# taz.de -- Aus Le Monde diplomatique: Des Kaisers Sehnsuchtsort
       
       > Neuguinea weckte Ende des 19. Jahrhunderts die Begehrlichkeiten deutscher
       > Kolonialisten und Missionare. Eine persönliche Spurensuche.
       
 (IMG) Bild: Die Küste Papua Neuguineas bei Finschhafen
       
       Mein Vater ist in einem sehr kleinen Dorf namens Heldsbach geboren.
       Heldsbach bei Finschhafen. Ich wusste lange Zeit nicht, dass Heldsbach in
       Neuguinea liegt und mein Vater eigentlich gebürtiger Australier war. Was
       könnte deutscher klingen als Heldsbach? Oder Friedrich-Wilhelms-Hafen,
       Herbertshöhe, Stephansort, Hagenberg?
       
       Finschhafen ist ein so unbedeutendes kleines Kaff, dass niemand es im Lauf
       der Geschichte für nötig befunden hat, seinen Namen zu ändern. Dabei
       besitzt Papua-Neuguinea (PNG) seit 1975 nominell die volle Souveränität
       eines unabhängigen Staates im Commonwealth.
       
       Die in der Sphäre des weißen Mannes überlieferte Geschichte dieses
       natürlichen Hafens beginnt im Jahr 1884. Da erkundete der Ornithologen und
       Forschungsreisende Otto Finsch im Auftrag eines Berliner Konsortiums die
       nordöstliche Küste der Insel Neuguinea. Mit dem Dampfer „Samoa“ stach er
       von Sydney aus in See. Sein Auftrag war es, „der politischen wie
       wirtschaftlichen Besitzergreifung durch das Reich und die
       Neuguinea-Compagnie“ vorzuarbeiten.
       
       Finsch und sein Kapitän fanden mehrere für ihre Zwecke geeignete Häfen. Die
       künftige Hauptniederlassung der Compagnie in der Langemakbucht an der
       östlichen Landspitze nannte er Finschhafen. Dort ließ er im Beisein des
       deutschen Generalkonsuls von Sydney 1884 die deutsche Flagge hissen – vor
       allem, um zu verhindern, dass die Engländer, die sich schon im gesamten
       Osten Neuguineas breitzumachen begannen, seiner Auftraggeberin das erhoffte
       Geschäft versauten.
       
       ## Kolonialmächte teilen sich die Insel auf
       
       Tatsächlich gelang es Finsch, circa 200 000 Quadratkilometer Land an der
       Nordostküste zu „erwerben“. Man weiß nicht, ob die Einwohner von diesen
       Besitzansprüchen tatsächlich wussten. Jedenfalls war der Kauf von Land in
       ihrer Kultur nicht üblich. Das gesamte Gebiet entlang der Küste von
       Angriffshafen im Westen nahe der Grenze zu Niederländisch-Indien, über
       Berlinhafen (mit Einfahrt durch die Babelsberg-Straße),
       Friedrich-Wilhelms-Hafen bis hin zum südöstlichen Adolfhafen (benannt nach
       Adolph von Hansemann, dem Mitbegründer der Neuguinea-Compagnie) wurde
       „deutsches Schutzgebiet“ und bekam den Namen Kaiser-Wilhelms-Land. Das
       geschah im Jahr 1886, als Briten, Deutsche und Holländer sich geeinigt
       hatten, wie die zweitgrößte Insel der Welt aufzuteilen sei: Ein Querschnitt
       von der Herkulesbucht im Osten auf dem 8. südlichen Breitengrad schräg nach
       Nordwesten bildete die Grenze zwischen deutschem und britischem
       Territorium.
       
       Westlich des 141. Längengrads gehörte alles den Holländern: Bis heute
       verläuft hier die Grenze zwischen PNG und dem von Indonesien besetzten
       West-Papua. Die vorgelagerten Inseln des Bismarck-Archipels, mit der
       Hauptinsel Neupommern, gehörten nun ebenfalls zu Deutsch-Neuguinea.
       Insgesamt erstreckte sich die deutsche Südsee weiter über die nördlichen
       Salomonen bis nach Samoa. Diese Insel mit dem angenehmen Klima und den
       barbusigen Frauen war für die Deutschen das, was Tahiti für die Franzosen
       war: ein Traum, den es in Besitz zu nehmen galt.
       
