# taz.de -- Gleichstellungsbericht der Regierung: Digitalisierung ohne Frauen
       
       > Der Bildungssektor zeigt, welche Faktoren Frauen bei digitalen Themen
       > weiterhin behindern. Gerade dort müsste aber ein Reformprozess ansetzen.
       
 (IMG) Bild: Nur 16 Prozent aller Beschäftigten in der Informatikbranche sind weiblich
       
       Die digitale Transformation der Wirtschaft findet weitgehend ohne Frauen
       statt. Der dritte Gleichstellungsbericht der Bundesregierung ist ein Alarm-
       und Fragezeichen: Nur 16 Prozent aller Beschäftigten in der
       Informatikbranche sind weiblich!? Dabei sind Frauen mindestens gleich
       begabt und qualifiziert. Das Interesse an digitalen Themen muss früher
       geweckt werden, und zwar in den Schulen und Kitas.
       
       Die Fakten sind eindeutig: In den IT-Berufen beträgt der [1][Gender
       Pay-Gap] 7 Prozent, der Gender Leadership-Gap (Frauenanteil bei den
       Beschäftigten im Verhältnis zur ersten Führungsebene) bei 5:1 und der
       Teilzeitanteil bei 19 Prozent (Männer: 5 Prozent). Der Bildungssektor
       offenbart wie kein anderer, wo wir beim Thema Digitalisierung stehen: 73
       Prozent der Lehrkräfte in Deutschland sind weiblich, in den Grundschulen
       ist der Anteil sogar noch höher.
       
       Die technische Betreuung und IT-Administration werden dagegen fast
       ausschließlich von den männlichen Lehrkräften erledigt, ebenso die
       Entwicklung von Software-Lösungen für Schulen. In der Edutech-Branche gibt
       es nur ein einziges weibliches Startup.
       
       Im Grundschulalter entscheiden sich Rollenbilder, Vorbilder und
       Geschlechterstereotypen. Lehrerinnen und Digitalisierung ist die Neuauflage
       des alten Themas [2][“Frauen, Technik und Naturwissenschaften“]. Das Thema
       steckt voller Fallstricke und Annahmen darüber, wie Frauen und Männer sind,
       wie das Gehirn genderspezifisch gebaut sein möge und wer welche Talente
       naturgegeben besitzt (oder eben nicht) und am Ende, wer eine
       Benachteiligung zu verantworten habe.
       
       ## Hälfte kann Potenzial nicht entfalten
       
       Die Annahmen darüber prägen nicht nur unsere Wahrnehmung im Alltag, unsere
       Selbsteinschätzung, sondern auch die Gestaltung unserer Realität. Wir
       konstruieren gesellschaftlich und persönlich die gewohnte Sicht, wir
       reproduzieren, was wir glauben.
       
       Wir alle sind gefragt, bestehende Glaubenssätze mutig in Frage zu stellen.
       Eltern, Großeltern, Chefs und Chefinnen genauso wie der Professor und die
       Lehrerin. Das fängt mit der Sprache an: Warum nicht “Professorin“ und
       “Lehrer“ schreiben, um die gedanklichen Spielräume zu erweitern? Und das
       hört bei der Ökonomie nicht auf: Der Fachkräftemangel in technischen
       Berufen ist gravierend. Das soziale Argument: Fast die Hälfte der
       Bevölkerung wäre abgeschnitten von der digitalen Entwicklung der Zukunft.
       
       Und individuell: Wie viele Talente sind unerkannt geblieben, weil es an
       positiven Vorbildern, überhaupt an der geistigen Offenheit fehlte? Nicht
       jede junge Frau hat das Standing einer [3][Ada Lovelace, die schon im
       frühen 19. Jahrhundert das Potential der Informatik erkannte] und das erste
       Computerprogramm entwickelte, ohne Zugang zu Bibliotheken und gegen den
       sozialen Druck als Mathematikerin.
       
       Frauen müssen von Digitalisierung profitieren, sich mehr zutrauen und diese
       aktiv mitgestalten. Eine französische Studie zum Lernverhalten von Mädchen
       und Jungen erbrachte ein interessantes Ergebnis, das nachdenklich machen
       muss: zwei Lerngruppen wurde dieselbe Aufgabe erteilt, einmal gerahmt als
       mathematisches Rätsel und das andere Mal als Zeichenaufgabe. Die Ergebnisse
       der Mädchen waren signifikant davon abhängig, wie ihnen die Aufgabe
       vermittelt wurde. Als Zeichenaufgabe lösten sie die Aufgabe sehr gut und
       besser als die Gruppe der Jungen. Wurde die gleiche Aufgabe als
       Matheaufgabe gestellt, schnitten sie deutlich schlechter ab.
       
       ## Agenda “Digitalisierung für Frauen“
       
       Rollenzuschreibungen und Erwartungshaltungen sind also nach wie vor
       relevant für die Leistungen. Das muss nicht nur Eltern von Töchtern
       nachdenklich stimmen, sondern auch ökonomisch als Schaden betrachtet
       werden. Die Hälfte der Bevölkerung kann ihr Potential nicht entfalten.
       [4][Wie kommen Mädchen und junge Frauen besser in die Ausbildungen und
       Studiengänge von MINT?] Wie ändern wir die sich immer wieder selbst
       reproduzierenden Vorstellungen von weiblichen und männlichen Berufen? Die
       Zuschreibungen wirken auch andersherum: jungen Kindern wären deutlich mehr
       männliche Erzieher und Grundschullehrer zu wünschen.
       
