# taz.de -- Streit um Brexit-Regeln für Nordirland: Schwierige Protokollfragen
       
       > Großbritannien und die EU legen Ideen zur Lösung der Spannungen vor.
       > Grundsätzliche Differenzen bleiben ungeklärt.
       
 (IMG) Bild: Protestanten demonstrieren Mitte September in Belfast gegen das Nordirland-Protokoll
       
       Brüssel/Berlin taz | Im [1][Dauerstreit] zwischen der Europäischen Union
       und dem Vereinigten Königreich um das Nordirland-Protokoll des
       Brexit-Vertrages haben jetzt beide Seiten ihre Vorschläge auf den Tisch
       gelegt. Auf den britischen Entwurf eines Nachfolgetextes für das bestehende
       Protokoll antwortete die EU-Kommission am Mittwoch mit Vorschlägen, wie das
       Protokoll zwar unverändert bleiben, aber anders angewandt werden soll als
       bisher.
       
       An Nordirland waren die Verhandlungen um den britischen EU-Austritt ab 2017
       jahrelang festgefahren. Wie kann die innerirische Grenze komplett offen
       bleiben wie bisher, wenn sie eine EU-Außengrenze wird – ohne stattdessen
       eine EU-Außengrenze zwischen Nordirland und Großbritannien zu ziehen, also
       innerhalb des Vereinigten Königreiches? Nur die Erfüllung beider
       Bedingungen garantiert einen Fortbestand des Nordirland-Friedens.
       
       Eine 2018 vereinbarte Lösung – das gesamte Vereinigte Königreich verbleibt
       bis auf Weiteres im EU-Zollgebiet, der sogenannte Backstop – scheiterte im
       britischen Parlament, was die damalige Premierministerin Theresa May zum
       Rücktritt zwang. Der neue Premier Boris Johnson erfand im Oktober 2019 eine
       neue Lösung: Es verläuft zwar eine Zollgrenze zwischen Großbritannien und
       Nordirland, aber sie betrifft nur Waren aus Großbritannien für die Republik
       Irland, nicht für Nordirland.
       
       Nach Inkrafttreten Anfang 2021 verstanden das beide Seiten aber
       unterschiedlich. Die Briten machten so wenig wie möglich und hofften, dass
       es nicht auffällt. Die EU bestand auf vollen Kontrollen, damit nur solche
       Waren in Nordirland verkauft werden, die mit dem europäischen Binnenmarkt
       kompatibel sind. Viele britischen Firmen stellten ihre Belieferung
       Nordirlands ein, weil ihnen das zu umständlich war. [2][Es gab Unruhen],
       der Frieden in Nordirland – den die Regelung eigentlich bewahren soll –
       schien stärker gefährdet als seit Jahren.
       
       ## London verlangt Neuverhandlungen
       
       Am Ende setzte Großbritannien Kontrollen komplett aus und verlangte
       Neuverhandlungen. Es dürfe grundsätzlich keine EU-Zollkontrollen innerhalb
       des Vereinigten Königreiches geben, verlangt London – beispielsweise wenn
       britische Supermarktketten ihre nordirischen Filialen beliefern. Sonst
       behalte man sich Maßnahmen nach Artikel 16 des Nordirland-Protokolls vor,
       die einseitige Schritte zulassen, wenn die Anwendung des Protokolls
       „ernsthafte ökonomische, soziale oder ökologische Schwierigkeiten von
       Dauer“ verursacht.
       
       Der britische Brexit-Chefunterhändler David Frost verwies am Dienstag in
       einer Rede darauf, dass das Protokoll entstand, als der Brexit noch in der
       Schwebe war und niemand wusste, ob jemals ein Freihandelsabkommen zustande
       kommt. Dies wurde Ende 2020 vereinbart, manches im Protokoll von 2019 sei
       damit überflüssig, argumentiert die britische Regierung.
       
       Die EU-Kommission schließt hingegen eine Neuverhandlung aus. Sie ist
       bereit, die im Protokoll enthaltene „Flexibilität“ nutzen, weiter könne man
       aber nicht gehen, heißt es in Brüssel. Zu den genauen Vorschlägen, die am
       Mittwochabend vorgelegt werden sollten, gehört eine Lockerung der bisher
       sehr strikten Kontrollen – britische Medien haben vorgerechnet, dass bis zu
       20 Prozent sämtlicher Warenkontrollen der EU gegenwärtig auf Nordirland mit
       seinen unter zwei Millionen Einwohnern entfallen.
       
       Weiterhin will die EU die Einfuhr von „identitätsbezogenen Produkten“
       (identity related products) nach Nordirland erlauben, beispielsweise
       tiefgekühlte Würstchen aus England, an deren faktischem Verbot in
       Nordirland sich im Sommer Streit entzündet hatte. Auch bei Medikamenten und
       Pflanzenschutzmitteln will die EU künftig nicht mehr so genau hinschauen:
       Das sind Bereiche, in denen viele britische Produkte zuletzt in Nordirland
       nicht mehr erhältlich waren. Die britischen Produkte sollen als solche
       gekennzeichnet werden, damit es keine Probleme im Binnenmarkt gibt.
       
       ## Derzeit misstrauen sich beide Seiten
       
       Wirtschaftskreise sehen in den EU-Vorschlägen eine gute Grundlage für eine
       Annäherung. Am Ende wird es darauf ankommen, ob sich die beiden Seiten
       vertrauen. Derzeit ist das nicht der Fall – das ist der politische
       Hintergrund des Streits.
       
       Zum ökonomischen Hintergrund gehört, dass Nordirland enger mit
       Großbritannien wirtschaftlich verflochten ist als mit der Republik Irland.
       Im Jahr 2019 gingen 16 Prozent aller Verkäufe nordirischer Waren nach
       Großbritannien, nur sechs Prozent in die Republik Irland, und Nordirland
       bezog dreimal so viele britische wie irische Waren. Neuere amtliche Daten
       liegen nicht vor, aber erste Erkenntnisse deuten auf einen Rückgang des
       britischen Anteils hin.
       
       Parallel dazu verlagert sich aber Großbritanniens Export in die Republik
       Irland auf den Umweg Nordirland, weil man damit EU-Kontrollen umgeht. Die
       direkten britischen Warenströme in die Republik Irland, hauptsächlich über
       den walisischen Hafen Holyhead, sanken zwischen Februar 2020 und Februar
       2021 um 65 Prozent, während die über Nordirland, die aus Liverpool sowie
       die kleineren Häfen Heysham und Cairnryan verschifft werden, trotz Pandemie
       und Protokollstreit um 4 Prozent zulegten.
       
       13 Oct 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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 (DIR) Eric Bonse
       
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