# taz.de -- Pressefreiheit in der Ukraine: Eine Stimme weniger
       
       > Nach 26 Jahren wird die „Kyiv Post“ überraschend geschlossen. Sie ist die
       > wichtigste englischsprachige Zeitung der Ukraine.
       
 (IMG) Bild: Brian Bonner (r.) gemeinsam mit anderen Journalisten im Büro der Kyiv Post, 2017
       
       Der vergangene Montag war ein grauer Tag in der ukrainischen Hauptstadt
       Kiew und ein schwarzer für die Pressefreiheit des Landes. Nach 26 Jahren
       muss die [1][Kyiv Post], die wichtigste englischsprachige Wochenzeitung der
       Ukraine, schließen. Rund 50 Angestellte wurden mit sofortiger Wirkung von
       Verleger Adnan Kiwan, einem Geschäftsmann aus Odessa, entlassen.
       
       Das Blatt hat seit seiner Gründung 1995 fünf ukrainische Präsidenten
       überlebt. Nicht aber den charismatischen Wolodimir Selenski, der 2019 ein
       beliebter Schauspieler war und heute das Land regiert. „Ironisch, oder?“,
       fragt Brian Bonner, mittlerweile ehemaliger Chefredakteur und lacht
       verbittert. Die Selenski-Regierung habe zwar dünnheutig auf Kritik
       reagiert, sei aber kein Vergleich zu früheren, autoritären Präsidenten wie
       Leonid Kutschma oder [2][Wiktor Janukowitsch]. „Ich hätte nie erwartet,
       dass das Aus unter Selenski kommt. Dafür gab es politisch keine Gründe.“
       
       Es ist Dienstag, ein Tag nach der Implosion der Kyiv Post. Bonner, der
       frühere Chefredakteur, sitzt schlecht rasiert in seinem Büro. Drei gelbe
       Luftballons hängen in der Ecke, erst vor wenigen Tagen hat er 62.
       Geburtstag gefeiert. Die Kyiv Post war sein Leben, ihr Ende ist auch sein
       Ende.
       
       Die Entlassung der gesamten Redaktion fällt in eine Zeit, in der
       Journalisten über zunehmenden Druck klagen. Und sie zeigt, dass sich in den
       vergangenen Jahren weniger zum Positiven verändert hat, als es manch einer
       erhofft hatte. Seine schlechte Nachricht an die Redaktion schloss Bonner am
       Montag mit den Worten: „Zwei Revolutionen und die Scheiße wiederholt sich
       trotzdem immer wieder.“
       
       Die letzte dieser Revolutionen ist acht Jahre her. Hunderttausende hatten
       sich damals auf dem Unabhängigkeitsplatz in der ukrainischen Hauptstadt
       versammelt und für mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und damit auch
       eine freie Presse demonstriert. Seitdem verfolgt die ukrainische Regierung
       öffentlich einen proeuropäischen Kurs, wird nicht müde, gemeinsame Werte
       zu betonen und die EU-Mitgliedschaft zu fordern. Gleichzeitig aber lässt
       der amtierende Präsident prorussische Fernsehkanäle schließen und laut
       Kritikern diene das jüngst unterschriebene „Oligarchen“-Gesetz dazu, die
       von Oligarchen kontrollierte Medien zu attackieren.
       
       ## Der Besitzer versuchte von Anfang an, Einfluss zu nehmen
       
       Seit Jahren missbraucht eine kleine, aber korrupte Elite Massenmedien, um
       sich wirtschaftlich und politisch Vorteile zu erschaffen. Gleichzeitig
       gewährt die Konkurrenz der Oligarchen aber ein gewisses Meinungsspektrum,
       das einige nun gefährdet sehen. Die Kyiv Post stellte in diesem
       Zusammenhang immer eine Ausnahme dar, galt als außergewöhnlich unabhängig
       und professionell.
       
       Dabei ist es weniger die gesellschaftliche Bedeutung des Blattes, die in
       ukrainischen Medienkreisen nun einen Schock über die Schließung auslöst,
       sondern vielmehr seine Historie. Die Kyiv Post hat eine vergleichsmäßig
       kleine Printauflage von laut eigenen Angaben 10.000 gedruckten Ausgaben,
       sie wird hauptsächlich von Ausländern, in internationalen Organisationen
       und Diplomatenkreisen gelesen. Aber sie besteht seit 26 Jahren. Und während
       es in der Ukraine öfter vorkommt, dass Zeitungen geöffnet, gekauft und
       urplötzlich wieder geschlossen werden, so passiert dies in der Regel nicht
       mit einer Institution wie der Post.
       
