# taz.de -- Krankenhausbewegung in Berlin: Beschäftigte bleiben kämpferisch
       
       > Das Ultimatum der Beschäftigten von Charité und Vivantes ist zur Hälfte
       > um. Die Kliniken machen bisher keine Zugeständnisse. Es kam zu ersten
       > Streiks.
       
 (IMG) Bild: Für mehr Personal und fairen Lohn: Kundgebung vorm Vivantes Klinikum Neukölln Anfang Juni
       
       Berlin taz | Es ist Halbzeit für die Berliner Krankenhausbewegung. Seit 50
       Tagen läuft nun das von den Beschäftigten bei Charité und Vivantes
       gestellte 100-Tage-Ultimatum, die Arbeitsbedingungen in den kommunalen
       Krankenhäusern zu verbessern. Doch geschehen ist von Seite der
       Klinikleitungen und der Politik bisher denkbar wenig. „Stand jetzt sehen
       wir keine Perspektive auf Zugeständnisse der Gegenseite“, sagt
       Krankenpflegerin Silvia Habekost der taz. Auch über Rot-Rot-Grün, die die
       Forderungen der Bewegung eigentlich unterstützen, äußerte sie sich
       enttäuscht: „Politiker:innen haben uns mit Worten unterstützt, tatsächliche
       Taten sind aber nicht gefolgt.“
       
       Das Ultimatum startete am 12. Mai mit der Übergabe einer
       Unterstützungspetition an Vertreter:innen des Senats, in der sich 8.397
       Beschäftige zu den Forderungen der Bewegung bekennen. Damit standen schon
       Anfang Mai eine Mehrheit auf jeder Station und insgesamt 63 Prozent der
       Belegschaft hinter der Bewegung. „Nun sind wir auf dem Weg, auch überall
       mehrheitlich gewerkschaftlich organisiert zu sein“, sagt Habekost. Lenkt
       die Arbeitgeberseite bis zum Auslaufen des Ultimatums am 20. August nicht
       ein, droht in Berlins größten Krankenhäusern ein Streik – kaum mehr als
       fünf Wochen vor dem Superwahlsonntag am 26. September.
       
       „Die letzten 50 Tage haben wir damit verbracht, durch die Bezirke und
       Krankenhäuser zu ziehen, um Stärke aufzubauen“, sagt Habekost. In jeder
       Station eines jeden Krankenhauses würden derzeit Forderungsdiskussionen
       geführt. Vorgestellt werden sollen deren Ergebnisse am 9. Juli in einem
       Großevent im Stadion der Alten Försterei. Problemlos sei die
       Organisierungsphase aber nicht verlaufen, erzählt Habekost. So sei es in
       einigen Tochtergesellschaften von Charité und Vivantes, wie etwa in der
       Labor Berlin GmbH, zu Einschüchterungsversuchen durch die Arbeitgeberseite
       gekommen. „Da wird mit Entlassungen gedroht“, sagt Habekost der taz.
       
       Dass die Bewegung sich zu wehren weiß, bewies sie am Dienstag, als 300
       Beschäftigte der Tochterunternehmen, in denen die Tarifverhandlungen schon
       seit Anfang des Jahres laufen, einen ganztägigen Warnstreik durchführten.
       „Schon um 4 Uhr morgens haben die Lkw-Fahrer:innen der Textilversorgung
       gestreikt, nach und nach kamen dann die anderen Berufsgruppen dazu“,
       erzählte Tobias Minow, Krankenpfleger in der Krebsmedizin am Urbanklinikum
       der taz. Demnach trafen sich die Streikenden um halb neun Uhr morgens vor
       dem Klinikum Neukölln, von wo aus sie als Demozug weiter durch den Bezirk
       liefen.
       
       ## Patient:innenwohl „zu keiner Zeit beeinträchtigt“
       
       Zum Warnstreik war es gekommen, da die Arbeitgeberseite die Verhandlungen
       über eine sogenannte Notdienstvereinbarung „einseitig abgebrochen“ habe,
       heißt von der Gewerkschaft Verdi. In einer solchen einigen sich im Falle
       eines Krankenhausstreiks normalerweise beide Seiten auf eine Notbesetzung,
       um das Wohl der Patient:innen nicht zu gefährden. Genau dies wirft die
       Vivantes-Klinikleitung Verdi nun vor. Die Gewerkschaft dagegen versichert,
       das Patient:innenwohl sei „zu keiner Zeit beeinträchtigt“ gewesen.
       Nach dem Abbruch der Verhandlungen durch die Arbeitgeberseite habe die
       Gewerkschaft einen Notdienst „einseitig“ sichergestellt.
       
       „Mich regt es auf, wenn die Klinikleitungen immer wieder die
       Patient:innen als Argument herbeiführen, warum streiken falsch sein
       soll“, ärgert sich Krankenpfleger Minow. Er kenne seine Patient:innen
       doch, schließlich würde er sie in der Krebsmedizin über viele Jahre hinweg
       betreuen. „Gerade diese Patient:innen sind es, die uns besonders
       unterstützen“, sagt er.
       
       Dass es auch anders funktionieren kann, haben bundesweit schon 17
       Krankenhäuser bewiesen, die den von den Pflegenden geforderten Tarifvertrag
       Entlastung (TV-E – siehe Kasten) bereits eingeführt haben. Eines dieser
       Krankenhäuser ist das Uniklinikum Jena, wo es einen TV-E seit Januar 2020
       gibt. Die dortige kaufmännische Vorständin Brunhilfe Seidel-Kwem zieht auf
       taz-Anfrage ein positives Resümee: „Insgesamt stärkt der TV-E unsere
       Position als Arbeitgeber“, schreibt sie, denn der Vertrag definiere „für
       alle Mitarbeiter konkret die Zielzahlen für eine ‚gute Pflege‘“. Dies
       schaffe „bei allen Beteiligten mehr Klarheit“.
       
       Seitens Vivantes heißt es dagegen, der TV-E sei „sowohl rechtlich als auch
       inhaltlich der falsche Weg“. Der Vertrag sei nur umsetzbar, „indem weniger
       Patient:innen behandelt werden“. Auch die Jenaer Klinikleitung
       schließt sich der Einschätzung an, dass der TV-E das grundsätzliche Problem
       des fehlenden Fachpersonals nicht lösen könne. Die Krankenhausbewegung
       argumentiert dagegen, der Fachkräftemangel liege vor allem an den
       miserablen Arbeitsbedingungen.
       
       Von den dank des Entlastungsvertrags verbesserten Arbeitsbedingungen kann
       Ellen Ost, Krankenpflegerin im Jenaer Klinikum, erzählen. Sie könne nun
       endlich wieder „pflegen, wie ich es gelernt habe“, berichtet sie der taz.
       „Ich habe sogar wieder ein Leben nach der Klinik“, erzählt sie. Früher habe
       sie in einer Frühschicht 13 bis 14 Patient:innen versorgen müssen, bei
       Ausfall eines:r Kolleg:in hätten es „auch schon mal 19“ sein können.
       „Heute dagegen versorge ich nur noch neun oder zehn Patient:innen“, sagt
       Ost.
       
       1 Jul 2021
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Timm Kühn
       
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