# taz.de -- Georg Pazderski und der gemäßigte Kurs: Vom Landeschef zum Hinterbänkler
       
       > Am Fraktionschef der AfD Berlin lässt sich ablesen, wie das gemäßigte
       > Lager an Boden verliert. Pazderskis Widerstand gegen den Flügel
       > scheiterte.
       
 (IMG) Bild: In der zweiten Reihe heißt bei der AfD zwischen Querdenkern: Georg Pazderski beim Parteitag im Juni
       
       Berlin taz | Hinter den Kulissen hat Georg Pazderski sich vielleicht
       bereits verabschiedet. In einem Chat schrieb er, wohl leicht resigniert:
       „Ich stelle nahezu täglich fest, wie sich diese Partei immer weiter von
       ihren Idealen entfernt. Ich habe nicht 41 Jahre diesem Land gedient, um
       jetzt mit Neonazis, die es in ihrem Leben zu nichts oder wenig gebracht
       haben, Seit’ an Seit’ zu marschieren.“ Den Auszug haben zwei AfD-Aussteiger
       in dem Buch „Im Bann der AfD“ veröffentlicht. Die Autoren haben dafür
       zusammen mit einem Stern-Redakteur Chats ab März 2020 unter anderem aus der
       Telegram-Gruppe „Aktion Bundesvorstand“ mit rund 100 Mitgliedern
       ausgewertet.
       
       Pazderski hat das – im Vergleich zur extrem rechten Parteiströmung „Flügel“
       – als gemäßigt geltende Lager um den Bundesvorstand von Jörg Meuthen auch
       über diese Gruppe maßgeblich mitorganisiert. Die Chats und das Buch zeigen
       neben der tiefen Spaltung der AfD, dass viele Mitstreiter*innen den
       Kampf gegen den Flügel schon verloren glauben – nicht wenige liebäugeln mit
       dem Parteiaustritt.
       
       Pazderski, der 2019 noch Vorsitzender des Bundespartei werden wollte,
       scheiterte damals [1][am Widerstand des Flügels]. Den Machtkampf um die
       Spitzenpositionen in der Berliner AfD für die im September anstehende
       Superwahl hat der 69-jährige pensionierte Bundeswehr-Oberst auch verloren:
       Erst wollte er erneut auf [2][Platz 1 ins Abgeordnetenhaus], wurde dann
       aber in einem bissig geführten Machtkampf in der Fraktion demontiert.
       Schließlich zog er seine Kandidatur zugunsten seiner innerparteilichen
       Widersacherin [3][Kristin Brinker] zurück. Diese hatte ihm schon Anfang des
       Jahres mit Hilfe der Stimmen des Flügels das Wasser abgegraben im Kampf um
       den Landesvorsitz.
       
       Die politische Zukunft des ehemaligen AfD-Chefs steht damit auf der Kippe:
       Zwar hat Pazderski ein Bundestagsmandat errungen – allerdings nur das auf
       dem wackeligen vierten Platz der Landesliste. Er steht damit hinter Beatrix
       von Storch, Gottfried Curio und Götz Frömming. Aktuell sitzt die AfD Berlin
       zwar mit vier Abgeordneten im Bundestag, allerdings erzielt die
       neoliberal-rassistische Partei derzeit in den Umfragen etwas niedrigere
       Werte als bei der Bundestagswahl 2017 (9 bis 11 statt 12,7 Prozent). Es ist
       also fraglich, ob Pazderski tatsächlich in den Bundestag einzieht.
       
       ## „Ins zweite Glied zurückstellen lassen“
       
       Während seiner Antrittsrede im Juni fing Pazderski an einer Stelle
       bezeichnenderweise sogar an zu stoibern. Nach ein bisschen Gehaspel
       versuchte er seine zunehmende Bedeutungslosigkeit umzudeuten: Man brauche
       Köpfe, die sich bewährt hätten und zeigten, „dass sie sich auch ins zweite
       Glied zurückstellen lassen, wenn es notwendig ist“, sagte Pazderski.
       Gewählt wurde er trotzdem – wohl auch dank seiner angeblich gemäßigten
       Rhetorik, die sich tatsächlich nur unwesentlich von der des Flügel
       unterscheiden lässt (inklusive Opfermythos, „Deutschland muss gerettet
       werden“, „politisch korrekte Zombies“ und, [4][besonders aktuell]:
       „Klimawahn“).
       
