# taz.de -- Russische Provokationen und die EU: Schaut auf die Ukraine
       
       > Es gilt, den russischen Provokationen umgehend entgegenzutreten. Die
       > Vorgänge im Schwarzen Meer genauer zu beobachten liegt auch im Interesse
       > der EU.
       
 (IMG) Bild: Aufrüstung auf der Krim im April: Vorbereitung einer russischen Militärübung in der Luft
       
       Die [1][Reise von Robert Habeck in die Ukraine] und ein einziger Satz haben
       wohl mehr Staub aufgewirbelt als all die Frontbesuche und Fototermine
       westlicher Politiker im Donbass. Dabei drückt die Kernaussage eigentlich
       etwas Selbstverständliches aus: Waffen zur Selbstverteidigung könne man dem
       Land schwer verwehren. Der Anteil der Rüstungslieferungen Deutschlands in
       die Ukraine liegt zuletzt bei 0,03 Prozent.
       
       Mit welcher Empörung darauf reagiert wurde, über weitere Hilfen
       nachzudenken, ist wohl dem Wahlkampf und der Suche nach einem Dissens bei
       den Grünen geschuldet. Tunlichst vermieden wird hingegen die Bewertung der
       realen Kriegssituation, die mittlerweile länger andauert als der
       Jugoslawienkrieg. Lange wurde über die Reise der drei Grünen-Mandatsträger
       gar nicht berichtet. Einzig das [2][Greenpeace Magazin] brachte eine kurze
       Meldung.
       
       Dabei hätte allein der Besuch in der Hafenstadt Mariupol ein interessantes
       Themenfeld eröffnet. Die Gängelung der Zufahrt zum [3][Asowschen Meer]
       durch die russische Militärdoktrin gefährdet den Hafen der Stadt in ihrer
       ökonomischen Existenz. Wenn der Hamburger Hafen durch eine Militärmacht
       blockiert würde, wäre der letzte Hinterbänkler im deutschen Bundestag auf
       den Barrikaden. Wenn Russland Abkommen bricht und das zivile Seerecht
       ignoriert, zuckt man in Europa nicht einmal mit den Schultern.
       
       Dabei ist die scheibchenweise Ausweitung des russischen Machtanspruchs im
       Schwarzen Meer einer der Konfliktpunkte, die Europa in Zukunft noch
       beschäftigen werden. Allein es fehlt an einer klaren Strategie mit solchen
       Übertretungen umzugehen. Am eigentlichen Dilemma der Ukraine, wie man
       Russlands faktische Besatzungsherrschaft in der Ost-Ukraine auflöst, haben
       sich nicht wenige Diplomaten die Zähne ausgebissen. Es ist so gut wie
       nichts erreicht worden.
       
       ## BRD-Anteil an Rüstungslieferungen umfasst 0,03 Prozent
       
       Für einen Fortschritt bei der Umsetzung des [4][Minsker Abkommens] haben
       auch die Grünen keine neue Patentlösung. Wie auch? Putin macht, was er
       will. Die Ausgabe russischer Pässe in den besetzten Territorien verschärft
       den Konflikt weiter. Die Menschen in den besetzten Gebieten werden aber
       ohne eine Lösung weiter einer Willkürherrschaft ausgesetzt. Das Unrecht hat
       sich zementiert. Die 2020 veröffentlichten UN-Berichte über Folter an
       Gefangenen in diesen Gebieten sind nur schwer zu ertragen.
       
       Die leere Rhetorik vom „im Gespräch bleiben“ unter Politikern ebenso.
       Womöglich waren die Reaktionen auf das Zitat Habecks deshalb so heftig,
       weil sich dahinter eine generelle Hilflosigkeit verbirgt. Insbesondere bei
       den Kommentatoren und Parteien, die am heftigsten auf Habeck eindroschen –
       AfD, Linkspartei, dem linken Flügel der Grünen und jene in der SPD, die
       noch nie in der Ukraine waren –, sollte man einmal nachfragen, welche
       Lebensberechtigung sie diesem Teil Europas eigentlich zusprechen.
       