       Was ist zu tun, wie könnte eine Agenda “Digitalisierung für Frauen“ lauten?
       Vor der Klammer müsste gelten: Digitalisierung muss von Frauen mitgestaltet
       werden! Programmier- und Entwicklerszene beantworten mit Frauen Fragen wie:
       Welche Aspekte interessieren Frauen besonders? Wie müsste das technische
       oder naturwissenschaftliche Angebot oder Projekt oder der Studiengang
       gedacht werden, damit sich Frauen dort nicht als Exotin, sondern als
       erwünschte und mitgedachte Person fühlen? Es geht darum, digitale Angebote
       in diversen, genderuntypischen und interdisziplinären Gruppen zu
       entwickeln.
       
       Hier sind drei Vorschläge, wie Frauen zu aktiven Gestalterinnen der
       Digitalisierung werden. Erstens: Gestaltet digitale Angebote endlich für
       die, die es nutzen sollen! Die Lehrerin des eigenen Kindes, die Pädagogin,
       die bisher skeptisch war, die älteren Kollegen. Überzeugt die
       Datenschutzbeauftragten, damit nicht nur die grauen Lern- und
       Videoplattformen wie Moodle und BigBlueButton übrig bleiben zur Nutzung,
       von intuitiver Bedienung weiter entfernt als tl;dr von Twitter.
       
       Katarina Blind ist eine junge Designerin, die während ihres Abiturs [5][die
       bayerische Lernplattform Mebis] neugestaltet hat. Sie sagt: „Die Priorität
       meiner Arbeit liegt auf leicht nutzbar. Es ist mir wichtig, dass es schön
       aussieht – aber das Wichtigste dabei ist, dass man es gut nutzen kann.“
       Ihre Generation sei schließlich eine, die täglich Apps wie Tiktok nutzten
       und wenn die schon Mebis nicht verstünden, dann sei da etwas falsch. Frauen
       wollen ein Angebot, dass im Layout nicht nur technisiert daherkommt und
       eine intuitive Handhabbarkeit. Und das nutzt letztlich allen UserInnen.
       
       ## Heute gilt: Ich kann alles, was ich will!
       
       Zweitens: “Frauen können keine Technik“ war gestern. Dieser Satz, ob als
       Frau als Selbstaussage geäußert, ob als Eltern, Lehrkräfte, Ausbilder oder
       Lehrende vermittelt, zementiert, was nicht stimmt. Mädchen und Frauen
       können Technik, wenn sie das von klein auf lernen, wenn sie von anderen und
       sich selbst einer positiven Erwartungshaltung ausgesetzt sind. Nichts ist
       hemmender als die Zuschreibung und ständige Unterschätzung “Das kannst du
       nicht“.
       
       Es muss heißen: “Klar, wir können digital!“ Was fehlt, sind die richtigen
       Trainerinnen, Frauenlerngruppen und das passende digitale Angebot. Viele
       Frauen lernen technische Inhalte einfacher und lieber von und mit Frauen.
       Die Erfahrungen der Studentinnen in den MINT-Studiengängen ähneln sich und
       beginnen oft mit der Begrüßung: „Wir haben ja jetzt auch ein paar Damen bei
       uns“.
       
       Inka Greusing schreibt im gleichnamigen Buch, wie und wodurch in den
       Ingenieurswissenschaften die bestehenden Geschlechterverhältnisse
       aufrechterhalten werden und wie männlich diese Wissenschaften bis heute
       sind. Das Narrativ der unbegabten Mädchen hemmt die Nutzung der Talente und
       der Ressourcen, die bestehen. Heute gilt: Ich kann alles, was ich will!
       
       An Universitäten und in Unternehmen muss Gleichstellung ChefInnensache
       werden. Digitalisierung und Gleichstellung sind kulturelle Themen, es geht
       um Führung und neues Arbeiten. Nur politische und machtvolle Schwergewichte
       auf Vorstands- und Geschäftsführungsebene können wirkungsvolle Maßnahmen
       durchsetzen.
       
       Drittens: Fragt Lehrerinnen, was sie brauchen, wie sie arbeiten und wie sie
       die digitalen Angebote nutzen, bringt EntwicklerInnen und NutzerInnen
       zusammen! So wird vermieden, was der dritte Gleichstellungsbericht
       feststellt: Algorithmen sind nicht neutral, sie können diskriminieren. Sie
       sind die Grundlage vieler Entscheidungen und sind so gut wie die Daten, mit
       denen sie gefüttert sind. Wo die weibliche Nutzungsperspektive fehlt,
       fehlen Daten.
       
       Seit PISA 2015 wissen wir, dass Mädchen und Frauen deutlich besser
       abschneiden bei Zukunftskompetenzen wie collaborative problem solving – der
       Problemlösungskompetenz, die gemeinsam erbracht werden muss. Frauen sind
       kommunikationsstark und kooperativ. Die kollektive Intelligenz einer Gruppe
       steigt mit dem Anteil von Frauen. Gleiches gilt für die Künstliche
       Intelligenz der Maschinen: Ohne Frauen wird die Digitale Transformation
       nicht gelingen. Machen wir das, was schon Hannah Arendt empfahl: Denken
       ohne Geländer.
       
       29 Jul 2021
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [2] /Gefluechtete-ueber-ihr-Einser-Abitur/!5777658
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 (DIR) [5] /Bildung-und-Pandemie/!5738808
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Daniel Dettling
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