# taz.de -- Veganer Borsch: Was würde Oma dazu sagen?
       
       > Unsere Autorin liebt Borsch, die Rote-Bete-Suppe ihrer russischen
       > Großmutter. Aber schmeckt die auch vegan, ohne Rinderbrühe und Schmand?
       
 (IMG) Bild: Borschtsch
       
       Schon wenn ich in die Straße vor dem Mehrfamilienhaus in München einbiege,
       schlägt mir ein intensiver Essensgeruch entgegen. Durch das gekippte
       Fenster im Erdgeschoss riecht es nach Kindheit. Drinnen warten unzählige
       Teller voller Salate und Suppen, mit Hering, Roter Bete, Mayonnaise, Huhn
       und Eiern.
       
       Sie werden als Vorspeise serviert, können es aber mit jedem Hauptgang
       aufnehmen. Und das ist nur die erste Runde. Es folgen Pelmeni mit Hack,
       Bliny mit Quark, Plov mit Rosinen. Der Tisch darf nie leer sein. Und der
       Teller darf nur leer sein, wenn der nächste Gang ansteht. Auf einer Ablage
       an der Wohnungstür stehen schon gefüllte Tupperdosen bereit, für die
       nächsten Tage.
       
       In meiner Kindheit und Jugend habe ich nur bei meinen Großeltern russisch
       gegessen. In München gibt es nämlich sonst keine russische Küche. Beim
       Googeln nach Restaurants stößt man auf Begriffe wie „dauerhaft geschlossen“
       oder landet schon auf der ersten Ergebnisseite in Erfurt. Doch auch die
       Küche meiner Oma ist für mich nur mehr Erinnerung – denn ohne Fleisch und
       Fisch geht es für sie nicht. Und das esse ich nun mal nicht mehr.
       
       Ich vermisse tierische Produkte nicht, doch die Sehnsucht nach den
       Gerichten meiner Oma bleibt. Anfangs machte ich bei meinen Besuchen
       Ausnahmen, gut fühlte sich das aber nicht an. Schließlich sagte ich auch
       immer Nein, wenn mein Opa mir Wein und Wodka anbot; die Gläser stehen
       trotzdem immer für mich bereit. Jetzt esse ich Kartoffeln und trinke
       Wasser.
       
       Mein Lieblingsgericht von meiner Oma ist Borsch (Nein, kein Mensch sagt
       Borschtsch). Das erste Mal aß ich diese tief rot gefärbte Rote-Bete-Suppe
       mit zwei Jahren in Kasachstan, wo wir damals wohnten. Bereits ihre eigene
       Großmutter kochte das Rezept, erzählt meine Oma, sie hat es nie geändert.
       Und was hält sie von Vegetarismus? Nun ja, Fleisch sei doch gesund. Auch
       wenn das Folklore ist, hält sich dieses Denken hartnäckig. In den
       postsowjetischen Staaten spielt Vegetarismus heute kaum und früher gar
       keine Rolle.
       
       Aber so ein Borsch muss doch auch vegan gehen? In Berlin wird es zumindest
       probiert, es gibt dort mehrere russische Restaurants mit vegetarischen
       Optionen. Ich war aufgeregt, als ich sie probierte. Endlich konnte ich
       meine Kindheitserinnerungen aufleben lassen. Doch schnell machte sich
       Enttäuschung breit. Ohne Rinderbrühe und Schmand schmeckt die Suppe nett,
       aber langweilig. Schon okay, aber halt anders als bei Oma.
       
       Vielleicht stimmt es ja wirklich, dass Fleisch ein „Geschmacksträger“ sei.
       Oder aber so: Der spezifische Borsch-Geschmack, den ich kenne, basiert auf
       der fetten Rinderbrühe. Wir werden mit Essen sozialisiert und wir sind
       Gewohnheitstiere. Was in der Kindheit gut geschmeckt hat, mögen wir häufig
       noch heute. Doch ich weiß, dass man so vieles in der veganen Küche
       imitieren kann. Warum dann nicht auch das Rind und den Schmand? Zumindest
       eine Annäherung muss möglich sein.
       