       Auch die implizite Behauptung mancher Friedensbewegter, von der russischen
       Seite ginge keine Gefahr aus, geht schlicht an der Realität vorbei.
       Russische Scharfschützen töten seit Jahren gezielt in den Frontabschnitten,
       um Provokationen auszulösen. Die Rückschläge zielen auf die in Wohngebieten
       verschanzten Schützen. Minen werden mit Hilfe von Drohnen auf ukrainischer
       Seite abgesetzt, die vor allem Kinder gefährden.
       
       Bei der jüngsten russischen Aufrüstung auf der Krim fallen besonders
       Landeeinheiten auf, die für die Eroberung der ukrainischen Küste
       ausgerichtet sind. Im russischen Fernsehen brüstete man sich mit der
       Vernichtung der Ukraine. Alles nur Bluff? Warum sollte der ukrainische
       Botschafter in dieser Situation nicht Unterstützung einfordern, damit sich
       ein möglicher Angriff für die Gegenseite gar nicht erst lohnt?
       
       ## Putin macht, was er will
       
       Trotzdem suggerieren die Kommentare vom Altkanzler bis zur taz, die
       Unterstützung der Selbstverteidigung der Ukraine sei das Problem. Eine
       echte Gefahr. Eine absurdere Verdrehung der Tatsachen lässt sich kaum
       konstruieren. Die Ukraine war auf diesen Krieg, den Überrumpelungsangriff
       Russlands mit all seinen hybriden Vertuschungsstrategien, auf keinerlei
       Weise vorbereitet. Schon gar nicht militärisch.
       
       Nur mit der schnellstmöglichen Modernisierung der ukrainischen Armee konnte
       eine raumgreifende Ausweitung des Krieges verhindert werden. Es ist deshalb
       falsch zu behaupten, diese Modernisierung provoziere Russland. Um
       raumgewinnende Rückeroberung vonseiten der Ukraine geht es im Donbass seit
       Jahren nicht mehr. Es ist schlicht Selbstverteidigung. Warum gibt es
       ausgerechnet in Deutschland so wenig Verständnis für die konkrete Lage
       dieses Landes?
       
       Wer die Lieferung von Sanitätsfahrzeugen in Frage stellt oder sie mit
       Eskalation gleichsetzt, hat entweder noch nie eine Kriegszone betreten oder
       verkriecht sich hinter einem pazifistischen Fundamentalismus, der für die
       Betroffenen nur Hohn bereithält.
       
       Warum man mit Schnappatmung reagiert, wenn neben dem Problem der
       Selbstverteidigung konkrete Hilfen für die Zivilbevölkerung thematisiert
       werden, zeigt vor allem eines – dass man Angst hat, eine bequeme
       Äquidistanz aufzugeben und mehr Verantwortung zu übernehmen. Bilaterale
       Hilfen wären auf dem zivilen Sektor ausbaubar. Und bei der
       [5][sicherheitspolitischen Unterstützung ist Großbritannien] einen großen
       Schritt voraus.
       
       An einem sicherheitspolitischen Faktum kommt man allerdings nicht vorbei,
       und das ist nicht nur ein Problem der Debatte um die Grünen: Wer das
       Sicherheitsbedürfnis unserer osteuropäischen Nachbarländer ignoriert, muss
       sich nicht wundern, dass Russland seine Nadelstiche und Provokationen
       ständig ausweitet. Ein Preisträger der Leipziger Buchmesse aus Lwiw brachte
       es treffend auf den Punkt: Pazifismus ist eine feine Sache, wenn man in
       einem Chalet in den Alpen wohnt.
       
       Für die Länder Osteuropas sind Sicherheitsfragen eine andere Realität als
       für die Bürger Hamburgs, Berlins oder im Schwarzwald. Zeit, dass man sie
       endlich ernst nimmt.
       
       3 Jun 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Gruene-Aussen--und-Sicherheitspolitik/!5771141
 (DIR) [2] https://www.greenpeace-magazin.de/ticker/habeck-fuer-waffenlieferungen-zur-selbstverteidigung-die-ukraine
 (DIR) [3] /Konflikt-auf-dem-Asowschen-Meer/!5554051
 (DIR) [4] /Minsker-Friedensabkommen/!5280417
 (DIR) [5] https://www.defensenews.com/global/europe/2020/08/19/britain-moves-to-boost-ukraines-naval-chops/
       
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