# taz.de -- Superwahljahr in Berlin: Mr. Wahl organisiert's
       
       > Wahlen sind eine logistische Herausforderung. Uwe Weise sorgt in
       > Charlottenburg-Wilmersdorf dafür, dass sie laufen – mit Stofftier und
       > Digitalwaage.
       
 (IMG) Bild: Uwe Weise fühlt sich wohl zwischen Urnen und Koffern, die für die Wahlvorsteher*innen gepackt sind
       
       Berlin taz | Bei einer Wahl kommt es auch auf die kleinen Dinge an. Uwe
       Weise hat in seiner Hand Büroklammern in drei verschiedenen Größen liegen.
       Die mittelgroßen, rund doppelt so lang wie normale Büroklammern, bekommen
       die Wahlhelfenden zum Auszählen der Stimmen. „Davon lasse ich in jedes
       Wahllokal 50 Stück mitgeben“, sagt er. „Wenn die zählen, dann sollen die
       10er-Packen machen. Immer nach 10 SPDs, klack, immer nach 10 CDUs, klack“,
       macht er die Bewegung vor.
       
       Weise – weißes Hemd, fünfeckige Metallbrille, wache Augen mit dunklen
       Augenringen – hat es selbst 30 Jahre lang so gemacht. Als Leiter des
       Jugendclubs Heckerdamm im Norden Charlottenburgs war Uwe Weise auch immer
       Vorsteher des Wahllokals, das im Jugendclub unterkam. Er schmiss es
       zusammen mit den Jugendlichen.
       
       Heute ist er für das Wahlamt Charlottenburg-Wilmersdorf tätig. Weise
       organisiert die Wahl in dem [1][Bezirk im Westen Berlins]. Eines
       Montagabends vor fünf Jahren bekam er einen Anruf von der damaligen
       Bezirksstadträtin.
       
       Ob er die Leitung des Wahlamts übernehmen wolle, er sei ihre beste
       schlechteste Variante. Denn Weise kenne sich aus – aber er ist kein
       ausgebildeter Verwaltungsbeamter, sondern Sozialarbeiter. Von der Arbeit im
       Feld in die Verwaltung. Weise nahm sich einen Abend Bedenkzeit, redete mit
       seiner Frau, am nächsten Morgen stand seine Entscheidung: Er wollte. Auch
       in Hinblick auf die nahende Rente, „dass ich aus dem Jugendclub altersmäßig
       mal rauskomme“, sagt er.
       
       ## Stofftier Fauli hebt den Teamgeist
       
       Deswegen sitzt er jetzt im Rathaus Charlottenburg, Raum 127a. An der Wand
       seines Büros hängt ein Bambi-Bild aus Mini-steck, im Schrank eine neongelbe
       Warnjacke, falls er mal einspringen und im Lkw Wahlmaterial von A nach B
       fahren muss. Neben seinem Computer lehnt ein Kuscheltier, er stellt es als
       „Fauli“, ein Faultier, vor. Manchmal setzt er es in Besprechungen an den
       Tisch, das hebe den Teamgeist.
       
       Weise leitet die „Koordination Ehrenamt und Freiwilligenagentur“. Die
       organisiert das Anwerben und Verteilen von Ehrenamtlichen im Bezirk. Er
       redet darüber mit mindestens so viel Begeisterung wie von den Büroklammern
       – und Weise redet viel.
       
       Während des Gesprächs kommt eine [2][junge Wahlhelferin ins Büro], weil sie
       noch keine Informationen zu ihrem Einsatz am 26. September bekommen hat.
       Weise stellt Fragen, sucht nach der Ursache des Problems, kritzelt ihr
       schließlich mit seinem rosafarbenen Füllfederhalter eine Telefonnummer auf
       seine Visitenkarte.
       
       Aber nicht ohne ihr ein Dutzend Flyer zum Thema Ehrenamt in die Hand zu
       drücken und ihr auch dazu einen kleinen Monolog zu halten. „Man entkommt
       mir nicht!“, sagt er. Jeder im Rathaus kenne ihn. In der Pressestelle nennt
       man ihn Mr. Wahl.
       
       ## Von A wie Abgeordnetenhauswahl bis S wie Seniorenvertreterwahl
       
       Als Sozialarbeiter hat Weise [3][nicht die Beamtenlaufbahn], die es
       braucht, um auf der Stelle eines Verwaltungsbeamten zu arbeiten. Deswegen
       kann er nicht dauerhaft im Wahlamt angesiedelt sein. Aber wenn Wahlen
       anstehen, wird er abbeordert. Von [4][A wie Abgeordnetenhauswahl] bis S wie
       Seniorenvertreterwahl – „alles was mit Kringelchen und Kreuzchen im Rathaus
       zu tun hat, da spricht man mich an“, sagt er.
       
       Obwohl es seit vergangenem Jahr endlich wieder eine Leiterin des Wahlamts
       gibt, Andrea Dorn, ist er immer noch dabei. „Man möchte gerade in diesem
       Superwahljahr nicht auf mein Wissen verzichten“, sagt Weise. Denn 2021
       treffen in Berlin vier Wahlen – [5][Bundestag], Berliner Abgeordnetenhaus,
       Bezirksverordnetenversammlung, [6][Volksentscheid] – auf ein –
       coronabedingt – nie da gewesenes Ausmaß an Briefwähler*innen.
       
