# taz.de -- Massenhaft Smartphones ausgespäht: Neue Dimensionen der Überwachung
       
       > Hunderte Journalist*innen und Oppositionelle weltweit sind offenbar
       > von ihren Regierungen ausgespäht worden. Das Unternehmen NSO streitet das
       > ab.
       
 (IMG) Bild: Das Smartphone: Gerät für grenzenlose Kommunikation – und Totalüberwachung
       
       Das Unternehmen besteht darauf, nur Gutes zu tun: Die Mission der
       NSO-Gruppe sei es, Leben zu retten. Alleiniger Zweck ihrer Spionagesoftware
       – so ist auf der Webseite des israelischen Unternehmens seit Sonntag zu
       lesen – sei der Kampf gegen Verbrechen und Terror. Auffällig spitz ist das
       Statement formuliert. Von Diskreditierungsversuchen ist die Rede, von einer
       „kompletten Lüge“.
       
       Keine Entschuldigung, kein Bedauern. NSO hat sich entschieden, in die
       Offensive zu gehen, nachdem am Sonntag ein internationaler Zusammenschluss
       von Journalist*innen und IT-Expert*innen schwere Vorwürfe gegen den
       Überwachungssoftware-Anbieter veröffentlicht hat. NSO-Produkte, lautet der
       Vorwurf, werden nicht ausschließlich gegen Kriminelle eingesetzt, sondern
       auch gezielt gegen Journalist*innen, Menschenrechtler*innen sowie
       gegen Oppositionelle in autoritären Staaten. Die Recherchen legen nahe,
       dass die Kunden von NSO [1][staatliche Stellen sind] – etwa Geheimdienste –
       in Aserbaidschan, Indien, Kasachstan, [2][Mexiko], [3][Marokko], Ruanda,
       Togo, Saudi-Arabien, Bahrain und den Emiraten. Pikant: Auch das
       EU-Mitgliedsland Ungarn könnte Pegasus gegen Journalist:innen
       eingesetzt haben.
       
       Die NSO Group, die ihren Hauptsitz im israelischen Herzlia hat, steht
       [4][schon seit Jahren in der Kritik]. Dabei geht es vor allem um ihr
       Hauptprodukt, die hochmoderne Spionagesoftware Pegasus. Um es kurz zu
       machen: Pegasus kann fast alles, sobald ein Smartphone erfolgreich
       attackiert worden ist. Mitlesen, mithören, mitgucken: Chat-Nachrichten,
       E-Mails, Telefongespräche, Fotos. Selbst das Mikrofon und die Kamera des
       Smartphones können gesteuert werden, ohne dass der oder die Nutzer*in
       davon etwas mitbekommt. Das Opfer kann also in Echtzeit ausspioniert
       werden.
       
       Was die Software kann, [5][ist zwar seit Langem bekannt] – doch die
       Dimension des Pegasuseinsatzes war es bislang nicht. Nun haben der in Paris
       ansässige Rechercheverein Forbidden Stories und die
       Menschenrechtsorganisation Amnesty International zusammen mit
       Medienpartnern aus zehn Ländern einen Datensatz von mehr als 50.000
       Telefonnummern ausgewertet, der an sie geleakt worden war. Die Nummern
       stammen den Berichten zufolge von potenziellen Ausspähzielen, es handelt
       sich also um eine Art Wunschliste, die von NSO-Kunden erstellt worden sein
       soll. Die Kunden sind, wie das Unternehmen selbst schreibt, „ausschließlich
       staatliche Nachrichtendienste und Strafverfolgungsbehörden“, die mit der
       „Bekämpfung von Kriminalität und Terror“ befasst sind.
       
