# taz.de -- Noch-Nischen-Spezialität Tempeh: Das Paradox der Sojabohne
       
       > Tofu schmeckt nach wenig, aber alle kennen ihn. Tempeh hingegen hat ein
       > volles Aroma, aber steht nicht mal im Duden. Wie kann das sein?
       
 (IMG) Bild: In Indonesien werden Sojabohnen in Teakblätter eingeschlagen, um Tempeh herzustellen
       
       Es sieht aus wie ein hubbeliger Camembert, schmeckt nussig bis
       herb-pflanzlich und macht sich hervorragend mariniert und knusprig
       gebacken: Tempeh, eine Spezialität aus fermentierten Sojabohnen.
       
       In seinem Heimatland Indonesien wird es als vollwertiger Snack oder als
       Hauptspeise mit Reis serviert. Meist werden die Tempehscheiben frittiert,
       es gibt sie aber auch in Kokosmilch mit Galgant, Lorbeerblättern und
       Koriander gekocht oder süß-sauer mit Chili und Zucker im Wok gebraten. Wie
       genau Tempeh nach Europa kam, dazu gibt es einige Theorien. Wahrscheinlich
       ist, dass niederländische Kolonialherren es im 19. Jahrhundert
       importierten.
       
       Auch in Günzach im Ostallgäu ist Tempeh angekommen. Dort betreibt Markus
       Schnappinger, 45, mit seiner Frau Stephanie die Tempehmanufaktur. Am
       Telefon erklärt der Ernährungswissenschaftler den Produktionsprozess: Für
       eine Ladung Tempeh weichen Schnappinger und seine Kolleg*innen
       Hülsenfrüchte ein – statt Soja können es auch Schwarzbohnen oder Lupinen
       sein – kochen sie und lassen sie wieder abkühlen.
       
       Es folgt der spannende Teil der Produktion: die Fermentation. Die Masse
       wird mit Rhizopus oligospurus geimpft, einem gutartigen Schimmelpilz. „Er
       baut Proteine und Fette ab und sorgt dafür, dass es mehr freie Amino- und
       Fettsäuren gibt“, sagt Schnappinger. Daraus entwickelt sich der
       charakteristische Geschmack.
       
       ## Die kleine Cousine
       
       Ähnliche Prozesse kennt man von Kimchi oder Kombucha – alles
       Fermentationsprodukte, die seit Jahren einen Hype erfahren. Was früher in
       Omas Speisekammer gehörte, wird heute mit Süßkartoffelpommes und Burger in
       hippen Berliner Imbissen serviert. Doch zurück ins Allgäu: Nach zwei bis
       drei Tagen sind die Sojabohnen zu Rohtempeh fermentiert, um das sich ein
       leichter Schimmelflaum gelegt hat. Um es haltbarer zu machen, pasteurisiert
       Schnappinger das Tempeh, schließlich wird es in 250-Gramm-Blöcke
       geschnitten und vakuumiert.
       
       Markus Schnappinger nennt Tempeh liebevoll „die kleine Cousine des Tofu“.
       Und tatsächlich haben beide Produkte einiges gemeinsam: Grundlage sind
       gekochte Sojabohnen, Tofu wie Tempeh stammen, grob betrachtet, aus dem
       asiatischen Raum und beide spielen hierzulande eine Rolle als
       Fleischersatz für Vegetarier*innen.
       
       Aber es gibt auch Unterschiede. Tofu entsteht durch Gerinnung der Proteine
       der Sojamilch, was der Quarkherstellung entspricht, während die Impfung mit
       Pilzkulturen bei Tempeh eher an Käsereifung erinnert. Dementsprechend beißt
       man im Endprodukt auch noch auf Sojabohnen. Noch größer ist der Unterschied
       im Bekanntheitsgrad. Eine Million Tempehblöcke liefert Schnappinger
       jährlich an Biomärkte im ganzen Land, er ist der größte deutsche Produzent.
       Tofumarktführer Taifun aus Freiburg hingegen exportiert in 14 europäische
       Länder und produziert das Doppelte an Tofuspezialitäten – pro Monat.
       