       Zusammen ergibt das einen immensen logistischen Aufwand: Neun Tage vor der
       Wahl haben [7][berlinweit fast 300.000 Menschen mehr per Briefwahl
       abgestimmt als bei der Bundestagswahl 2017 insgesamt].
       
       180.000 rote, blaue und graue Briefumschläge hat Weise für die Briefwahl in
       Charlottenburg-Wilmersdorf bestellt. Bei der Europawahl vor zwei Jahren
       waren es noch 75.000. Im leerstehenden Charlottenburger Ratskeller lagern
       die 30.000 Umschläge, die Weises Mitarbeiter*innen noch nicht
       vorbereitet haben, in Kisten, die ihm bis zur Hüfte reichen.
       
       ## Nichts soll schiefgehen, passieren tut es trotzdem
       
       Desinfektionsmittel, Einweghandschuhe, Atemschutzmasken, alles ist
       palettenweise da, auch Schnelltests für die 1.500 Mitarbeiter*innen, die in
       den Hallen des Messezentrums die Briefwahlstimmen auszählen werden.
       
       Eine verpflichtende 3G-Regel für Wahlhelfende soll es in Berlin nun doch
       nicht geben, aber: „Wahlamt heißt lange, lange vorplanen!“, sagt Weise,
       während er an den vollen Paletten vorbeigeht. „Eine Wahl, richtig geplant,
       fängt 14 Monate vorher an“ – wegen Corona in diesem Jahr mit extra vielen
       Eventualitäten.
       
       Da werden Materialien bestellt, Wahlbenachrichtigungen verschickt,
       Briefwahlunterlagen gepackt, Wahllokale vorbereitet, Wahlhelfende geschult.
       Eine logistische Großaufgabe, bei der nichts schiefgehen sollte. In einigen
       Berliner Bezirken ist das trotzdem passiert. Einige Dutzend Menschen
       bekamen ihre [8][Briefwahlunterlagen ohne den Stimmzettel zum
       Volksentscheid]. „Es kann natürlich immer mal sein, dass jemand falsch
       packt“, sagt Weise dazu.
       
       Im Festsaal des Rathauses Charlottenburg zeigt sich, welchen Ursprung
       solche Fehler haben: den Menschen. Dort packen Mitarbeiter*innen die
       Briefe per Hand, die Stimmzettel liegen wie auf einem Buffet auf Tischen.
       
       ## Bei Weise wiegt man jeden Brief per Digitalwaage
       
       Ein bis zwei Personen bearbeiten einen Wahlkreis. Am Ende wird, sagt Weise,
       nochmal kontrolliert: „Wir wiegen jeden Brief, der rausgeht, um zu sehen,
       ob was fehlt.“ Auch die Stimmzettel für die Wahllokale zählen die
       Mitarbeiter*innen per Digitalwaage.
       
       Das ist laut Weise allerdings nicht in jedem Bezirk so. Offenbar hängt es
       von Schlüsselpersonen wie ihm ab, ob an Details gearbeitet wird, die zum
       Gelingen der Wahl beitragen. Eine andere Weiß’sche Idee ist der Verschluss
       der Wahlurne aus den Briefwahllokalen, wo man schon vor der Wahl seine
       Stimmzettel abgeben kann.
       
       Ein Mitarbeiter rollt die Urne am Abend in Weises Büro, ein hoher
       dunkelgrauer Kasten aus Hartplastik, gefüllt mit den Briefwahlstimmen des
       Tages. Weise steckt eine Türklinke mitsamt Türschloss in den Schlitz und
       schließt wie bei einer normalen Tür ab – seine Konstruktion. In die
       Wahlurne kann so niemand etwas werfen, wenn er*sie nicht soll.
       
       Dann stellt Weise die Urne auf ein Rollbrett und schiebt sie durch die
       breiten Flure des Rathauses in einen geheimen Raum. Dort warten die
       Wahlbriefe darauf, am 26. September aufgeschlitzt und ausgezählt zu werden.
       
       ## Briefwahl mit LKA-Siegel
       
       [9][Sicherheit spielt bei jeder Station] des Briefwahlprozesses eine
       wichtige Rolle, auch das LKA war zur Überprüfung mal da – schließlich wird
       gerade das aus der rechtspopulistischen Ecke angezweifelt. Weise klingt
       genervt, wenn er darüber redet: „Wenn jemand meint, die Briefwahl ist nicht
       sicher, kann ich ihn nicht überzeugen. Irgendwann ist da auch bei mir das
       Basisdemokratische zu Ende.“
       
       Am Ende ist bald auch sein Berufsleben, in 23 Monaten geht Weise in Rente.
       Dann packt er sein Fauli und seinen Füllfederhalter ein. Vielleicht
       arbeitet er noch freiwillig bei den Wahlen mit, „weil das hier so viel Spaß
       macht“.
       
       Die 70 Mitarbeiter*innen des Wahlamts, die immer extra für die Wahl
       rekrutiert werden, werden Weises Struktur dann kennen. Sie wissen, wie
       wichtig darin Büroklammern sind, die kleinen, großen und mittelgroßen.
       
       21 Sep 2021
       
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