# taz.de -- Regisseurin Icíar Bollaín im Gespräch: „Mit Humor erreicht man mehr“
       
       > In Icíar Bollaíns Komödie „Rosas Hochzeit“ geht es um weibliche
       > Midlifekrisen, Benachteiligung und Selbstachtung. Sie sieht eine neue
       > Offenheit.
       
 (IMG) Bild: Frau im Spiegel: Rosa (Candela Peña) beginnt in „Rosas Hochzeit“, sich selbst zu sehen
       
       Seit Filmen wie [1][„Und dann der Regen“] über den Kampf um Trinkwasser in
       Bolivien und „Der Olivenbaum“ gehört die Regisseurin Icíar Bollaín zu den
       wichtigsten sozialkritischen Stimmen des spanischen Kinos. Nun hat die
       54-Jährige mit „Rosas Hochzeit“ eine mitreißende Komödie über eine
       Mittvierzigerin gedreht, die ihr bislang trostloses Dasein umkrempelt und
       sich in einer ungewöhnlichen Zeremonie selbst verspricht, auf sich zu
       achten und erfüllter zu leben. Entstanden vor der Pandemie, trifft Bollaíns
       Film mit seiner Lebenslust nun nach Monaten des Lockdowns ganz unverhofft
       einen Nerv. 
       
       taz: Frau Bollaín, Rosa schmeißt mit 45 alles hin und beginnt ihr neues
       Leben mit einem rauschenden Fest, bei dem sie sich selbst heiratet. Gibt es
       dieses Ritual wirklich? 
       
       Icíar Bollaín: Oh ja! Zum ersten Mal las ich davon in einem Zeitungsartikel
       über eine Agentur in Japan, die Hochzeitsfotos für alleinstehende Frauen
       anbietet. Es ging dabei vor allem um Ästhetik und Schönheit als eine
       Möglichkeit, traumhafte Hochglanzbilder von sich im Brautkleid zu haben,
       ganz ohne Ehepartner. Ich war sofort neugierig, was Frauen dazu bewegt, und
       stieß weltweit auf ganz unterschiedliche Formen von Selbsthochzeiten, mal
       ganz privat, mal als großes Fest. Aber allen lag derselbe Wunsch zugrunde:
       ein Zeichen von Selbstakzeptanz und Wertschätzung zu setzen. Was sind das
       für Menschen, die sich selbst heiraten, und warum tun sie es? So entstand
       meine Hauptfigur, Rosa.
       
       Wie erklären Sie sich dieses Phänomen? 
       
       Wir Frauen tendieren dazu, unsere eigenen Bedürfnisse immer zurückstecken,
       wir kümmern uns vor allem um andere, das wird unausgesprochen auch so
       erwartet. Es ist tief in unserer Kultur verankert. Rosa ist alleinstehend
       und ihr wird mit Mitte vierzig klar, dass ihr Leben nicht so verläuft, wie
       sie es sich einmal erhofft hat, und dass es höchste Zeit wird, daran etwas
       zu ändern. Also wirft sie alles über den Haufen und startet noch mal ganz
       neu, nach ihren eigenen Regeln. Und als äußeres Zeichen wählt sie dieses
       auf den ersten Blick etwas schräg anmutende feierliche Versprechen.
       
       In der Mitte ihres Lebens kommen viele Menschen an einen Punkt, ihren
       bisherigen Weg infrage zu stellen. Gab es einen persönlichen Moment, der
       Sie zu diesem Film anregte? 
       
       Das Schreiben des Drehbuchs war eine Art Therapie, muss ich zugeben. Mein
       Beruf als Filmemacherin erfüllt mich, aber als Mutter und Teil einer
       Familie muss ich natürlich oft Zugeständnisse machen und kann mich nicht
       immer so entfalten, wie ich das gerne würde. Ich hatte keine große Krise,
       aber vieles an Rosa kommt mir sehr bekannt vor, ich kenne Dutzende Frauen
       wie sie. Die familiären Bande sind in Spanien noch stärker als anderswo,
       nicht selten ziehen die alten Eltern bei ihren längst erwachsenen Töchtern
       ein wie Rosas Vater im Film. Da gibt es auch gar keine Diskussion. Und die
       eigenen Bedürfnisse dieser Frauen kommen dann oft zu kurz. Es muss ja nicht
       gleich der große Bruch sein, manchmal würde ja schon etwas mehr Zeit für
       sich selbst reichen. Aber diese Freiräume müssen wir uns selbst schaffen.
       
       Rosa lässt all das lange über sich ergehen, kann nicht Nein sagen. Und
       niemand lässt sie zu Wort kommen. Ist das nicht ein bisschen übertrieben? 
       
       Meiner Co-Autorin ist genau das passiert. Eines Tages stand einfach ihre
       Mutter vor der Tür und sie brachte es nicht übers Herz, sie abzuweisen.
       Vielleicht ist man in Deutschland unabhängiger und respektiert die Grenzen
       der anderen mehr. Aber es fällt wohl fast jedem schwer, den eigenen Eltern
       nicht beizustehen.
       
