# taz.de -- Zensur der Presse in Belarus: Das Lager der Extremisten
       
       > Die Machthaber wollen das Infoportal TUT.BY als extremistisch einstufen.
       > Janka Belarus erzählt vom Leben in Minsk in stürmischen Zeiten. Folge 92.
       
 (IMG) Bild: TUT.BY hat auch Interviews mit hohen Staatsbeamten publiziert, darunter auch mit Lukaschenko
       
       Das Innenministerium fordert, dass alle Beiträge des Nachrichtenportals
       TUT.BY (eine der beliebtesten unabhängigen Informationswebsites in Belarus,
       Anm. d. Redaktion) als extremistisch eingestuft werden, um damit den Zugang
       zu diesen Beiträgen zu begrenzen. Und zwar sowohl die Beiträge auf der
       Website selber als auch auf allen [1][Profilen in den sozialen Netzwerken].
       
       Das Ministerium ist der Meinung, dass die Nachrichten und Informationen von
       TUT.BY den nationalen Interessen und der nationalen Sicherheit von Belarus
       schaden.
       
       Auf Bitte des Ministeriums hat die Republikanische Experten-Kommission (von
       deren Existenz und Zusammensetzung kein Belarusse bislang überhaupt wusste)
       die Publikationen von TUT.BY bewertet und ist zu der Einschätzung gekommen,
       dass dort „linguistische Anzeichen von Spott und Beleidigung enthalten
       sind, eine negative Einschätzung der Arbeit von Alexander Lukaschenko, von
       Vertretern staatlicher Macht sowie einzelner Personengruppen verschiedener
       Berufe.“
       
       Jetzt wissen wir, dass die bösen Gangster von TUT.BY die Strategie und
       Taktik der Diskreditierung von Menschen, die an der Protestbewegung gegen
       die aktuelle Regierung teilgenommen haben, perfekt umgesetzt haben und die
       soziale Feindschaft schüren wie anständige gesetzestreue Bürger das
       Grillfeuer abends in ihrem Garten.
       
       ## Zwischen Burnout, Schock und Müdigkeit
       
       Und das sagten die „Übeltäter“ selbst zu ihrer Verteidigung: „Die Idee,
       Beiträge als extremistisch einzustufen, [2][zerstört nicht nur die Arbeit
       von Journalisten] und des ganzen Unternehmens. Es ist im Wesentlichen der
       Versuch, die Geschichte des Landes zu löschen, über die die Journalisten
       von TUT.BY in den letzten zwanzig Jahren geschrieben haben. Und alles, was
       auf unserem Portal gesagt oder geschrieben wurde, indem man alles als
       illegal deklariert, was zu Diskussionen und Informationsverbreitung
       beiträgt.“
       
       Alle Beiträge von TUT.BY – Artikel, Bilder und Videos – wurden unzählige
       Male zitiert und in belarussischen und ausländischen Medien nachgedruckt
       und gezeigt. Wie will man es schaffen, alle Feeds anderer
       Nachrichtenkanäle, Agenturen und TV-Sender zu „bereinigen“? Und schließlich
       hat TUT.BY auch Interviews mit hohen Staatsbeamten publiziert, darunter
       auch mit Alexander Lukaschenko. Gelten diese Interview dann auch als
       extremistisch?
       
       Es besteht darüber hinaus noch eine weitere Gefahr: Viele Menschen haben
       nach dem Lesen die Beiträge des Nachrichtenportals geteilt. Im Falle eines
       [3][positiven Gerichtsbeschlusses nach gängiger Praxis] ist jeder dieser
       Bürger wegen der Verbreitung verbotener Informationen bedroht. Ganz
       unabhängig davon, ob diese Beiträge oder Zitate schon vor vielen Jahren und
       auf persönlichen Profilen in den sozialen Medien veröffentlicht wurden. So
       kann man dann quasi unter dem Vorwand „Extremismus“ Menschen dafür
       verurteilen, dass sie ihre Lieblingstexte von TUT.BY öffentlich geteilt
       haben.
       
       Ich kenne als Journalistin viele der Kollegen, die bei diesem Portal
       arbeiten, persönlich. Die schon Hausdurchsuchungen und die Verhaftung ihrer
       gesamten Chefetage erlebt und faktisch ohne rechtskräftige Kündigung ihren
       Job verloren haben, und sich jetzt nach all diesen Ereignissen in einem
       Zustand zwischen Burnout, Schock und Müdigkeit befinden.
       
       Ich fungiere als „Gratis-Therapeutin“ von Lena (Name auf ihren Wunsch
       geändert), ich hören ihren Monologen zu und versuche, sie mit Witzen
       aufzumuntern. Sie weiß nicht, ob sie überhaupt noch weiter als Journalistin
       arbeiten möchte. Sie sagt: „Wenn ich nicht Hungers sterben will, werde ich
       in der nächsten Zeit nur noch das essen, was ich in meinem eigenen Garten
       anbaue und meine Kinder schicke ich auf den Markt, um überschüssige
       Erdbeeren zu verkaufen. Meine Marketingstrategie besteht darin, dass man
       Kindern aus Mitleid mehr Geld gibt.
       
       Ich versuche außerdem gerade, meine angespannten Nerven durch Kreativität
       zu beruhigen. Ich bastele Deko-Objekte zur Verschönerung meiner Wohnung.
       Neulich hab' ich mal in den sozialen Medien ‚rumgefragt, ob jemand so etwas
       gegen Bargeld kaufen würde. Und stell dir vor, man hat mir sogar Summen
       genannt, die man mir für meine Basteleien zahlen würde. Das war eine
       angenehme Überraschung. Ich komm‘ schon irgendwie durch.“
       
       Aus dem Russischen [4][Gaby Coldewey]
       
       25 Jun 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.instagram.com/tutbylive/
 (DIR) [2] /Repressionen-in-Belarus/!5748128
 (DIR) [3] http://xn--Festnahmen%20wie%20am%20Flieband-6dc
 (DIR) [4] /Gaby-Coldewey/!a23976/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Janka Belarus
       
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