# taz.de -- Ursachensuche in Niedersachsen: Wo sich Krebsfälle häufen
       
       > In der Gemeinde Friedland sind mehr Menschen an Krebs erkrankt, als
       > statistisch zu erwartbar wäre. Eine zufällige Abweichung ist
       > unwahrscheinlich.
       
 (IMG) Bild: Bei einer Chemobehandlung: ältere Patientin
       
       Göttingen taz | In der Gemeinde Friedland im Kreis Göttingen wächst die
       Angst vor Krebs. Das Epidemiologische Krebsregister Niedersachsen (EKN) hat
       dort im Rahmen seines routinemäßigen Krebs-Monitorings eine auffällige
       Häufung von bestimmten Krebserkrankungen registriert. In den Jahren 2008
       bis 2018 wurden 54 Fälle bei Einwohnern festgestellt, statistisch wären
       allerdings nur 33 Fälle zu erwarten gewesen.
       
       Die Häufung betrifft sogenannte hämatologische Tumorerkrankungen – das
       sind bösartige Zellveränderungen im blutbildenden System. Dazu zählen auch
       Non-Hodgkin-Lymphome, die das Lymphgewebe befallen. Das Monitoring des
       Krebsregisters ist auf diese Art von Tumoren ausgerichtet.
       
       Die erhöhte Krebshäufigkeit zeigte sich gleichermaßen bei Frauen und
       Männern. Alle Betroffenen erkrankten im Alter von über 40 Jahren an Krebs.
       Mehr als die Hälfte der Erkrankten war bei der Erstdiagnose älter als 70
       Jahre. Dem Krebsregister zufolge liegt die Häufung der Krebsfälle in
       Friedland zwar noch im Rahmen zufälliger Schwankungen, in dem
       festgestellten Ausmaß erscheine dies aber sehr ungewöhnlich und „außerhalb
       des Erwartungsbereichs“.
       
       Nach Angaben des Göttinger Gesundheitsamtes verteilen sich die Fälle über
       alle Friedländer Ortsteile. Demnach gibt es keine Konzentration an einem
       bestimmten Ort. In welchem Ort genau wie viele Fälle auftraten, wird aber
       aus Datenschutzgründen nicht bekannt gemacht. Vor allem in kleineren Orten
       ließen sich sonst womöglich Rückschlüsse auf Betroffene ziehen, heißt es.
       Die Gemeinde Friedland nahe dem Drei-Länder-Eck mit Hessen und Thüringen
       besteht aus 14 Ortschaften, insgesamt leben hier gut 13.000 Menschen.
       
       ## Ratlosigkeit bei der Ursachensuche
       
       [1][Überregional bekannt ist Friedland d]urch das nach Ende des Zweiten
       Weltkriegs errichtete Grenzdurchgangslager. Außer Aussiedlern aus den
       ehemaligen Staaten der Sowjetunion kommen hier auch Flüchtlinge an.
       Insgesamt haben bislang weit mehr als vier Millionen Menschen das aus
       Propagandagründen oft „Tor zur Freiheit“ genannte Lager passiert.
       
       Bei der Frage nach möglichen Gründen für die Häufung der Krebsfälle
       herrscht beim Krebsregister, beim Gesundheitsamt und der Gemeindeverwaltung
       bislang Ratlosigkeit. Um herauszufinden, ob die [2][Häufungen in
       Zusammenhang mit einem speziellen Auslöser] stehen, seien weitere
       Recherchen erforderlich, sagt der Leiter des Gesundheitsamtes, Eckart Mayr.
       Die Suche nach einer gemeinsamen Ursache entspreche dabei der berühmten
       Suche nach der Nadel im Heuhaufen, wobei in diesem Fall erschwerend
       hinzukomme, dass die Nadel vielleicht gar nicht existiere.
       
