# taz.de -- Prozess gegen Vietnamesin: Kriminalität, nicht organisiert
       
       > Menschenhandel? Oder doch nur Verstoß gegen Ausländerrecht? Wie die
       > Polizei versucht, die vietnamesische Community mit Clans in Verbindung zu
       > bringen.
       
 (IMG) Bild: Schwere Vorwürfe waren in Justitias Waagschale
       
       Berlin taz | Es war ein großes Polizeiaufgebot, das da im März ausgerückt
       war: 160 Bundespolizisten durchsuchten fünf Objekte in Berlin und je eines
       in Hamburg und in Timmendorfer Strand an der Ostsee. Sie wollten einer
       mutmaßlichen vietnamesisch-deutschen Schleuserbande das Handwerk legen.
       
       Den zwei Frauen und einem Mann wurde laut Bundespolizei vorgeworfen,
       Vietnamesinnen, die illegal nach Deutschland kamen, zur Prostitution
       gezwungen und damit ihren Lebensunterhalt verdient zu haben. Die Rede war
       von Menschenhandel. Ziel der Razzia sei es gewesen, so ein Polizeisprecher
       gegenüber dem [1][Tagesspiegel], „diese Form der Zwangsprostitution zu
       beenden und die Frauen aus den Abhängigkeiten zu befreien“.
       
       Das sah nach einer ganz großen Kriminalgeschichte aus. Doch am Freitag, als
       der Prozess vor dem Berliner Landgericht begann, wurde weder Menschenhandel
       noch Zwangsprostitution verhandelt, sondern lediglich ein Verstoß gegen das
       Ausländergesetz. Auf der Anklagebank saßen nur noch zwei von ursprünglich
       drei Beschuldigten: Die 44-jährige Vietnamesin Thi L. und der 64-jährige
       Deutsche Bernd R.
       
       ## Nagelstudio und Prostitution
       
       Sie sollen zwei bordellähnliche Studios betrieben haben: Die „Asia-Massage“
       in der Möllendorffstraße gegenüber dem Lichtenberger Rathaus und das „New
       York Nails“ in Timmendorfer Strand, in dem vietnamesische Männer
       Nageldesign und vietnamesische Frauen bezahlten Sex anboten. Laut
       Anklageschrift bekamen die Prostituierten und Masseusen 50 Prozent der
       Einnahmen, die Nageldesigner 1.600 Euro Lohn im Monat, ohne dass Steuern
       oder Sozialabgaben abgeführt wurden.
       
       „Dass die Frauen völlig abhängig von den Angeklagten waren, hat sich in den
       Ermittlungen als nicht richtig herausgestellt“, stellte Verteidigerin
       Kersten Woweries am ersten Verhandlungstag fest. Sie seien von den
       Angeklagten auch nicht nach Deutschland eingeschleust worden. Vielmehr
       hätten sie schon längere Zeit in Deutschland gelebt, einige schon andere
       Arbeiten gemacht.
       
       Allerdings hielten sich die Beschäftigten illegal im Bundesgebiet auf und
       hätten deshalb nicht arbeiten dürfen, so die Staatsanwaltschaft in der
       Anklageschrift. Das sei den Angeklagten bewusst gewesen. Die insgesamt elf
       Beschäftigten standen somit in einem Abhängigkeitsverhältnis zu den
       Angeklagten, das stärker war als normalerweise zwischen Arbeitgebern und
       Arbeitnehmern, denn sie sprachen nicht Deutsch. Thi L. koordinierte die
       Termine mit den Kunden, überwachte sie per Video, handelte die Preise aus
       und zahlte ihnen den Lohn aus. Davon finanzierte sie ihren Lebensunterhalt.
       Bernd R. war zwar formal Geschäftsführer des Studios in Lichtenberg,
       praktisch aber eher Handlanger. Laut Anklageschrift reinigte er die Räume
       und brachte die Einnahmen zur Bank. Der illegale Aufenthalt der
       Vietnamesinnen sei ihm bekannt gewesen.
       
       ## Anklage fällt zusammen
       
       Viel war da am ersten Verhandlungstag nicht strittig zwischen Anklage und
       Verteidigung. Deshalb hat es vorab auch eine Verständigung gegeben: Sollten
       die Angeklagten umfassende Geständnisse ablegen, so soll Thi L., die
       vorbestraft ist und bereits in Untersuchungshaft sitzt, für maximal vier
       Jahre und elf Monate verurteilt werden. Bernd R., der nicht vorbestraft
       ist, kann mit einer Strafe zwischen 13 und 18 Monaten rechnen. Die könnte
       zur Bewährung ausgesetzt werden, doch da war das Gericht sich noch nicht
       sicher.
       
       Kristina Beulich bezeichnet das Auseinanderklaffen des Tatvorwurfes der
       Bundespolizei mit dem, was letztlich zur Anklage gebracht wurde, als nicht
       untypisch für Prozesse, wo es um Schleusung durch Vietnamesen geht. Beulich
       ist Anwältin und hat mehrere ähnliche Verfahren vor Gericht bestritten.
       „Ich vermute den Versuch der Ermittlungsbehörden, die vietnamesische
       Community in Deutschland unter den Begriff Clan zu subsumieren“, sagt
       Beulich. Wenn die Ermittler von Clanstrukturen ausgehen, dann bekämen sie
       mehr Personal zur Bekämpfung dieser Kriminalitätsform. Sie würden leichter
       Telefonüberwachung und einen SEK-Einsatz genehmigt bekommen.
       
       30 Aug 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.tagesspiegel.de/berlin/polizei-justiz/razzien-in-berlin-hamburg-und-an-der-ostsee-schleuserbande-soll-an-zwangsprostitution-und-scheinehen-verdient-haben/27012614.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marina Mai
       
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