       „Es zeigt erneut, wie zerbrechlich Meinungs- und Pressefreiheit in der
       Ukraine sind“, sagt Anna Myroniuk, die seit zwei Jahren bei dem Blatt
       arbeitet. Platz 97 belegt die Ukraine auf [3][der Rangliste der
       Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen]. Seit der Unabhängigkeit vor 30
       Jahren wurden laut dem [4][Komitee zum Schutz von Journalisten] (CPJ) acht
       Journalisten in der Ukraine ermordet, fünf weitere starben im bis heute
       andauernden Krieg in der Ostukraine.
       
       „Kein Ereignis in der komplizierten Geschichte der Ukraine hat die Zeitung
       gestoppt, außer Adnan Kiwan“, sagt Anna Myroniuk. Der Bauunternehmer mit
       syrischen Wurzeln gehört laut Forbes Liste zu den 50 reichsten Ukrainern.
       Vor drei Jahren kaufte Kiwan das Blatt für über 3 Millionen Dollar. In
       einem offiziellen Statement am Montag hieß es, die Zeitung werde lediglich
       temporär geschlossen und solle „größer und besser“ wiedereröffnet werden.
       Myroniuk und ihre Kollegen bezweifeln das. Im Gegensatz zu früheren
       Besitzern habe der Verleger von Beginn an versucht, Einfluss auf die Arbeit
       der Redaktion zu nehmen.
       
       ## Die Journalisten wollen die Zeitung retten
       
       „Schon 2018 hat er mich aufgefordert, meine Kritik an der Regierung zu
       reduzieren, weil er unter Druck gerate und keine Probleme mit der Regierung
       haben wolle“, berichtet Reporter Oleg Suchow, der seit 2014 bei der Kyiv
       Post arbeitet.
       
       Ukrainische Kollegen vermuten, auch die Selenski-Regierung habe bei der
       Entscheidung eine Rolle gespielt. Chefredakteur Bonner bestreitet das. Für
       die Schließung gebe es vielmehr persönliche Gründe, wie gesundheitliche und
       familiäre Probleme des Verlegers.
       
       Das gefeuerte Team ist sich sicher: Der Verleger wollte unbequeme
       Journalisten loswerden und die Redaktion neu besetzen mit einem ihm
       gegenüber loyalen Team. Seit Wochen gibt es Streit zwischen Verlag und
       Redaktion. Grund waren Expansionswünsche Kiwans, die er vor wenigen Wochen
       ankündigte. Die Artikel sollten für ein breiteres Publikum geschrieben
       werden und auch auf Ukrainisch erscheinen. Ein Fernsehkanal solle
       entstehen. Kiwan besitzt bereits einen Fernsehkanal in Odessa, der laut
       Suchow lediglich den Interessen des Unternehmers diene.
       
       Zwei Monate noch werden die Journalisten bezahlt. Die Zeit will das Team
       nutzen, um die Kyiv Post zu retten. Bereits wenige Stunden nach der
       Entlassung machte es dem Verleger ein Angebot: entweder die Zeitung zu
       verkaufen oder die Marke dem Team zu übergeben, das dann als NGO die Arbeit
       fortführt. „Ohne dieses Team ist die Zeitung nicht dasselbe“, sagt Anna
       Myroniuk. Der Verleger habe abgelehnt. „Das zeigt mir, dass er die volle
       Kontrolle will. Das lassen wir nicht zu.“
       
       Transparenzhinweis: Die Autorin ist derzeit Gastredakteurin bei der „Kyiv
       Post“ im Rahmen eines IJP-Stipendiums
       
       10 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.kyivpost.com/
 (DIR) [2] /Kommentar-Proteste-in-der-Ukraine/!5050987
 (DIR) [3] /Neue-Rangliste-zur-Pressefreiheit/!5767146
 (DIR) [4] https://cpj.org/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rebecca Barth
       
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