       ## Oppositionspolitiker in Indien betroffen
       
       Auf der Liste stehen jedoch nicht nur Terroristen und Mafiosi. Laut Amnesty
       International, das das Rechercheprojekt mit technischer Expertise
       unterstützt hat, wurden mindestens 180 Journalist*innen in zwanzig
       Ländern identifiziert, deren Namen gelistet waren. Zwischen 2016 und Juni
       2021 sollen sie für eine potenzielle Zielerfassung mit NSO-Software
       ausgewählt worden sein, unter anderem in Aserbaidschan, Ungarn, Indien und
       Marokko. Darunter waren Mitarbeitende namhafter Medien wie Reuters, New
       York Times, Al Jazeera oder CNN. Telefonnummern deutscher
       Journalist*innen fänden sich nicht auf der Liste.
       
       Auf 37 Smartphones von Medienschaffenden und Menschenrechtler*innen
       sowie deren Familienangehörigen fanden IT-Expert*innen darüber hinaus
       konkrete Hinweise darauf, dass die Geräte auch tatsächlich angegriffen
       worden sind. Unter den konkret Ausgespähten seien beispielsweise zwei
       Journalisten des ungarischen Investigativmediums Direkt36.
       
       Die indische Zeitung The Wire, ebenfalls Partnerin des Rechercheprojekts,
       [6][enthüllte] am Montag, das auch der indische Oppositionspolitiker Rahul
       Gandhi sowie dessen direktes Umfeld unter den ausgewählten Spionagezielen
       waren. Gandhi ist der mächtigste Herausforderer des indischen
       Premierministers Narendra Modi. Unter den 50.000 geleakten Telefonnummer
       waren mehr als 1.000 indische Kontakte. Laut dem britischen Guardian deutet
       ein genauer Blick auf diese Nummern „darauf hin, dass Geheimdienste
       innerhalb der indischen Regierung hinter der Auswahl standen“.
       
       „Wenn Ihre Informationen korrekt sind, geht das Ausmaß und die Art der
       Überwachung über einen Angriff auf die Privatsphäre von Einzelpersonen
       hinaus“, sagte Ghandi gegenüber The Wire. „Es ist ein Angriff auf die
       demokratischen Grundlagen unseres Landes.“
       
       ## NSO Group steitet alles ab
       
       Auch aus Europa kamen am Montag Reaktionen: EU-Kommissionspräsidentin
       Ursula von der Leyen sagte über die Enthüllungen: „Wenn dies der Fall ist,
       dann ist das völlig inakzeptabel und ein Verstoß gegen alle Werte und
       Regeln, die wir in der EU in Bezug auf Medienfreiheit haben.“
       
       In Ungarn forderten Oppositionspolitiker*innen eine Untersuchung
       des mutmaßlichen Einsatzes der Spionagesoftware. Mehrere Mitglieder des
       Parlamentsausschusses für nationale Sicherheit beantragten eine
       Sondersitzung, um die Regierung zu ihrer möglichen Verwicklung in die
       Schnüffelei zu befragen. Eine Untersuchung kündigte auch Frankreichs
       Regierung an, ohne allerdings konkret zu werden. „Wir hängen sehr an der
       Pressefreiheit“, sagte Sprecher Gabriel Attal, man sei „extrem schockiert“
       über die mutmaßlichen Abhöraktionen.
       
       In Deutschland erklärte die Vorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und
       Journalisten-Union (DJU), Monique Hofmann, am Montag: „Die Ergebnisse der
       Recherchen belegen eindeutig den Zusammenhang zwischen den
       Ausspäh-Angriffen und der Unterdrückung der Zivilgesellschaft. Autoritäre
       Staaten nutzen Pegasus, um kritische und oppositionelle Stimmen zum
       Schweigen zu bringen.“
       
       Die NSO Group bleibt derweil bei ihrem Dementi. Die Berichte seien „voller
       falscher Annahmen und unbestätigter Theorien, die ernsthafte Zweifel an der
       Zuverlässigkeit und den Interessen der Quellen aufkommen lassen“, heißt es
       in dem Statement des Unternehmens. „Es scheint, als hätten die ‚nicht
       identifizierten Quellen‘ Informationen geliefert, die keine faktische
       Grundlage haben und weit von der Realität entfernt sind.“
       
       19 Jul 2021
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [6] https://thewire.in/government/rahul-gandhi-pegasus-spyware-target-2019-polls
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jannis Hagmann
       
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