       Neuguinea war anders: Unverständlich, undurchdringlich, von einem stets in
       Nebel getauchten Urwald bedeckt, und von schwarzen Kannibalen bewohnt, die
       Knochenschmuck auf dem Kopf und in der Nase trugen. Die Küste war sumpfig
       und heiß, aber überaus fruchtbar.
       
       ## Vorbild der niederländischen Ostindien-Kompanie
       
       Kaiser Wilhelm II. hatte den Platz an der Sonne zwar gefordert, wusste aber
       mit dem nach ihm benannten Land wenig anzufangen. Klare geostrategische
       Pläne verfolgte er abgesehen von einem Flottenstützpunkt auf Neupommern
       nicht. Die Compagnie konnte tun, was sie wollte; nach dem Vorbild der
       niederländischen Ostindien-Kompanie verwaltete sie das ganze unwegsame
       Gebiet. Niemand wusste, wie hoch diese Berge wirklich waren (der Mount
       Wilhelm ist nach aktuellen Messungen 4509 Meter hoch), wer dort lebte und
       welche Bodenschätze es gab.
       
       Aber die Claims waren abgesteckt, und jeder hoffte, dass sich der eigene
       Anteil irgendwie lohnen würde.
       
       Für die Neuguinea-Compagnie erfüllte sich diese Hoffnung nicht. Finschhafen
       und die gesamte Umgebung an der Küste war Malariagebiet – und zwar in einem
       solchen Ausmaß, dass Robert Koch höchstpersönlich dort 1898/99 seine
       Forschungen anstellte. Nach einer schweren Epidemie verlagerte die
       Compagnie den Firmensitz; Finschhafen versank in Bedeutungslosigkeit.
       Bedeutsam war er nur für die bayrischen Missionare in diesem Bezirk, den
       die Pflanzer und Beamten spöttisch den „Neuendettelsauer Kirchenstaat“
       nannten.
       
       Die Mission bewirtschaftete mit ihren zum größten Teil getauften
       einheimischen Arbeitern riesige Kokosplantagen an der ungesunden Küste. Und
       sie kaufte sogar noch der Neuguinea-Compagnie Land ab. 1898 musste das von
       der Pleite bedrohte Unternehmen vom Staat gerettet werden; für die Rückgabe
       der Hoheitsrechte über die verelendete Kolonie an das Kaiserreich kassierte
       es 4 Millionen Mark. Die Compagnie nutzte das Kapital für eine
       Umstrukturierung: Vom kolonialen Gemischtwarenhandel stieg sie auf das
       weltweite Pflanzungsgeschäft mit riesigen Monokulturen um und wurde damit
       im Jahr 1913 zur größten Plantagengesellschaft der Welt mit Besitzungen in
       Afrika und Lateinamerika.
       
       ## Kaffeekränzchen und Tennisclub für die Kolonialisten
       
       In der deutschen Südsee residierte nun also ganz offiziell eine deutsche
       Kolonialverwaltung, die ab 1910 nicht mehr im Kaiser-Wilhelms-Land, sondern
       auf der Insel Neupommern in der Stadt Rabaul saß, wo das Klima angenehmer
       war – auch das gesellschaftliche: Es gab Kaffeekränzchen, eine deutsche
       Schule, in der auch die immer zahlreicheren Mischlingskinder unterrichtetet
       wurden, Konzerte, einen Tennisclub und weitere Annehmlichkeiten, die
       allerdings von den Missionaren wortreich gegeißelt wurden.
       
       Insgesamt waren sieben christliche Missionen während der deutschen
       Kolonialepoche aktiv und darauf bedacht, ihre Claims, genannt
       Missionsfelder, abzustecken: aus Australien und den USA die Holy Spirit
       Mission der Society of the Divine Word, die Society of Mary und die
       Methodisten; aus Deutschland die Katholiken von der Steyler Mission, die
       evangelische Rheinische Mission aus Wuppertal, die stramm nationale
       Liebenzeller Mission – und eben die bayrischen Neuendettelsauer.
       