       Grundsätzlich wollen die beteiligten Behörden Umwelteinflüsse keinesfalls
       als Auslöser ausschließen, gerade bei hämatologischen Erkrankungen gelten
       diese sogar als wahrscheinlich. Allerdings kommen die bei gehäuften
       Krebsfällen sonst gern genannten üblichen Verdächtigen in Friedland kaum
       als Verursacher in Betracht. In der Samtgemeinde wird nicht nach Öl und Gas
       gebohrt, es gibt praktisch keine Industrien und kaum größere Betriebe.
       
       Einzige Ausnahme neben dem Grenzdurchgangslager ist die Abfalldeponie im
       Ortsteil Deiderode mit Altholzplatz, Schadstoffsammellager, Recyclinghof
       und einer Mechanisch-Biologischen Vorbehandlungsanlage. Mehr als 70.000
       Tonnen Restmüll aus den Landkreisen Göttingen und Northeim werden hier
       jährlich verarbeitet. Dazu kommen 21.000 Tonnen Sperrmüll und ein kleiner
       Teil sonstiger Abfälle.
       
       ## Unfälle als Ursache?
       
       Auf der Deponie kam es in den vergangenen Jahren mehrmals zu Unfällen. 2006
       zerbarsten zwei Vergärungsbehälter, sieben Millionen Liter Gärschlamm und
       Wasser liefen aus. 2018 brannten in Deiderode die Förderanlage und eine
       Lastwagen-Ladung.
       
       Vor neun Jahren war Friedland schon einmal wegen einer Häufung von
       Krebsfällen in den Medien. Im Ortsteil Groß Schneen sollte ein
       Lackierbetrieb das Lösungsmittel Trichlorethylen falsch verwendet haben,
       die Göttinger Staatsanwaltschaft ermittelte damals wegen des Verdachts
       fahrlässiger Tötung und Körperverletzung gegen das Unternehmen. Das
       Verfahren wurde später eingestellt, ein Zusammenhang zwischen Erkrankungen
       und den Emissionen konnte nicht festgestellt werden.
       
       Mit Blick auf die aktuellen Zahlen bereitet das Göttinger Gesundheitsamt
       nun eine Befragung der Betroffenen vor, um mögliche Gemeinsamkeiten zu
       erfragen. Wann die Erhebung startet, ist allerdings noch unklar. Die
       Teilnahme soll freiwillig sein, die Informationen würden vertraulich
       behandelt, heißt es.
       
       30 Jun 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /75-Jahre-Lager-Friedland/!5714823
 (DIR) [2] /Noch-mehr-Angst-vorm-Fracking/!5206270
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Reimar Paul
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Krebs-Cluster
 (DIR) Krebs
 (DIR) Niedersachsen
 (DIR) Gesundheitsvorsorge
 (DIR) wochentaz
 (DIR) Schwerpunkt Glyphosat
 (DIR) Fracking
 (DIR) Krebs-Cluster
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Forschungserfolg gegen Darmkrebs: Krebszellen am Wandern hindern
       
       Spanische Forscher:innen haben herausgefunden, wie genau sich Darmkrebs
       im Körper verbreitet. Das soll neue Therapieansätze ermöglichen.
       
 (DIR) Verbot des Herbizids in der EU wackelt: Glyphosat-Studie stützt Bayer
       
       Studie der EU-Kommission hält den umstrittenen Unkrautvernichter für
       unbedenklich – und spricht sich für die erneute Zulassung aus.
       
 (DIR) Trinkwassersorgen in Niedersachsen: Kämpfer gegen Fracking
       
       In Rotenburg soll weiter Erdgas mit Fracking gefördert werden – mitten
       durch die Rotenburger Rinne, die 400.000 Menschen mit Trinkwasser versorgt.
       
 (DIR) Rotenburger Notruf: „Gefährdet Menschen“
       
       Wegen der erhöhten Krebsrate in der Region schreiben mehr als 200 Ärzte
       einen Brandbrief an Niedersachsens Gesundheitsministerin Cornelia Rundt
       (SPD). Was zu der Häufung der Krankheitsfälle führt, ist unbekannt.