# taz.de -- Rechtsexpert*innen an Bremer Schulen: Justiz zum Anfassen
       
       > Richter*innen vermitteln nun an Schulen das Rechtssystem. So kann
       > Interesse geweckt werden, praktische Rechtslehre gibt's damit aber noch
       > nicht.
       
 (IMG) Bild: Fernsehrichterin Barbara Salesch 2008. An Bremens Schulen kommen jetzt aber echte Richter*innen
       
       Bremen taz | Die Vorsitzende Richterin zieht die Robe über ihren weißen
       „Eternity Clothing“-Pulli, ein zweiter Richter hat versehentlich nur einen
       Darth-Vader-Umhang in die Hand gedrückt bekommen (die echte Robe wird
       später noch gefunden), und der Angeklagten ist die Maske von der Nase
       gerutscht – aber die trägt sie ohnehin nur freiwillig. „Bitte behandelt die
       Roben mit Ehrfurcht“, sagt Gesa Kasper, „wer sie trägt, steht für das
       Volk.“
       
       „Für das Volk“ stehen damit an diesem Mittwochvormittag einige
       Schüler*innen des Beruflichen Gymnasiums Wirtschaft am Schulzentrum
       Grenzstraße in Walle. Die Elftklässler*innen stellen Schöff*innen und
       Richter*innen, Anwältin und Staatsanwältin, Angeklagte und Sachverständige
       dar.
       
       Die Roben sind echt, denn zu Gast ist in dieser Unterrichtsstunde mit Gesa
       Kasper eine ebenfalls echte Richterin vom Landgericht Bremen, zugleich
       stellvertretende Vorsitzende des Bremischen Richterbundes. Noch ein zweiter
       junger Richter ist dabei, auch eine Staatsanwältin ist vorbeigekommen – und
       die Justizsenatorin Claudia Schilling (SPD), selber Richterin,
       höchstpersönlich.
       
       Der Termin ist Auftakt für ein Projekt, das der Bremische Richterbund in
       Zusammenarbeit mit dem Justizressort gestartet hat. [1][“Bremer Recht macht
       Schule“] soll Bremer Schüler*innen, nicht nur denen in Walle, [2][den
       Rechtsstaat näher bringen.] Dem „Gericht ein Gesicht“ geben, wie Kasper das
       nennt. „Der Rechtsstaat ist nur gut, wenn seine Bürger*innen sich dafür
       interessieren“, sagt sie vor der Klasse – und fragt erst einmal ab, was
       häufige Straftaten sind und nach welchen Gesetzesgrundlagen geurteilt wird.
       
       ## „Recht“ als Leistungskurs gibt es nur einmal
       
       Die etwa 16-Jährigen wissen eine Menge – in gewisser Weise ist der Besuch
       der Jurist*innen ein Heimspiel: Die Elftklässler*innen des
       [3][Beruflichen Gymnasiums „Wirtschaft Informatik Recht“] sind alle Teil
       des Leistungskurses Recht, den es so nur einmal in Bremen gibt. Wer seine
       Schule verlassen hat, um diese Oberstufe zu besuchen, interessiert sich für
       das Thema.
       
       Ein kleiner Push, um das Interesse weiter zu unterstützen, kann trotzdem
       nicht schaden, glaubt Stefanie Lehfeld, Klassenlehrerin und
       stellvertretende Schulleiterin des Beruflichen Gymnasiums. „Die
       Authentizität ist viel größer“, glaubt sie. „Wir sind Lehrer*innen, die
       Richterin und die Justizsenatorin kommen aus der Praxis.“
       
       Und aus der wird erzählt, Wichtiges und Banales. Dass
       Staatsanwält*innen immer am Fenster sitzen zum Beispiel, damit die
       Angeklagten nicht abhauen; dass ungelernte Schöff*innen die Richterin
       auch mal überstimmen können; dass Anwälte einen Satinbesatz auf ihrer Robe
       haben, Richter*innen aber Samt. Dass Richter*innen unabhängig sind –
       [4][die Staatsanwaltschaft aber durchaus Anweisungen] von der
       Justizsenatorin bekommen kann.
       
       ## Justizbesuch für alle ab der achten Klasse
       
       Die Schüler*innen sitzen noch fast eine Stunde nach dem Unterricht mit
       der jungen Staatsanwältin und dem jungen Richter zusammen und stellen
       Fragen. „Es ist nicht so stumpf, es ist lebendig“, lobt die 16-jährige
       Charlotte Papenhausen. „Einfach wow“, habe sie gedacht, als ihr erzählt
       wurde, dass Richter*innen und die Justizsenatorin in den Unterricht
       kommen, so Beverley Takyiwaa, ebenfalls 16.
       
       Damit der Schulbesuch kein einmaliger Wow-Effekt bleibt, müssen vor allem
       freiwillige Jurist*innen gefunden werden. Kasper ist zuversichtlich,
       dass das klappt: 20 Mitglieder des Richterbundes haben sich bereits
       gemeldet, weitere könnten dazukommen. Auch die Hanseatische Anwaltskammer
       will mitmachen.
       
       „Mein Haus will, dass das Programm auch in die allgemeinbildenden Schulen
       kommt“, so Schilling, „rechtliche Themen gehen ja uns alle an.“ Tatsächlich
       sehen das auch die Richter*innen so – das Programm soll sich deshalb an
       alle Schüler*innen ab der achten Klasse richten.
       
       ## Teil des Lehrplans ist Rechtslehre in Bremen nicht
       
       Mit dem Programm tatsächlich alle Klassen abzudecken, wäre aber wohl sehr
       ehrgeizig. Im Land Bremen sind das knapp 800 Klassenverbände, dazu kommen
       Leistungskurse aus den Abi-Jahrgängen. Und auch die Schulen, die Glück
       haben, werden wohl kaum regelmäßig von den Expert*innen besucht. Eher
       geht es um einen Erstkontakt mit dem Thema.
       
       Um zu verstehen, wie ein Vertrag funktioniert, was eine Eheschließung für
       rechtliche Konsequenzen hat, wann man gekündigt werden darf, reicht das
       nicht. An den meisten Schulen sind Verbraucherrecht, Arbeitsrecht und
       Familienrecht kaum Thema – Recht [5][ist schließlich kein Unterrichtsfach].
       „Das Bildungssystem ist unfassbar statisch, obwohl wir als Gesellschaft
       immer neues Wissen generieren“, so der Waller Schulleiter Peter Hons. „Denn
       für alles, was neu dazukäme, müsste ja etwas anderes wegfallen.“
       
       12 Oct 2021
       
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