       Wenn hingegen ein Mann in der Midlifekrise steckt, wird es oft mit
       beruflichen Höchstleistungen verbunden und als Burn-out geadelt. Werden
       Frauen da weniger ernst genommen? 
       
       Wie in fast jedem Zusammenhang! Sogar als Regisseurin habe ich den
       Eindruck, dass ich manche Dinge oft mehrmals sagen und betonen muss, um mir
       Gehör zu verschaffen. Frauen werden in vielen Bereichen benachteiligt, im
       beruflichen Kontext bei der Bezahlung und bei Aufstiegschancen, aber auch
       im medizinischen Bereich werden viele frauenspezifische Belange in der
       Forschung noch immer vernachlässigt. Es ist sogar noch banaler: Wenn eine
       Frau über Schmerzen klagt, wird ihr schlicht weniger geglaubt als einem
       Mann.
       
       Und Frauen verinnerlichen diese Geringschätzung? 
       
       Viele tun das. Sie glauben, sie hätten kein Recht, sich zu beklagen. Ich
       muss funktionieren, es allen recht machen, mich kümmern. Ich muss gütig
       sein. Und dafür wird sie dann gefeiert. Ein Teufelskreis. Und sollte sie
       doch mal wütend werden, wird sie schnell als schwierig hingestellt. Oder
       gleich als verrückt.
       
       Warum haben Sie sich entschieden, daraus kein Drama zu machen? 
       
       Weil es dann leicht gewesen wäre, Rosa als jammerndes Opfer abzustempeln.
       Mit Humor erreicht man mehr. Die Idee, sich selbst zu heiraten, hat
       natürlich etwas Komisches, warum also nicht damit spielen? Aber es war eine
       Gratwanderung, denn ich wollte mich weder über Rosa lustig machen noch
       oberflächlich über ihre Krise hinweggehen oder mit erhobenem Zeigefinger
       predigen.
       
       Psychisches Wohlbefinden ist ein großes Thema, zumal seit der Pandemie. Wie
       akzeptiert sind das Sprechen über persönliche Krisen und entsprechende
       Hilfsangebote in Ihrer spanischen Heimat? 
       
       Ich habe den Eindruck, dass es eine neue Offenheit gibt, bei Frauen wie
       Männern gleichermaßen. Nehme ich meine Bedürfnisse wahr? Gibt es Dinge, die
       ich ändern will? Verdränge ich meinen Frust, indem ich mich in Arbeit
       stürze oder zu viel Alkohol trinke? Diese Fragen können sehr ungemütlich
       sein, aber je früher wir sie uns stellen, umso leichter lässt sich Schaden
       abwenden. Und eines der wenigen positiven Dinge an der Pandemie war, dass
       viele von uns gezwungen waren, das Hamsterrad anzuhalten und zu überlegen,
       was wirklich wichtig ist. Und offen darüber zu sprechen, wenn es einem
       nicht gut geht, und auch dem Gegenüber empathisch zuzuhören.
       
       Ihr Ehemann ist der irisch-schottische Drehbuchautor Paul Laverty, der seit
       den neunziger Jahren nahezu alle [2][Filme Ken Loachs] geschrieben hat. Sie
       sind beide beruflich stark eingebunden, zugleich ziehen Sie Ihre
       gemeinsamen Kinder groß. Wie gelingt Ihnen die Balance? 
       
       Leben und Arbeit vermischen sich bei uns dauernd. Bei drei meiner
       Spielfilme stammen die Drehbücher von Paul. Wir waren uns von Anfang an
       einig, dass wir Kinder haben und beide arbeiten wollen, das geht nur
       zusammen und gleichberechtigt. Wir teilen uns die Erziehung und versuchen,
       nicht gleichzeitig beruflich unterwegs zu sein.
       
       Sie wählen in Ihren Arbeiten bewusst politische und sozialkritische Themen.
       Auch die in „Rosas Hochzeit“ propagierte Achtsamkeit und Selbstfürsorge hat
       ihre Kehrseite, wenn sie in neoliberale Selbstoptimierung kippt. 
       
       Arbeitslosigkeit hat viele Gründe, das sehen wir in Spanien seit Jahren,
       und wenn es keine Jobs gibt, kann man sich nicht einfach welche schnitzen.
       Wir können uns nicht plötzlich alle selbstständig machen und Unternehmer
       werden. Und der Staat will auch gar nicht, dass Frauen wie Rosa
       unabhängiger werden, weil sie es sind, die sich als Mütter, Ehefrauen und
       Schwestern um die Jüngsten und die Ältesten kümmern und dabei kaum etwas
       kosten. Wenn die Rosas dieser Welt von heute auf morgen die Arbeit
       niederlegten, würde das System zusammenbrechen.
       
       1 Jul 2021
       
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