       Meine erste Onlinesuche ergibt: Hobby-Veganköch:innen machen es sich leicht
       und lassen einfach weg, was vom Tier kommt. Das liegt es auf der Hand,
       schließlich besteht die Suppe aus zig anderen Zutaten mit zum Teil starkem
       Eigengeschmack wie Roter Bete, Kartoffeln und Zwiebeln. Doch in dem Fall
       geht es ums Prinzip. Ich will nicht nur ein leckeres Gericht kochen,
       sondern vor allem ein nostalgisches. Es geht nicht ums Sattwerden, es geht
       um Emotionen.
       
       Also muss professioneller Rat her. Nachfrage bei der Köchin und Autorin
       Sophia Hoffmann, sie macht mir Mut: „In vielen Fällen ist es gar nicht der
       ‚Fleischgeschmack‘, der für die deftige Umami-Note sorgt, sondern eine
       Mischung aus Röstaromen und den richtigen Gewürzen.“ Sie gibt mir Tipps,
       wie eine vegane Bouillon noch mehr Wumms bekommt. Nicht einfach nur
       Gemüsebrühepulver nutzen, sondern mit Misopaste, Shiitake-Pilz-Pulver und
       etwas Tomatenmark verstärken. Um das Fett zu ersetzen, würde sie Olivenöl
       und etwas pflanzliche Butter nehmen. Und als Fleischersatz Jackfrucht, eine
       tropische Frucht, die mit ihrer faserigen Konsistenz gekochtem Rindfleisch
       im Mund und optisch sehr nahe kommt.
       
       Jackfrucht anstelle von Rind empfiehlt mir auch die Bloggerin Elisa Brunke.
       Sie hat ein Kochbuch mit dem Titel „No meat today“ geschrieben und dafür
       viele bekannte Rezepte veganisiert. „Man sollte nie erwarten, dass ein
       veganes Gericht zu hundert Prozent wie ein Fleischgericht schmeckt“, sagt
       sie.
       
       Sie möchte Neuinterpretationen schaffen, vielleicht sogar bessere Gerichte.
       Aber um zumindest so nah wie möglich ans Fleisch zu kommen, empfiehlt sie
       mir Liquid Smoke, ein flüssiges Gewürz, in dem der Geschmack einer
       Räucherkammer stecken soll. Hergestellt wird es aus industriell gereinigtem
       Rauch, welcher sich abgekühlt verflüssigt. Wer für die Aromen kein
       Extraprodukt kaufen möchte: Auch scharfes Anbraten erzeugt Röstaromen.
       
       Im Biosupermarkt finde ich Jackfrucht und Liquid Smoke, auch wenn ich bei
       den Preisen kräftig schlucken muss. Zum Glück gibt es mittlerweile auch
       vegane Saure Sahne als Schmandersatz.
       
       An einem Samstagmorgen mache ich – eine absolute Kochniete – mich in meiner
       winzigen WG-Küche schließlich daran, den Borsch meiner Oma zu veganisieren.
       Die Arbeitsplatte reicht gerade mal dafür aus, die Zutaten auszubreiten.
       Zum Glück ist Borsch ein One-Pot-Gericht, alles passiert auf einer
       Herdplatte. Der Topf wird am Ende nur knapp reichen, auch wenn er mir groß
       vorkommt. Doch er ist winzig im Vergleich zu dem Emaille-Bottich, in dem
       meine Oma kocht.
       
       Am besten ist die Suppe, wenn man sie über Nacht stehen lässt, aber dafür
       bin ich zu neugierig. Von der satten roten Farbe werde ich mich noch ein
       paar Tage überzeugen können, so viel, wie ich aufgesetzt habe. Meine
       Erwartungen sind niedrig, schließlich besteht das Rezept meiner Oma auch
       aus Tipps wie „nach Belieben“.
       
       Schon beim ersten Löffel weiß ich: Das ist es! Dieser Borsch schmeckt wie
       in meiner Erinnerung. Natürlich mag es sein, dass ich gar nicht mehr weiß,
       wie das echte Fleisch geschmeckt hat. Aber das ist gar nicht der Punkt.
       Mein Kinderherz ist begeistert. Und ich glaube, meine Oma wäre es auch.
       
       10 Oct 2021
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julia Weinzierler
       
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