       ## Bekömmlich und nährstoffreich
       
       Markus Schnappinger hat keine wirkliche Erklärung dafür. Vor 27 Jahren
       kostete er zum ersten Mal Tempeh bei einem Vortrag über pflanzliche
       Ernährung. „Ich fand ihn total lecker, weil er bissfest ist und im
       Gegensatz zu Tofu einen Eigengeschmack hat“, sagt er. „Tofu isst die halbe
       Welt. Warum sollte Tempeh das nicht schaffen?“
       
       Es gibt gute Argumente für Tempeh. Etwa die Textur, sie ist durch die
       ganzen Sojabohnen viel komplexer als beim homogenen Tofu. Oder die
       Bekömmlichkeit, die durch den Fermentationsprozess entsteht. „Der
       Edelschimmel schließt die Nährstoffe der jeweiligen Hülsenfrüchte auf,
       sodass sie besser bekömmlich sind“, sagt Schnappinger.
       
       Tempeh ist also nährstoffreich, fermentiert, vegan und kommt von einem
       anderen Kontinent. Es erfüllt alle Voraussetzungen für trendiges Superfood.
       Warum ist es der Bohnenblock dennoch nicht?
       
       Katrin Kleinesper arbeitet seit 25 Jahren als selbstständige
       Ernährungsexpertin in Hamburg. Sie coacht Verbraucher*innen und berät
       große Foodmarken wie Bertolli. Kleinesper weiß, wie das Geschäft mit
       Lebensmitteln läuft: Gekauft wird, was gut beworben wird. „Tempeh hatte
       bisher einfach noch keine ambitionierte PR“, sagt sie. Sie vergleicht
       Tempeh mit Rapsöl: Kaum einer nutzt es, weil es eine populäre Alternative
       gibt. Im Falle des Öls ist es Olivenöl, im Falle von Tempeh eben Tofu.
       
       Ein weiterer Nachteil sind die schwierigen Produktionsbedingungen. „Die
       Herstellung klingt erst mal relativ simpel“, sagt Schnappinger, „aber man
       muss eine Menge beachten.“ Zum Beispiel darf die Sojabohnenmasse bei der
       Impfung nicht zu feucht sein – sonst vermehren sich die falschen Bakterien
       und der Tempeh wird ungenießbar. „Für die Tofuproduktion gibt es
       industrielle Maschinen, die vieles vereinfachen“, sagt Schnappinger. Die
       Konsequenz: Tempeh ist im Laden etwa doppelt so teuer wie Naturtofu, aber
       immerhin günstiger als andere Neulinge auf dem Fleischersatzprodukt-Markt.
       Ein Schnitzel aus Pilzen kostet etwa stolze 5,50 Euro.
       
       ## Die Nische wächst
       
       Tempeh bleibt also ein Nischenprodukt. Beliebt ist er vor allem in einer
       experimentierfreudigen vegan-vegetarischen Restaurantszene. Dazu gehört
       auch die Köchin, Autorin und Aktivistin Sophia Hoffmann. Sie arbeitet im
       Berliner Zero-Waste-Café Isla. Dort werden Milchreste zu Ricotta oder
       Brotpudding weiterverarbeitet, Verpackungsmaterial wird eingespart und
       Abfall minimiert.
       
       Hoffmann glaubt, dass der charakteristische Eigengeschmack des Tempehs
       Grund für die geringe Beliebtheit ist. „Man merkt, dass es sich um ein
       fermentiertes Produkt handelt“, sagt sie. Das sei für deutsche Zungen etwas
       fremd, „obwohl wir viele fermentierte Produkte kennen, wie Sauerkraut oder
       Salzgurken. Es ist also gewöhnungsbedürftig und der Mensch ist ein
       Gewohnheitstier.“
       
       Vor einem Jahr hat ihr Team ein herzhaftes, rein pflanzliches
       „Tempeh-Bacon-Lettuce-Tomato Sandwich“ kreiert. Es verkaufte sich bestens.
       „Ich sehe Tempeh als tolle pflanzliche Proteinquelle mit guter Ökobilanz
       und Genussfaktor. Davon werden wir künftig noch mehr benötigen“, sagt
       Hoffmann.
       
       Seit 2008 verzeichnet der Fleischersatzmarkt in Deutschland ein stetes
       Umsatzplus von jährlich rund 30 Prozent. Markus Schnappinger und seine
       Allgäuer Manufaktur werden also nicht außer Konkurrenz bleiben: Allein in
       und um Berlin vertreiben aktuell drei regionale Tempeh-Unternehmen ihre
       Produkte. Die Menschen suchen nach Alternativen zu Fleischwurst und
       Grillsteak. Tempeh könnte die nächste sein.
       
       13 Jun 2021
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tasnim Rödder
       
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