       Gouverneur Hahl, der mit Tolai, einer einheimischen Frau, zusammenlebte und
       ein Kind hatte, versuchte ein vergleichsweise sanftes Kolonialregime
       einzuführen: eine „Kolonisierung ohne Dezimierung“ der einheimischen
       Bevölkerung. „Wenn wir langfristig diese Eingeborenen als zahlungskräftige
       Konsumenten unserer Güter gewinnen wollen, dann müssen wir ihre Ausbildung
       fördern und ihre Arbeitskraft maßvoll nutzen. Wir müssen Blutrache und
       Kannibalismus auslöschen, Krankheiten heilen und ordentliche Schulen
       einrichten. Erst dann werden alle eine bessere Zukunft erblicken.“
       
       ## Auf den Plantagen arbeiteten 100 000 Papua
       
       Der Reichstag in Berlin beschloss am 8. März 1913, jede Form von
       „erzwungener Arbeit“ in den Kolonien zu unterbinden. Bis 1913 hatten – über
       die Jahre verteilt – insgesamt 100 000 Papua Arbeitsverträge mit Pflanzern
       im Schutzgebiet abgeschlossen.
       
       Es ging also aufwärts mit der Kolonie: Die Infrastruktur wurde mit
       öffentlichen Geldern bezahlt, die Pflanzer holten aus ihren Plantagen
       heraus, was möglich war, die Händler konzentrierten sich aufs Geschäft und
       die Missionare auf ihre Gebiete und Gebete.
       
       Der Gouverneur betrachtete alles aus der Höhe und die Papua arbeiteten für
       alle. Rebellionen wie der Aufstand der Baining auf Neupommern gegen die
       katholische Mission 1904 waren äußerst selten.
       
       Im deutschen Koloniallexikon ist über das Kaiser-Wilhelms-Land zu lesen:
       Die weiße Bevölkerung beläuft sich 1913 auf 283 Personen, darunter 180
       Männer, 103 Frauen, unter denen sich 38 Kinder befinden. Mischlinge wohnen
       in K.-W.-L. im Ganzen 17. Neben der Neuguinea-Compagnie hat sich eine
       größere Anzahl kleinere Gesellschaften sowie Einzelfarmer niedergelassen,
       die in der Hauptsache die Kultur der Kokospalme betreiben. Es handelt sich
       hierbei um 13 Betriebe.
       
       Nachzutragen wäre, dass das Deutsche Koloniallexikon kriegsbedingt erst
       1921 erscheinen konnte. Da gab es schon keine deutschen Kolonien mehr.
       
       ## Vom Kriegsausbruch erfährt man erst zwei Tage später
       
       Am 5. August 1914 erreichte das Telegramm aus Berlin mit der Nachricht vom
       Kriegsausbruch die nagelneue Funkstation in Herbertshöhe (heute Bitapaka).
       Am 6. August wurde für das Schutzgebiet Deutsch-Neuguinea der Kriegszustand
       erklärt. In Finschhafen erfuhren sie davon erst am 8. August, als der
       Regierungsdampfer „Komet“ einlief. Sie hatten keine Ahnung, was in Europa
       vor sich ging. Ein Brief, eine Zeitung war ungefähr sechs Wochen unterwegs.
       
       Die deutschen Kanonen in Simpsonhafen bei Rabaul und
       Friedrich-Wilhelms-Hafen (heute Madang) besaßen keine scharfe Munition,
       denn sie hatten nie etwas anderes als Salutschüsse abgefeuert. Auf
       Neupommern unterlag eine Truppe von drei deutschen Offizieren und 21
       einheimischen Soldaten in einem Scharmützel den australischen Landetruppen.
       
       Im Urwald bei Finschhafen kämpfte ein deutscher Offizier namens Detzner mit
       heimlicher Unterstützung der Missionare und „seiner“ Papuas einen einsamen
       Guerillakrieg.
       
       Die australische Besatzung war nicht allzu bedrückend: Alle deutschen
       Zivilisten, die einen Neutralitätseid ablegten, konnten bleiben. Erst nach
       den Versailler Verträgen mussten die meisten Deutschen Neuguinea verlassen
       und verloren ihren Besitz. Viele blieben im holländischen Teil der Südsee
       und wurden begeisterte Nazis. Auch bei den bayrischen Missionaren, die
       unter dem Dach der australischen lutherischen Kirche bleiben durften, hing
       die Hakenkreuzfahne. Ob das auch in Heldsbach so war, weiß ich nicht.
       
       Dieser Text erschien zuerst in der Edition LMd N° 18 [1][“Auf den Ruinen
       der Imperien. Geschichte und Gegenwart des Kolonialismus“], 2016.
       
       14 Jun 2021
       
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