# taz.de -- EM-Bilanz vor dem Achtelfinale: Lob des Eigentors
       
       > Selbstdemontage hat es bei dieser EM weit mehr gegeben als sonst – nicht
       > nur auf dem Platz. Die sieben größten Plagen dieses Turniers.
       
 (IMG) Bild: Lust zur Selbstdemontage: Hummels kommt beim Spiel gegen Frankreich Mbappé zuvor
       
       1.) Die Angst des Tormanns beim Elfmeter ist literarisch schon
       aufgearbeitet worden. Neuer Stoff drängt sich mit dieser EM auf: die Angst
       des Tormanns und seiner Vorderleute vor dem Eigentor. Schon vor Beginn des
       Achtelfinales haben die Teams siebenmal ins eigene Netz getroffen. Das
       waren so viele ungewollte Tore wie in den letzten fünf EM-Turnieren
       insgesamt. Eine phänomenale Zahl, die gründlicher Aufarbeitung bedarf. Aber
       aus dem Nichts kommt die Neigung zur Selbstdemontage freilich nicht. Die EM
       folgt einem Trend, den Schalke 04 vergangene Saison gesetzt hat. Fünf
       Eigentore! Das war Vereinsrekord!
       
       2.) [1][Zusammengebrochen war Christian Eriksen], medizinisch gesprochen
       war der dänische Nationalspieler gestorben. Nur sofort einsetzende Hilfe
       holte den 29-Jährigen zurück ins Leben. Richtig reagiert hat Dänemarks
       Mannschaft: von Erster Hilfe über das Bilden eines Sichtschutzes bis hin
       zum Trösten von Eriksens Freundin. Fast nichts unternommen hat die Uefa,
       die lediglich die Teams nötigte, entweder sofort oder am nächsten Tag um 12
       Uhr weiter zuspielen. Die Mannschaften, deren Freund und Kollege gerade
       fast tot war, sollten sich gefälligst bald entscheiden. So viel Respekt und
       Rücksichtnahme in dieser Situation – Respekt!
       
       3.) Eigentore tun weh, heißt es im Sportjournalismus gern. Das ist
       allerdings eine maßlose Untertreibung. Nach der Notlandung des
       Greenpeace-Gleitschirmfliegers vor Anpfiff der EM-Partie Deutschland –
       Frankreich mussten zwei Zuschauer mit Kopfverletzungen ins Krankenhaus
       eingeliefert werden. Es hätte weit schlimmer für die Zuschauer und den
       Piloten kommen können. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) stellte
       danach klar: „Die eingesetzten Scharfschützen hatten ihn bereits im
       Visier.“ Greenpeace wollte anklagend ihre Agenda aufs Spielfeld bringen und
       fand sich plötzlich in der Rolle des Angeklagten wieder.
       
       4.) Weltkonzerne sponsern das Ereignis, darunter Coca-Cola und Heinecken.
       Zuckerwasser stellen die einen her, schlechtes Bier die anderen. Wie absurd
       die Idee war, Weltstars dazu zu bringen, ohne Honorar Werbung für diese
       Konzerne zu machen, [2][konnte man sich bei Cristiano Ronaldo angucken.]
       Der nahm angewidert eine Cola-Flasche, stellte sie weg, nahm eine
       Wasserflasche, sprach das große Wort „Água“ aus und fügte noch ein weltweit
       verständliches „No Coca-Cola“ an. Bald darauf stellte Paul Pogba eine
       Flasche Heineken-Bier weg. Product Placement klappt allerbestens bei diesem
       Turnier.
       
       5.) In den vergangenen Jahren ist die Uefa immer lautstärker für ihre
       Grundwerte wie Respekt, Toleranz und Gleichberechtigung in die Offensive
       gegangen, dass man sie fast schon mit einer Menschenrechtsorganisation
       hätte verwechseln können. Der Antrag des Münchner Stadtrats, das Spiel
       gegen Ungarn dazu zu nutzen, ein Zeichen gegen die homophobe Gesetzgebung
       in Ungarn zu setzen und das Stadion in Regenbogenfarben zu beleuchten, ließ
       die Uefa den Rückwärtsgang antreten. Der Imagevorsprung, den man zuvor
       glaubte, errungen zu haben, war im Nu weg. Was nutzen auch schon
       Lippenbekenntnisse zu Menschenrechten, wenn man kneift, wenn es um konkrete
       Unterstützung geht.
       
       6.) Bitte vertrauen Sie der Uefa und Ihren Ärzten! Der europäische
       Fußballverband hat im Januar den Schweizer Pandemieexperten Daniel Koch
       eingestellt, dessen Expertise, wie Verbandschef Aleksander Ceferin damals
       angepriesen hat, „von unschätzbarem Wert“ für die Uefa, die
       Ausrichterverbände und die Austragungsstädte sein wird. Also für die
       Menschen in elf europäischen Ländern. Die Uefa schaltet sich gern in die
       öffentliche Gesetzgebung ein. Einschränkungen des freien Handels und
       Demonstrationsverbote rund um die Stadien hat man bereits durchgesetzt. Nun
       macht man europäische Gesundheitspolitik, zwingt etwa der Stadt London noch
       20.000 Zuschauer mehr bei den Halbfinals auf. Wohl bekomm’s!
       
       7.) Offiziell läuft diese Männer-EM unter der an einen Jagdflieger
       erinnernden Bezeichnung „Euro 2020“. Dabei findet sie 2021 statt und gar
       nicht nur in Europa, schon gar nicht nur in einem Land, sondern zum Teil
       auch in Vorderasien. Aufhebung von Raum und Zeit, könnte man vermuten.
       Schon vor Corona war diese EM „paneuropäisch“ konzipiert. Sie sollte
       Kontinentbewohner mittels Billigflieger mal in diese, mal in jene Stadt
       locken und so zur europäischen Integration beitragen. Nun darf aber
       kaum einer ins Nachbarland, und wer doch da ist, muss in Quarantäne. Hat ja
       alles prima geklappt!
       
       26 Jun 2021
       
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