       Aber auch aus AfD-Perspektive ist Pazderskis politische Bilanz verheerend:
       Die Abgeordnetenhausfraktion wäre in der vergangenen Legislatur unter
       seiner Führung beinahe zerbrochen. Mitarbeiter*innen beklagten ein
       vergiftetes Klima und den autoritären Führungsstil des pensionierten
       Bundeswehr-Obersts. Es war die Rede von Mobbing, Burn-out und schlampigen
       Finanzen. Der Landesverband wurde nach mehreren gescheiterten Parteitagen
       nur noch von Notvorständen gelenkt. Im Juli des letzten Jahres gab es sogar
       einen [5][offenen Brandbrief] gegen Pazderski von der jetzigen
       Spitzenkandidatin und seiner Gegenspielerin Brinker, unterschrieben auch
       von den Flügel-Leuten der Fraktion.
       
       Und so ist Pazderskis Abgang auch ein Sieg des Flügels der AfD Berlin.
       [6][Höcke-Fanboy Thorsten Weiß] wird wohl wieder in das Abgeordnetenhaus
       einziehen, ebenso Jeanette Auricht, Rolf Wiedenhaupt, Carsten Ubbelohde und
       Gunnar Lindemann. Brinker, die eigentlich als wirtschaftsliberal geltende
       finanzpolitische Sprecherin und jetzige Spitzenkandidaten, versucht derzeit
       gemäß der AfD-Wahlkampagne „Berlin. Aber normal“ das bürgerliche
       Aushängeschild zu sein für die sich radikalisierende Partei. Sie versprach
       allerdings vor ihrer hauchdünnen Wahl zur Vorsitzenden – unter dem Gejohle
       der Flügel-Leute – alle einzubinden.
       
       ## Interview in geschichtsrevisionistischer Zeitschrift
       
       Für diese Partei die Bürgerliche zu geben, fällt Brinker nicht immer
       leicht: Der [7][Tagesspiegel] berichtete gerade, dass sie der
       revisionistischen Zeitschrift Deutsche Geschichte vor rund einem Jahr ein
       Interview gegeben hat. Herausgeber der Zeitschrift ist der wegen
       Holocaustleugnung und Volksverhetzung verurteilte Gert Sudholt. Noch dazu
       soll der Interviewer, Christian Schwochert, enge Kontakte zur NPD
       unterhalten.
       
       Kristin Brinker bestätigte, dass der Mann trotzdem AfD-Mitglied sei und
       sogar in einem Landesfachausschuss von ihr selbst mitgearbeitet hat.
       Brinker gab sich in Erklärungsnot überrascht. Den Mitarbeiter habe man
       entlassen, nachdem man Anfang des Jahres über dessen publizistische
       Tätigkeiten Bescheid gewusst habe.
       
       Auch angesichts dessen dürfte Pazderski mit einiger Bitterkeit auf die
       Landesliste gucken, die er eigentlich anführen wollte. Auf taz-Nachfrage
       wollte sich Pazderski aus dem Urlaub nicht zu seiner politischen Zukunft
       äußern.
       
       Klar ist jedoch: Im Bundestag dürfte es ihm nicht anders ergehen. Denn mit
       Tino Chrupalla und Alice Weidel sind klar vom Flügel unterstützte Personen
       die Spitzenkandidaten. Und das radikale Bundeswahlprogramm gibt sich nach
       [8][Interventionen von Björn Höcke] auf dem Programmparteitag nicht mal
       mehr die Mühe, einen bürgerlichen Anschein zu wahren – Dexit-, Querdenken-
       und Abschottungsforderungen inklusive.
       
       In seinem Telegram-Chat schrieb Pazderski mit Blick auf Chrupalla und Höcke
       noch im September 2020: „Wir dürfen uns das Projekt AfD nicht von einem
       Malermeister und einem Sportlehrer kaputt machen lassen.“ Ungünstige
       Startvoraussetzungen, wenn es für Pazderski mit dem Einzug in den Bundestag
       klappen sollte.
       
       19 Jul 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Drohendes-Personal-Chaos-bei-der-AfD/!5642935
 (DIR) [2] /Pazderski-kandidiert-fuer-die-AfD-Berlin/!5698506
 (DIR) [3] /Neue-Parteichefin-der-AfD-Berlin/!5757819
 (DIR) [4] /Flutkatastrophe-in-Deutschland/!5787354
 (DIR) [5] /AfD-Berlin-rebelliert-gegen-Pazderski/!5694217
 (DIR) [6] /Fluegel-Streit-der-AfD/!5606295
 (DIR) [7] https://www.tagesspiegel.de/berlin/gespraech-mit-der-zeitung-deutsche-geschichte-berliner-afd-chefin-geraet-nach-interview-mit-npd-bezug-in-erklaerungsnot/27417272.html
 (DIR) [8] /AfD-Parteitag-in-Dresden/!5764727
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gareth Joswig
       
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