, dass der Anteil derer, die zumindest an einer
       depressiven Episode erkranken, steigt.
       
       ## Ärztliche Diagnose
       
       Zum Verständnis: Die Diagnose Depression erfolgt durch eine*n (Fach- oder
       Haus-) Arzt/Ärztin oder eine*n Psychotherapeutin/en. Unterschieden wird
       hierzulande nach dem internationalen Klassifikationssystem ICD-10
       (International Classification of Diseases) zwischen einer leichten, einer
       mittelgradigen und einer schweren depressiven Episode. Je nach Dauer,
       Intensität und Wiederkehr gibt es noch spezifischere Unterscheidungen, die
       wirklich nur jemand vom Fach treffen sollte. Wer unsicher ist, ob er in
       einer depressiven Episode steckt, kann aber einen [3][Selbsttest auf der
       Webseite der Deutschen Depressionshilfe] machen.
       
       Den Begriff Episode finde ich irgendwie tröstend, weil er einen zeitlich
       abgesteckten Rahmen symbolisiert. Das nimmt dem Ganzen diesen Charakter der
       unveränderlichen Endlosigkeit, der die depressiven Gedanken häufig
       begleitet. „Traurigkeit und Sinnlosigkeit in allem, die Unfähigkeit, eine
       Hose anzuziehen, ans Telefon zu gehen, einen Stift zu halten“, so
       beschreibt Till Raether den Zustand in seinem Buch.
       
       Nicht ans Telefon gehen zu wollen, können sicher viele Menschen
       nachvollziehen. Auch mit dem Nichtanziehen einer Hose dürften spätestens
       seit der Pandemie mehr Menschen Erfahrung gesammelt haben. Wenn einem aber
       beides absolut sinnlos scheint, man sich partout nicht mehr überwinden
       kann, allerspätestens dann wird es problematisch.
       
       Ich trug eine Jeans, als ich bei meinem Nachbarn einkehrte. Vor die Tür
       hatte ich es aber nur mit Mühe geschafft. Wenn das Telefon klingelt,
       brauche ich inzwischen meist ein, zwei Atemzüge, um abzuheben. Ob ich schon
       wieder in einer depressiven Episode stecke, darüber sollte ich wohl
       dringend mit meinem Therapeuten sprechen – leider hat der gerade [4][einen
       Corona-Impfdurchbruch.]
       
       30 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Psychische-Gesundheit-in-Deutschland/!5810763
 (DIR) [2] https://www.rowohlt.de/buch/till-raether-bin-ich-schon-depressiv-oder-ist-das-noch-das-leben-9783499005305
 (DIR) [3] https://www.deutsche-depressionshilfe.de/depression-infos-und-hilfe/selbsttest-offline
 (DIR) [4] /Die-Verwandlung/!5812731
       
       ## AUTOREN
       
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