# taz.de -- Neues Album von Sons of Kemet: Die neue Aristokratie des Jazz
       
       > Spielfreude in Klangkaskaden: Saxofonist Shabaka Hutchings und seine Band
       > Sons of Kemet blicken auf ihrem Album positiv in die Zukunft.
       
 (IMG) Bild: Schwarz geht es in die Zukunft: Sons of Kemet und Shabaka Hutchings (links außen)
       
       Dieses Klanggedicht beginnt mit gefallenen Königen. Joshua Idehen, Literat
       und Texter des Auftaktstücks, setzt im Intro von „Black to the Future“, dem
       neuen Album der britischen Jazzcombo Sons of Kemet, Sklaverei mit dem
       alttestamentlichen Exodus aus dem Gelobten Land nach Ägypten gleich. Und
       wie die Israeliten sich zu Tode gearbeitet haben, so landeten die schwarzen
       Könige auf den Feldern: „Field Negus“. Negus ist nicht etwa eine
       rassistische Titulierung, sondern das amharisch-äthiopische Wort für König.
       
       Während wir jenem dreiminütigen Gedicht folgen, spielen Tubist Theon Cross
       und Saxofonist Shabaka Hutchings Wirbel in die Luft. Die beiden
       Schlagzeuger Tom Skinner und Eddie Hick schrubben und kehren parallel dazu
       im Hintergrund. Es ist nicht das erste Mal, dass sich Sons of Kemet an
       Monarch:innen abarbeiten. Schon beim Vorgängeralbum „[1][Your Queen is a
       Reptile“] setzte man Königin Elisabeth II. auf die Ersatzbank und tauschte
       das Oberhaupt des Commonwealth gegen weibliche Ikonen der Schwarzen
       Geschichte: Yaa Asantewaa, Harriet Tubman, Angela Davis und weitere Frauen.
       
       Dass sich ausgerechnet Shabaka Hutchings gegen die Aristokratie stellt, ist
       derweil fast schon amüsant, gilt er dank seiner Spielfreude selbst bereits
       als ungekrönter König im United-Jazz-Kingdom. Was auch immer der
       sympathische Londoner Saxofonist und Klarinettist anpackt, erlangt
       innerhalb kürzester Zeit höchste Weihen. Britische Radiosender liegen
       Hutchings längst zu Füßen, alle großen (Jazz-)Zeitschriften haben
       Titelgeschichten organisiert – selbst das renommierte britische
       Musikmagazin The Wire kommt kaum noch zwei Ausgaben ohne Bulletin über den
       charismatischen 37-jährigen Künstler aus.
       
       ## Kahlschlag der guten Auftrittsorte
       
       Wen wundert’s auch? Hutchings ist Aushängeschild einer neuen, gut
       vernetzten internationalen Jazz-Bewegung, die aus talentierten
       Musiker:innen besteht, oft afrokaribische und arabische Wurzeln hat und
       diese Prägungen auch selbstverständlich in ihre Musik einfließen lässt.
       Ganz zufällig ist diese Synthese jedoch nicht: Mit dem Fortschreiten der
       (Hyper-)Gentrifizierung in der britischen Hauptstadt – die man gleichsam
       auch Londonisierung nennt – werden die unabhängigen Auftrittsorte für
       Musiker:innen immer weniger.
       
       Das hat gerade in den letzten zehn Jahren dazu geführt, dass immer häufiger
       spezialisierte Cafés, Konzert- und Tanzclubs genreübergreifende Programme
       anbieten müssen: Dub trifft auf Soca trifft auf Reggae, dann auf Jazz und
       wieder zurück.
       
       Auch auf „Black to the Future“ werden solche Exkurse in den Songs
       unternommen: „Think of Hope“ schlägt eine Luftbrücke von Addis Abeba in die
       Karibik, immer wieder scheint ein Nu-Carnival-Sound durch, der an den Mardi
       Gras von New Orleans im US-Süden erinnert, und mit dem legendären Londoner
       Grime-MC D Double E und dem Rapper Kojey Radical bringt man auch ordentlich
       Straßensound unter.
       
       ## Spätberufener Saxofonist
       
       Ein solches musikalisches Schleifenfliegen liegt Hutchings: Im Alter von
       sechs Jahren zog er mit seinen Eltern auf deren Geburtsinsel Barbados. Dort
       lernte er Klarinette und spielte in Calypsobands – bevor er mit 18 zurück
       nach England ging und dort erst in Birmingham und dann in London an der
       Guildhall School – einer der Top-Musikhochschulen Europas – studierte. Hört
       man das neue Werk seiner Band Sons of Kemet – nur eine von etlichen
       Formationen, mit denen Hutchings in den letzten Jahren Musik veröffentlicht
       hat –, so glaubt man kaum, dass er erst zu Studienzeiten das Tenorsaxofon
       als Signalinstrument für sich entdeckt hat.
       
       Sein Spiel ist schon längst Markenzeichen geworden; [2][Hutchings] ist kein
       Dröhner, kein [3][romantischer Tonverlängerer] und auch kein effektreicher
       Fummler, er ist die zu Fleisch gewordene Kaskade. Stakkato-Wasserfälle, die
       minutenlang mehr Rhythmus als Melodie sind, gelten als sein Markenzeichen:
       Bisweilen wird aus dem Blechkorpus einfach Heavy Metal geblasen. Inklusive
       Headbangen selbstverständlich.
       
       So kennt man ihn, so hat man ihn lieben gelernt. Im Vergleich zu „Your
       Queen Is a Reptile“ fällt trotzdem auf, dass Sons of Kemet nun häufiger
       auch auf die Bremse treten. Anstatt stets energisch anzutreiben, wie beim
       Debütalbum, nimmt sich die ganze Band des Öfteren zurück, klingt ab und an
       sogar melancholisch. Vor allen Dingen Theon Cross an der Tuba muss diesmal
       nicht immer 110 Prozent geben.
       
       Wütend und unversöhnlich klingt die Musik auf „Black to the Future“
       dennoch, die Songs sind erkennbar inspiriert von den großen
       gesellschaftlichen Diskussionen im angloamerikanischen Raum der letzten
       Jahre: Black Lives Matter und Rassismus auf den Straßen Großbritanniens
       (und nicht nur dort), das Comeback der Weißen Suprematisten. Doch statt im
       Hier und Jetzt zu verweilen, wenn die Situation unerträglich erscheint,
       gewähren Sons of Kemet lieber einen utopischem Ausblick: Schwarz geht es in
       die Zukunft – ganz vorne mit dabei: König Shabaka I.
       
       20 May 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lars Fleischmann
       
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